„Ich denke, das wird die größte Show des Sommers“, habe Sam Levinson zu seiner Frau gesagt, als sie ihm einen überaus kritischen Artikel im Rolling Stone über den Entstehungsprozess seiner neuen Serie vorlas. So zumindest erzählte es der Regisseur und Drehbuchautor bei einer Pressekonferenz auf dem Filmfestival in Cannes, wo die ersten beiden Folgen von „The Idol“ gezeigt wurden.
Die Doppeldeutigkeit des Wortes Show, das im Englischen auch schlicht Serie bedeuten kann, passt hier ganz hervorragend, ging mit Levinsons neuestem Werk doch ein gehöriges Medientheater einher. Das Publikum in Cannes war wenig angetan, was sich in zahlreichen erbosten Kritiken und auf Bewertungsplattformen widerspiegelte. Kaum eine Produktion des Senders HBO ging je mit einer niedrigeren Wertung an den Start. Eine gewisse Skepsis ist bei solcher Einhelligkeit immer angebracht. Zumindest die erste, nun auch in Deutschland verfügbare Episode zeigt allerdings, dass die Aburteilung gerechtfertigt war.
Das Opfer als feministische Heldin
Dabei beginnt die Pilotfolge der Serie zunächst vielversprechend, kommt auf eine nüchtern-provokante Art, die an den Ton von Bret Easton Ellis („American Psycho“) erinnert, angenehm komplex daher. Die ersten zwanzig Minuten wirken noch wie eine beißende Satire auf die Unterhaltungsbranche, die in alle Richtungen austeilt: gegen altbekannte Ausbeuter und ihre gewissenlose Profitgier, gegen neue Tugendwächter und ihre vorausseilende Prüderie.
In der Eröffnungssequenz ist die Sängerin Jocelyn beim Fototermin für ihr neues Album zu sehen. Die Kamera ist starr auf das Gesicht von Hauptdarstellerin Lily-Rose Depp gerichtet, während der Fotograf ihr zuruft, sie solle „unschuldig“ und „rehäugig“ gucken, im nächsten Moment soll sie sich „lasziv“ präsentieren und ihm „puren Sex“ liefern.
Im seidenen Schlafrock kniet sie auf einem Glastisch, beinahe sind ihre Nippel zu sehen. Im Hintergrund unterhält sich ihr Team darüber, was denn nun genau ihr Image ausmache. „Sie ist jung, schön und kaputt“, ist sich eine ihrer Managerinnen sicher. „Der Morgenmantel, das Krankenhausbändchen. Romantisieren wir damit nicht psychische Erkrankungen?“, fragt der Kreativdirektor. „Doch, natürlich“, entgegnet die Managerin. Umständlich erklärt sie ihm, dass eine junge Frau wie Jocelyn niemals einen Normalo „ficken“ würde – ein Wort, das hier inflationär gebraucht wird, vermutlich um sicherzugehen, dass auch wirklich klar wird, wie verdammt abgebrüht die Branche ist –, außer sie habe psychische Probleme. Und genau deswegen sei „Geisteskrankheit“ so sexy.
Zu viel Sex ist dann aber auch wieder nicht gut: Kurz darauf wird ein pikantes Foto von Jocelyn publik, woraufhin das Team verzweifelt versucht, den Schaden für die Ticketverkäufe der anstehenden Tour zu begrenzen, indem man sich öffentlich um ein Opfer-Narrativ bemüht, oder noch besser, das einer feministischen Heldin. Wobei das heute doch letztlich das Gleiche sei, wie eine Managerin trocken anmerkt.
Tour de Fremdscham
Die Objektifizierung von Frauen durch die Popindustrie, ihre Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Gesundheit und die Heuchelei, sie zu hypersexualisieren, aber gleichsam für sexuelle Freizügigkeit abzustrafen, sobald sie dem Image abträglich sein könnte: Zunächst scheint Sam Levinson hier eine Abrechnung mit einem System zu präsentieren, das Stars wie Britney Spears nach oben und später an den Abgrund gebracht hat.
Eine Wirkung, die der Schöpfer der Erfolgsserie „Euphoria“ wahrscheinlich bewusst erzeugen will. Unter dem Deckmantel, missbräuchliche Strukturen und Misogynie der Industrie sichtbar machen zu wollen, lässt sich schließlich viel entspannter selbst Problematisches zeigen: Um etwa den Voyeurismus abzubilden, dem Jocelyn ausgesetzt ist, muss sie nun einmal zumeist nackt zu sehen sein. Dieser billige Vorwand wird allerdings schnell als solcher enttarnt, wenn die Kamera auch in Momenten, in denen die junge Protagonistin allein und unbeobachtet ist, zumeist auf ihren entblößten Körper gerichtet, der male gaze schlicht omnipräsent ist.
