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„Interview with the Vampire“ als Serie: Totgeglaubte leben länger

Ein schwuler Vampir holt die gebeutelte Sagenfigur aus der Schmacht- und Schmuddelecke. Diese Anne-Rice-Adaption ist die beste Vampirserie seit Jahren.

Unsterblich verliebt: Jacob Anderson als Louis de Pointe du Lac und Sam Reid als Lestat de Lioncourt.
Unsterblich verliebt: Jacob Anderson als Louis de Pointe du Lac und Sam Reid als Lestat de Lioncourt.AMC Network Entertainment LLC.

Von der Ehrfurcht gebietenden Bestie über den in der Sonne funkelnden Beau bis hin zur Witzfigur: Der Vampir musste sich in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten der Kino- und Fernsehgeschichte eine facettenreiche Bandbreite von Interpretationen gefallen lassen. Als Nosferatu oder Dracula noch für seinen Blutdurst gefürchtet oder für seine Vornehmheit bewundert, entwickelte sich der Untote spätestens mit den Adaptionen von Stephenie Meyers „Twilight“-Jugendromanreihe zum banalen Schmachtobjekt.

Der neue Anstrich griff den seit jeher vom Vampir-Mythos ausgehenden Reiz des Geheimnisvollen und Unnahbaren zwar durchaus auf, beraubte ihn dabei aber seines Fundaments. Aus dem Blutsauger, der häufig unter seiner Unsterblichkeit und der damit verbundenen Einsamkeit litt, war mit Edward Cullen (Robert Pattinson) und verwandten Figuren aus darauffolgenden Serienproduktionen wie „Vampire Diaries“ eine „Boy Band“-Variante erwachsen, um die sich eine vergleichbar leidenschaftliche Fankultur entwickelte. 

Folgerichtig wurde aus dieser unfreiwilligen Karikatur schließlich eine offene Persiflage und der Vampir wenig später in „Mockumentary“-Produktionen wie „5 Zimmer Küche Sarg“ und der zugehörigen Serie „What We Do in the Shadows“ zum Ziel von Spott. Es schien, als wäre die Zeit, in der von der dunklen Kreatur in erster Linie eine zeitlose Erhabenheit, ja eine anmutige Anziehungskraft ausging, endgültig vorbei.

Der Vampir von heute

Wer hätte gedacht, dass es die Serienadaption eines Romans von Anne Rice sein würde, die das TV-Publikum nun eines Besseren belehrt? Ausgerechnet, muss man hinzufügen, denn auch wenn das umfangreiche Schaffen der mittlerweile verstorbenen Amerikanerin unzählige Leser begeisterte, haftete ihm stets etwas überaus Kitschiges an.

Doch die nun auch in Deutschland erschienene siebenteilige AMC-Produktion „Interview with the Vampire“ gibt dem Mythos nicht nur seinen ursprünglichen Charme der existenziellen Schwere zurück. Sie übersetzt diesen dazu in unsere Gegenwart und macht ihn so in vielerlei Hinsicht für heutige Zuschauer anschlussfähig. Und das, ohne jemals den Anschein zu erwecken, sich dem Zeitgeist anbiedern zu wollen.

Dafür nimmt Showrunner Rolin Jones („Perry Mason“) gegenüber der Buchvorlage aus dem Jahr 1976, aber auch der mittlerweile zum Kultfilm avancierten Kinofassung von Neil Jordan einige bedeutende Veränderungen vor. Genau 49 Jahre nach dem titelgebenden Interview, also in unserer Jetzt-Zeit, ruft Louis de Pointe du Lac (Jacob Anderson) den gealterten Journalisten Daniel Molloy (Eric Bogosian) zu sich, um ihm erneut – diesmal mit größerer Aufrichtigkeit – aus seiner über hundertjährigen Vita zu erzählen.

