Sie gehören zum Stadtbild und zum Sound von Berlin: Nebelkrähen. Asphaltgraue Klamotten, breitbeiniger Gang, wache Verschlagenheit und ein ausgeprägter, sicher nicht persönlich gemeinter Hang zum Motzen – mit einer Stimme wie geformt von Doppelkorn und Karo ohne Filter. Es ist ein bisschen schade, dass Martin Schilts Filmporträt „Krähen – Die Natur beobachtet uns“ den Vögeln und ihren Verwandten in die ganze Welt und tief hinein in die Geschichte folgt, aber nicht hier am Alexanderplatz vorbeikommt.
Was soll’s. Der Wiener Prater, die Häuserschluchten Tokios, die Mülldeponien Indiens, die Dschungel auf den Neukaledonischen Inseln oder die Eiswüsten von Nordkanada geben ja auch ganz schöne Bilder her – zumal im Breitwandformat. Und zumindest in den liebevoll gestalteten Animationen (Patrick Graf), die die Menschheitsgeschichte im Kurzdurchlauf aus der Perspektive des Vogels zeigen, landen wir nach einem Husarenritt kurz in Berlin. „Kein Tier kennt uns besser“, sagt die salbungsvolle, aber auch ein bisschen unheilschwangere Stimme von Elke Heidenreich. „Wir sind verbunden, unsere Geschichten und unsere Geschichte. Fast überall, wo Menschen sind, sind auch Rabenvögel.“
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Sie gesellen sich in der Eingangstricksequenz zu Neandertalern, hinterlassen ihre Spuren in Höhlenmalereien und auf Papyrusrollen, flattern auf, wenn Jesus am Kreuz die Lanze in die Seite bekommt, sie tapsen satt über Schlachtfelder, erkennen sich in den Schnabelmasken der Pestärzte wieder, blicken melancholisch über die Landschaft aus rauchenden Schloten der industriellen Revolution und sind eben auch dabei, wenn am vermeintlichen Ende der Geschichte die Mauer kippt. Sehr schön ist der Schluss des Vorspanns: Da zersplittert klirrend die Leinwand, weil ein Vogel eine Überwachungskamera mit dem Schnabel zerpickt. Ein Bild, das möglicherweise die bevorstehende Machtübernahme durch die intelligenten Vögel vorwegnimmt. Sie werden ein leichtes Spiel haben, wenn die Menschen so weitermachen. Überquellende Mülldeponien, Naturkatastrophen und Schlachtfelder waren für sie schon immer Festbankette.
Was immer man auch charakterlich von einer Nebelkrähe halten mag, die eine sich wehrende Ratte am Schwanz auf die Fahrbahn zieht, damit diese unter ein Auto kommt und in schnabelgerechte Teile zerplatzt – intelligent ist dieses Vorgehen. Krähen sind vor allem Aas- und Fleischfresser, die sich schwer damit tun, Tiere, die nicht deutlich kleiner als sie selbst sind, zu töten. Und auch größere Kadaver können sie nicht ohne Hilfe aufbrechen, weswegen sie, seit es sie gibt, Raubtieren folgen, wir sagen wertfrei Prädatoren. Als besonders geeignete Symbiosepartner haben sich die Menschen herausgestellt. Es geht um ein gegenseitiges Interessenabkommen, nicht um Liebe.
Der Rabe ist ein Lügner
Ein indigener Jäger, der sich mit seinem Schneemobil und mit Eis im Bart von Kolkraben zu den Moschusochsen- und Karibuherden führen lässt, formuliert es so: „Wir sind aufeinander angewiesen und lassen uns in Ruhe. Der Rabe hat stets ein Anliegen. Wenn du ihn beobachtest und ihm zuhörst, kannst du es verstehen.“ Und nach kurzem Zögern hebt er die Stimme und fügt hinzu: „Aber vertrau ihm nicht. Er ist ein Lügner.“ Seine Vorfahren hätten die Flugmuster und Rufe noch präziser entschlüsseln können, so heißt es. Und diese Art der Kommunikation gebe es noch immer zwischen Raben und Wölfen. Die Vögel orten die Tiere, die den Wölfen zur Beute werden, von denen die Vögel wiederum etwas abbekommen. In einer sehr unerhörten Szene zwickt der eine Vogel in den Schwanz eines fressenden Wolfes, der dreht sich empört um, und eine zweite Krähe klaut ihm seinen fetten Bissen.
Der amerikanische Zoologe Bernd Heinrich (von ihm stammt das Buch „Die Seele der Raben“) ist überzeugt von der einzigartigen Intelligenz der Vögel, abgesehen von der menschlichen. Er attestiert ihnen eine Neophilie, eine Liebe zu neuen Dingen. Weil diese Liebe mit hohem Risiko verbunden ist, lassen sie zugleich große Vorsicht walten. Sie seien fähig, ihre Schlüsse zu ziehen, und besäßen eine ausgeprägte Beobachtungsgabe, mit der sie die ungewohnte Situation nicht meiden, sondern auf ihre Chancen prüfen und am liebsten andere vorschicken. „Sie sind nicht programmiert“, sagt Heinrich. „Sie spielen.“
Verhaltensforscher berichten von den Fähigkeiten zur differenzierten Kommunikation, zur Verknüpfung von Dingen, zum Gedächtnis. Krähen können zwischen guten und bösen Menschen unterscheiden und dieses Wissen an ihre Kinder weitergeben, wie Experimente mit Gummimasken belegen. Sie wissen, mit welchem Auto der Kammerjäger kommt, bei anderen Autos machen sie sich nicht die Mühe der Flucht. Zu welchen Innovationen eine Krähe fähig ist, wenn man sie in Ruhe lässt, zeigen die Neukaledonienkrähen auf ihren abgeschiedenen Inseln, wo sie sich unbedroht von anderen Tierarten zu regelrechten Werkzeugmachern entwickeln konnten.












