Skandal um Rammstein

Vorwürfe gegen Till Lindemann: Welche Rolle spielen die anderen Rammstein-Mitglieder?

Die aktuellen Schlagzeilen konzentrieren sich auf Till Lindemann. Aber liegt es nicht nahe, dass die anderen Bandmitglieder seine Exzesse mindestens geduldet haben?

Sechs gleichberechtigte Mitglieder: Rammstein bei ihrem jüngsten Auftritt im dänischen Odense.
Sechs gleichberechtigte Mitglieder: Rammstein bei ihrem jüngsten Auftritt im dänischen Odense.Gonzales Photo/imago

Christian „Flake“ Lorenz. Oliver Riedel. Paul Landers. Christoph Schneider. Und Richard Kruspe. Die Band Rammstein besteht nicht nur aus ihrem berühmtesten Mitglied, dem Frontsänger Till Lindemann. Seit ihrer Gründung 1994 in Berlin tritt die ostdeutsche Band ununterbrochen in der gleichen Besetzung auf. 

Und Rammstein sind nicht nur eine Band wie jede andere, sondern inzwischen eine der erfolgreichsten Gruppen des Musikgeschäfts: Keine deutsche Band war vorher so erfolgreich im Ausland. Das kann und muss man ohne Neid anerkennen. Rammstein ist eine deutsche Weltmarke und noch dazu eine aus dem Osten.

Aus den jungen Künstlern sind abseits der Bühne freundliche Familienväter geworden, mit Oldtimern und Bauernhöfen in Brandenburg – und Rammstein ist nach fast 30 Jahren ein weltweit operierendes Wirtschaftsunternehmen. Eine Firma, die jedem Bandmitglied jährlich Millionen Euro Gewinn einbringt. Auch das kann man ohne Neid anerkennen.

Bis jetzt fast immer ausverkauft: Werbung für vier Rammstein-Konzerte in München
Bis jetzt fast immer ausverkauft: Werbung für vier Rammstein-Konzerte in MünchenStefan M. Prager/imago

220 Millionen Euro Umsatz in einem Jahr

Laut der Homepage Tour Data setzte die Band mit ihrer Stadiontour zwischen 2019 und 2022 durch Ticketverkäufe rund 350 Millionen US-Dollar um – 220 Millionen US-Dollar davon allein im vergangenen Jahr. Weltweit belegte die Band 2022 damit den sechsten Platz in der Rangliste der bestverdienenden Künstler im Musikgeschäft.

Hinzu kommen weitere Millioneneinnahmen aus Tonträgern, Merchandising und anderen Aktivitäten. Für die vier Konzerte in München, von denen das erste am heutigen Mittwoch (7. Juni) beginnt, werden 240.000 Zuschauer erwartet.

Anders als bei vielen anderen Weltstars sollen, laut einem Bericht der Bild, bei Rammstein alle Mitglieder gleichberechtigt sein; sie verdienen demnach zu gleichen Teilen am gemeinsamen Erfolg. Seit dem 1. Januar 1994 bestehe die sogenannte Rammstein GbR, in der alle als gleichwertige Gesellschafter aufgeführt werden: Rammstein ist nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich eine eingeschworene Gemeinschaft.

Verwunderlich ist daher, dass nach den aktuellen Vorwürfen gegen den schillernden Frontsänger Till Lindemann (60) kaum über die Rolle der restlichen Mitglieder berichtet wird. Die Frage ist doch auch, was die anderen Bandmitglieder angesichts einer so engen künstlerischen und wirtschaftlichen Verflechtung mit Lindemann gewusst haben?

Duldeten sie das Verhalten ihres Frontsängers während unzähliger Konzerte in den vergangenen Jahren? Vertuschten sie es sogar? Und wenn ja: War ihnen ihr ganz persönliches wirtschaftliches Auskommen wichtiger als der Bruch mit ihrem Frontmann?

Sammelt Oldtimer und wohnt immer noch in Berlin-Prenzlauer Berg: Keyboarder Flake.
Sammelt Oldtimer und wohnt immer noch in Berlin-Prenzlauer Berg: Keyboarder Flake.Gonzales Photo/imago

Was wussten die anderen Rammstein-Mitglieder?

Kurz zusammengefasst: Die Anschuldigungen, die von mehreren Frauen gegenüber Till Lindemann erhoben werden, reichen von Übergriffigkeit bis zu sexuellen Handlungen, denen sie nicht zugestimmt hätten. Im Raum stehen auch Vorwürfe mehrerer Frauen, sie seien zum Alkoholtrinken oder zum Drogenkonsum gedrängt worden, um sie vor, während und nach Rammstein-Konzerten gefügig zu machen für Sex mit Lindemann. Weitere Frauen berichten, sie hätten nach ausschweifenden Partys Erinnerungslücken oder hätten dort andere, teils sehr junge Frauen beobachtet, die stark benommen gewirkt hätten, als seien ihnen K.o.-Tropfen verabreicht worden.

Zunächst waren erste Vorwürfe von Shelby Lynn auf Twitter vorgebracht worden, bei der sich weitere mutmaßliche Opfer gemeldet haben sollen; kontinuierlich veröffentlichte die Irin Bilder entsprechender Chatverläufe. Mehrere Medien, darunter NDR, Süddeutsche Zeitung und Welt, haben die Vorwürfe in den vergangenen Tagen untersucht und in Recherchen teilweise erhärtet. Die Welt hat sich im Rahmen ihrer Recherche von weiteren Frauen, die ähnliche Erlebnisse geschildert hatten, eidesstattliche Erklärungen geben lassen, die auch bei einem möglichen Gerichtsprozess relevant sein könnten.