Dass Sam Levinsons vermeintlich kritische Haltung gegenüber der Sexualisierung in der Popkultur nicht mehr als eine Farce ist, unterstreicht auch besagter Bericht des Rolling Stone. Demzufolge übernahm der Regisseur das Projekt, nachdem Amy Seimetz („She Dies Tomorrow“) entlassen wurde. Angeblich, weil der Co-Schöpfer, Co-Producer und Co-Autor Abel Tesfaye, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „The Weeknd“, unzufrieden damit gewesen sei, dass die Serie unter ihrer Leitung zu sehr die „weibliche Perspektive“ einnehme.
Als Levinson zu „The Idol“ stieß, sollen bereits 80 Prozent der Szenen abgedreht gewesen sein, er soll die Arbeit seiner Vorgängerin jedoch gänzlich verworfen und selbst die Drehbücher noch einmal überarbeitet haben. Das Ergebnis entpuppt sich bereits mit Voranschreiten der ersten Folge als abgeschmackte Männerfantasie, spätestens sobald „The Weeknd“ auch schauspielerisch – sofern man angesichts seiner hölzernen Performance überhaupt von „schauspielern“ sprechen kann – in Erscheinung tritt.

Als ominöser Clubbesitzer Tedros begegnet er Jocelyn am Ende eines intensiven Arbeitstages auf der Tanzfläche. Trotz Rattenschwanz-Frisur und abgedroschenen Anmachsprüchen („Du passt perfekt in meine Arme“) verfällt sie ihm umgehend, masturbiert, nachdem sie ohne ihn nach Hause gegangen ist, und lädt ihn kurz darauf zu sich ein.
Ihre beste Freundin und persönliche Assistentin Leia (Rachel Sennott) spricht sie noch darauf an, dass ihr nicht einleuchte, was sie an ihm finde, dass er doch irgendwie „wie ein Vergewaltiger“ wirke. Levinson, Tesfaye und Reza Fahim, der ebenfalls zum Autorenteam gehört, lassen Jocelyn antworten, dass sie „genau das an ihm möge“. Was anrüchig klingt, steigert sich im letzten Drittel der Episode, wenn Tedros tatsächlich in der Villa aufschlägt, zu einer kaum zu ertragenden Tour de Fremdscham.
Sie gipfelt in einem Dialog, wie er auch im Auftakt eines schlechten Pornos vorkommen könnte: Nachdem das verunsicherte Pop-Sternchen in Strümpfen und High Heels dem geheimnisvollen Mann im langen schwarzen Mantel ihre nächste Single vorgespielt hat, lobt er ihre Leistung zwar zunächst gnädig. Nicht jedoch ohne anzumerken, dass man ihr – wenn sie schon davon singt, was für ein Freak sie doch sei – auch anhören müsste, dass sie weiß, „wie man fickt“. Er zweifelt ihre Kenntnisse dahingehend an, ist aber natürlich gerne bereit, ihr behilflich zu sein.
Ausbeutung ohne Augenzwinkern
Könnte man „The Idol“ wenigstens unter augenzwinkernden „Pulp“ in der Tradition von „Showgirls“ verbuchen, wäre das Ganze immerhin unterhaltsam. Dafür nehmen Levinson und Tesfaye ihre „Show“ aber zu ernst. Unter dem Eindruck, dass sich Levinson und sein Autorenteam für so viel klüger als das Publikum halten, verlieren selbst kluge Seitenhiebe gegen so manche überspannte Tendenzen in den Diskursen unserer Zeit ihren Reiz.
Etwa wenn bei besagtem Fototermin darüber gestritten wird, ob Jocelyn nun auf ihren eigenen Wunsch mehr Brust zeigen dürfe, obwohl das eine Nacktheitsklausel in ihrem Vertrag verbiete. Zu ihrem Schutz, um sicherzugehen, dass sie nicht genötigt werde, dauere eine Änderung 48 Stunden, gibt der verschüchterte Intimicy Coordinator zu bedenken. Dass es doch wohl ihr Recht sei, ihren Körper so zu präsentieren, wie sie will, halten Jocelyn und ihr Team dagegen.
Es wirkt, als wolle die Serie unterstreichen, welche antifeministischen Züge der feministische Fortschritt mitunter annehmen kann, wenn er Frauen kategorisch erst mal als hilflos, als Opfer betrachtet. Hier klingt das jedoch weniger nach wohlmeinender Kritik denn nach einem überheblichen Selbstverteidigungsversuch eigener Bild- und Erzählvorlieben.
Dabei ist „The Idol“ in seinen (s)exploitativen Zügen wahrscheinlich selbst ein recht gutes Beispiel dafür, dass eine gesteigerte Aufmerksamkeit am Set angebracht ist. Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, wie Levinson selbst im Studio steht und Lily-Rose Depp zuruft, dass sie noch ein wenig „verletzlicher“ und im nächsten Moment ein wenig „verführerischer“ gucken solle.


