Lassen sich alle Probleme dadurch lösen, dass sich ein Männersextett mittleren Alters bei einer Bühnenshow sexy entkleidet? Nun, so einfach ist es nicht. Dennoch bereitete die britische Tragikomödie „Ganz oder gar nicht“ im Jahr 1997 großes Vergnügen, indem sie den arbeitslosen Stahlarbeiter Gaz dabei zeigt, wie er in der englischen Stadt Sheffield fünf Leidensgenossen dazu bringt, mit ihm eine Striptease-Truppe zu gründen, um an einem spektakulären Abend rasch an Geld zu gelangen.
Der Film, inszeniert von Peter Cattaneo nach einem Skript von Simon Beaufoy, erzählte seine charmante Geschichte in knackigen 90 Minuten – und schaffte es bei aller Leichtigkeit, die Ängste seiner Figuren ernst zu nehmen. Er ließ die Männer lustvoll mit Tabus brechen, über ihr Selbstbild nachdenken und gönnte ihnen einen Triumph, ohne uns vorzugaukeln, dass damit sämtliche Schwierigkeiten mal eben fröhlich weggetanzt wurden. Als Lohn für die stimmige Mischung aus Humor und Sozialkritik gab es unter anderem einen Oscar für die Musik und drei weitere Oscar-Nominierungen für die Regie, das Drehbuch und den besten Film.
26 Jahre später kehren Gaz (Robert Carlyle), Dave (Mark Addy), Gerald (Tom Wilkinson) und das gesamte restliche Personal zurück. Allerdings nicht auf die Kinoleinwand, sondern in Form einer achtteiligen, rund 400-minütigen Miniserie. Im Schnelldurchlauf wird uns zu Beginn vor Augen geführt, was sich im Vereinigten Königreich im vergangenen Vierteljahrhundert so getan hat. Die ernüchternde Bilanz: Noch immer, womöglich gar mehr denn je, fühlen sich die Leute in Sheffield von der Politik alleingelassen. Nicht nur die alten Figuren, sondern auch die nächste Generation sieht für sich kaum Perspektiven.
Serie „Ganz oder gar nicht“ auf Disney+: rebellische Gesangseinlagen
Dass „Ganz oder gar nicht: Die Serie“ deutlich mehr Zeit zur Verfügung hat, um das Leben in der Stadt zu beleuchten, hat einerseits klare Vorteile: Den einstigen Nebenfiguren, zum Beispiel Daves Frau Jean (Lesley Sharp), kann der nötige Raum gegeben werden. Außerdem sind die Neuzugänge teilweise spannend – etwa Gaz’ Punk-Tochter Destiny (Talitha Wing), die zwischen Schulverweigerung, Autodiebstahl und erster Liebe zu einem Mitglied des sogenannten „Rache-Chors“ wird, dessen rebellische Gesangseinlagen an den Elan der Tanznummern aus dem Original erinnern.
Andererseits nutzt die Serie die erheblich längere Laufzeit nicht durchweg produktiv. Manche Ideen wirken halbgar, darunter eine mäßig lustige Dognapping-Eskapade und eine ziemlich oberflächliche Abarbeitung am Thema Cancel Culture, dem nichts Interessantes abgewonnen werden kann, wenn über „Political-Correctness-Nazis“ gelästert wird. Unsere tapferen Anti-Helden des 90er-Jahre-Films als Grumpy Old Men? Bitte nicht!
So bringen einige maue Einfälle das große Ganze zuweilen unschön aus dem Takt. Die ernsthaften Sorgen, die alle Beteiligten umtreiben, haben in der Erzählung aber immer noch ihren Platz. Die örtliche Schule muss renoviert werden. Ehen und Beziehungen stecken in Krisen. Und selbst der Tod ist zu teuer, weshalb kreative Beerdigungsoptionen gefunden werden müssen. „So please keep me in your heart“, heißt es in einem Song von Richard Hawley, der im Finale erklingt. Das werden wir mit diesen Figuren gewiss tun – trotz diverser Schwächen des seriellen Nachklapps.


