Was für ein Glück, dass Charles Foster dem Widerspruch, an dem er leidet, so viel abgewinnt. Je fester dieser Widerspruch den Autor in die Zange nimmt, je verzweifelter sein Ringen ist, desto intensiver funkelt, spricht und klingt die Poesie, die bei diesem Kampf abfällt. Dass Foster dabei zu schnell aus der Puste kommt, steht nicht zu befürchten, schließlich ist der 61-jährige Veterinärmediziner und Anwalt, der Ethik und Rechtsmedizin in Oxford unterrichtet, schon zum Nordpol gestiefelt und hat am Marathon des Sables teilgenommen, einem ungefähr 230 Kilometer langen Rennen in sechs Etappen durch die marokkanische Sahara.
Von anderen Experimenten mit vielleicht noch größerem körperlichem Einsatz legte er in seinen beiden Büchern „Being a Beast“ (zu Deutsch: „Der Geschmack von Laub und Erde“) und „Being A Human“ („Jagen, sammeln, sesshaft werden“) ab. Da versuchte er durch ein von ihm erfundenes mimetisches, inspiratives Forschungsverfahren, Grenzen zu anderen Wesen zu überschreiten und dabei Erkenntnisse und Einblicke zu gewinnen, zum Beispiel, indem er wochenlang wie ein Dachs oder ein Steinzeitmensch im Wald lebt und sich entsprechend von Wurzeln, Regenwürmern oder überfahrenen Igeln ernährt.
Für diese Methode ist Foster von der Havard-University mit dem lg-Nobelpreis ausgezeichnet worden, einer parodistischen Auszeichnung, ja, aber dennoch einer ehrenvollen. Denn lg-Nobelpreise werden laut Satzung für Leistungen verliehen, die einen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen. Bei Foster kommen nach dem Nachdenken noch das Weinen und das Verstummen und das erneute Lachen.
Denn die größte Hürde der empirisch-intuitiven Anverwandlung ist die Tatsache, dass die untersuchten Wesen – Forschungsobjekte darf man sie nicht nennen – keine Sprache benutzen und man sie deshalb natürlich auch nicht mit Sprache fassen kann. Was immer Foster in dieser Weise als Dachs erfährt, es teilt sich ihm nicht in Worten mit, es darf streng genommen gar nicht in das Stadium des Menschlich-Bewussten vordringen, was eine unzulässige Übersetzung wäre. Und das macht es natürlich schwierig, die Kunde des Dachses mit uns menschlichen Lesern qua Sprache zu teilen.
Ein Zeugnis tragischer Liebe
Dasselbe Problem hat er nun auch wieder, wenn er in seinem neuen Buch über Mauersegler schreibt. Aber gerade durch diese Krise wird es zu einem Meisterwerk der tragischen Liebe. „Der Ruf des Sommers. Das erstaunliche Leben der Mauersegler“ heißt dieses Zeugnis der Sehnsucht, das getragen ist von einem großen Zweifel an dem Unterfangen eben dieses Buches: „Den Mauerseglern zu folgen, erweist sich als eine Schulung in Nichtwissen. Das ist eine uralte und wichtige, doch in Vergessenheit geratene Kunst. Allerdings macht sie es einem ziemlich schwer, ein Buch über Mauersegler zu schreiben, denn Bücher sollen ja von etwas handeln, sie sollen uns weiterbringen, unsere Leerstellen füllen, nicht unsere Unwissenheit vergrößern und zelebrieren und Aussagen über die Absurdität von Aussagen treffen.“

Dieser Widerspruch hält ihn nicht davon ab, alles auf dieser Welt verfügbare Wissen über Mauersegler zu verstoffwechseln und weiteres anzuhäufen. Die Informationen und die Rätsel über die Evolution dieser Vogelart, ihre Orientierungs- und Navigationsgaben, die Beschaffenheit des Schnabels, des Kehlsacks und der Füße, über die Geschmacksvielfalt von Insekten, die zurückgelegten Distanzen und Routen, über Aerodynamik, Wetter und Literatur sind allesamt erstaunlich und hochinteressant. Viel Freude machen auch die Vergleiche der Fähigkeiten zwischen Vogel und Foster: Dass zum Beispiel ein Mauersegler sein kleines, schwer erreichbares Nest mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 70 Kilometern pro Stunde anfliegen und punktgenau mit seinen kleinen, weit hinten angebrachten Füßen im Stand landen kann, während Foster sich fast den Zeh bricht, wenn er gegen den Kamin trottet, mit geschätzt einem Kilometer je Stunde.
Was heißt nun also, „den Mauserseglern folgen“? Dem Umstand Rechnung tragend, dass Foster ohne Hilfsmittel nicht fliegen kann, schon gar nicht die ungefähr 10.000 Kilometer vom Sommer- zum Winterquartier und zurück, besucht er sie nur punktuell zum Beispiel in Mosambik, Südspanien, Griechenland und Jerusalem, aber er folgt ihnen gedanklich, assoziativ, exkursiv durch die zwölf Monatskapitel eines Jahreslaufs. Er spielt seine bis in die zartesten Details reichende Vorstellungskraft aus, denkt und fühlt sich in Situationen hinein, stellt essenzielle Fragen wie zum Beispiel die, ob Mauersegler, die sich allabendlich zu Flugritualen über der Klagemauer treffen, spielen oder doch beten, jedenfalls keinem erkennbaren Zweck dienen.
Spätestens im Mai schmachtet er mit gemischten Gefühlen ihrer Ankunft in Oxford entgegen, wo die Mauersegler im Dachkasten seines Hauses ihre Brut aufziehen werden, weil sie ihrerseits hier schlüpften, aufgezogen wurden und fliegen lernten und die „triste Straße“ als ihre Heimat ansehen. Er schämt sich dafür, wie ein unwürdiger Gastgeber sich schämen würde, der die Ehre und das Glück des hohen Besuchs nicht wert ist.
Heimat: Ein Nest aus verkackten Taubenfedern
Das ist nachvollziehbar und traurig. Aber wie schön ist es auch: „Sie verzichten auf eine Mauerritze über einem nach Gewürzen duftenden Suk in Anatolien, auf eine Marmorhöhle unter einem korinthischen Architrav in Sizilien, auf eine verlassene transsilvanische Bergfestung und eine Grotte in einer mittelalterlichen Villa bei Neapel, wo sie aus den Blättern einer Bibel aus dem 17. Jahrhundert, die in einer Scheune vor sich hin modert, ein Nest hätten bauen können. Es ist Wahnsinn, dass sie sich stattdessen innerhalb der Oxforder Umgehungsstraße einpferchen und sich für ein Nest aus verkackten Taubenfedern entscheiden, die sie in der Abluft einer Supermarkt-Klimaanlage sammeln.“