In dieser Woche erschütterte dann das Video der Berliner Influencerin und Youtuberin Kayla Shyx die Medien. Darin berichtet die junge Frau von angeblichen eigenen Erlebnissen auf einem Konzert von Rammstein im Juni 2022: Sie sei damals von Alena Makeeva, die sich als Lindemanns „Casting-Director“ bezeichnet, zur Aftershowparty ins Berliner Olympiastadion eingeladen worden. Makeeva, so heißt es mittlerweile, sei für die Rekrutierung junger Frauen zuständig gewesen, die im Rahmen der Konzerte Sex mit Lindemann haben sollten.

Die Influencerin Kayla Shyx berichtet von ihren eigenen Erfahrungen auf einem Rammstein-Konzert.
Die Influencerin Kayla Shyx berichtet von ihren eigenen Erfahrungen auf einem Rammstein-Konzert.YouTube

Kayla Shyx: Viele Mitarbeiter seien beteiligt

Zusätzlich schildert Kayla Shyx die Erlebnisse anderer Frauen, die sich ihr in den vergangenen Wochen anvertraut hätten; auch sie untermauert diese Behauptungen teilweise mit abfotografierten Chatverläufen: In ihrem Video beschreibt die Influencerin ein aus ihrer Sicht ausgeklügeltes System, durch das Lindemann bei Konzerten immer wieder sehr junge weibliche Groupies und junge Frauen zugeführt worden sein sollen.

Laut ihrer Schilderungen seien sie und andere junge Frauen im Juni 2022 in einen abgeschiedenen Raum jenseits der großen Backstageparty, auf der viele Prominente anwesend gewesen seien, geführt worden, um dort Lindemann kennenzulernen, der sich dann eine Frau habe „aussuchen“ können. Shyx berichtet, sie sei von Alena Makeeva zum Alkoholkonsum gedrängt worden und habe das Gefühl gehabt, dass andere anwesende Frauen unter Drogen gesetzt worden seien.

Auch vier Sicherheitsmänner seien anwesend gewesen, beschreibt sie, den Frauen seien die Handys abgenommen worden, die Ausgänge durch Securitys bewacht gewesen. Nachdem Kayla Shyx aus der Situation geflohen sei, habe ihr später eine andere anwesende Frau erzählt, dass Lindemann zwar nicht mehr aufgetaucht sei, die Gruppe junger Frauen aber mit einem Bus zu ihm ins Hotel gebracht worden sei.

Angesichts solcher Schilderungen, die sich mit vielen Darstellungen anderer Frauen decken und ein entsprechendes System vermuten lassen, muss die Frage erlaubt sein: Wie viele Mitarbeiter von der Security, aus Organisation oder Catering haben von diesem Prozedere gewusst? Und ob sie sein Verhalten unter Umständen über Jahre zumindest geduldet haben?

Die Welt lässt sich eidesstattliche Erklärungen geben

Die Welt will im Rahmen ihrer Recherchen mit Blick auf entsprechende Partys aus dem Umfeld von Rammstein erfahren haben: „Von der Band sei oft nur Sänger Lindemann anwesend gewesen.“ Laut der Bild-Zeitung sei Lindemann in der Band zwar schon seit längerem isoliert, in der Vergangenheit habe es immer wieder Trennungsgerüchte gegeben – auch, weil man seine angeblichen Eskapaden satthabe. In der Branche werde bereits von „Rammstein 5 plus 1“ gesprochen. Allen Mitgliedern der Band sei allerdings bewusst, dass Till Lindemann als unbestrittener Frontmann und Gesicht der Band maßgeblicher Bestandteil des Erfolges sei.

Sollten sich die schweren Vorwürfe gegen Lindemann als richtig erweisen, fragt man sich vor diesem Hintergrund, ob den anderen Bandmitgliedern ein entsprechendes Prozedere, vor allem auch unter Drogeneinfluss stehende junge Frauen während der Konzerte und auf den Partys zumindest nicht mal aufgefallen sind.

Welche Verantwortung tragen die anderen Bandmitglieder?

Kayla Shyx behauptet in ihrem Video, in der Musikindustrie sei bekannt, dass Till Lindemann „krank sexsüchtig ist“. Auch behauptet die Youtuberin, dass es um die russische „Casting-Direktorin“ Alena Makeeva viele Leute gegeben habe, die die Frauen einschüchtern würden. Angeblich wüssten Makeeva und andere aus dem Umfeld Lindemanns über das Vorgehen genau Bescheid: „Das wissen alle, deren Manager wissen davon. Es passiert bei jedem einzelnen Konzert.“

Laut der Welt soll Rammstein Makeeva inzwischen mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben entbunden haben, auch sei angeordnet worden, dass sie keine Konzerte der Band mehr besuchen dürfe. Zudem sei eine renommierte Rechtsanwaltskanzlei damit beauftragt worden, die Vorwürfe zu untersuchen.

Sollten sich die Vorwürfe gegen Till Lindemann weiter erhärten, werden sich auch die anderen fünf Bandmitglieder in den kommenden Wochen zumindest unangenehme Fragen gefallen lassen müssen.