Während dem Film aus dem Jahr 1994 mit Brad Pitt und Tom Cruise in den Hauptrollen noch vorgeworfen wurde, die Liebe zwischen zwei männlichen Vampiren nur anzudeuten, aber niemals offen zu thematisieren, bildet jene nun das Herzstück der neuen Serie.

Das Paar spaziert durch New Orleans.
Das Paar spaziert durch New Orleans.AMC Network Entertainment LLC.

Dabei wird Louis Erzählung über die ohnehin schon von komplexen Machtdynamiken geprägte Beziehung zu Lestat de Lioncourt (Sam Reid) ein weiterer Aspekt hinzugefügt, indem er nun nicht mehr als „gutherziger“ Sklavenhalter und Plantagenbesitzer, sondern als schwarzer Mann eingeführt wird. Einer, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Betreiber eines Etablissements im Rotlichtviertel von New Orleans wider alle rassistischen Zuschreibungen zu behaupten versucht. Selbstredend spielt seine ethnische Zugehörigkeit auch eine Rolle, wenn Lestat als weißer Emigrant aus Frankreich unversehens in sein Leben tritt. Als überaus gebildeter Lebemann, der sich augenscheinlich sehr wohl mit seiner Existenz fühlt, erweckt er sowohl Neid als auch Interesse in Louis.

„Interview with the Vampire“ – eine berauschende Seherfahrung

Anders als Romanvorlage und Filmadaption profitiert die Serie auch von einer genaueren Charakterisierung der zahlreichen Nebenfiguren. Journalist Daniel etwa ist hier nicht nur passiver Zuhörer von Louis Geschichte. Immer wieder unterbricht er dessen Ausführungen mit kritischen Nachfragen und gibt skeptische Bemerkungen zu seinem Umfeld ab, das ihn in seinem exklusiven Apartment in Dubai wie eine Gottheit verehrt.

So wird auch die Amour fou zwischen Louis und Lestat, der ihn schließlich in einen Vampir verwandelt und so zu seinem Schöpfer wird, in ihrer gesamten Fülle, ihrer Intensität und ihrer mitreißenden poetischen Kraft, aber auch in ihren toxischen Aspekten genauer beleuchtet. In ihrem Sonderstatus als lebende Tote aneinandergebunden, hat Lestat als skrupellose Kreatur, die sich schon vor weit über 100 Jahren in diesem Dasein eingerichtet hat, schließlich einen bedeutenden Erfahrungsvorteil.

Louis hingegen hadert mit seinem Gewissen und weigert sich immer wieder, für sein eigenes Überleben Menschen zu töten oder das Jagen gar als lustvollen Akt zu zelebrieren, wie Lestat es tut. Während Ersterer somit den moralischen und philosophischen Kompass der Serie verkörpert, taucht die Handlung durch Letzteren in die sinnlichen Aspekte des Vampir-Mythos ein. Durch seine unverhohlene Dekadenz, aber auch seine Begeisterung für alles, das von obskurer Schönheit ist, wird „Interview with a Vampire“ immer wieder zu einem berauschenden Seherlebnis. Mara Lepere-Schloops („Django Unchained“) aufwendigem Produktionsdesign und Carol Cutshalls detailreichen Kostümen ist ein Großteil der bestechenden Ästhetik der Serie zu verdanken.

Trio infernal: Die Vampire mit ihrem neuen Schützling Claudia (Bailey Bass).
Trio infernal: Die Vampire mit ihrem neuen Schützling Claudia (Bailey Bass).AMC Network Entertainment LLC.

Dass der Stoff eines ursprünglich zweistündigen Films inhaltlich über eine gesamte Staffel trägt, liegt vor allem an der Figur der Claudia (Bailey Bass). Die Rolle des Mädchens, das von Louis und Lestat mit einer Verwandlung zum Vampir vor dem sicheren Tod bewahrt wird, verschaffte der damals zwölfjährige Kirsten Dunst den Durchbruch. In der Serie ist Claudia nun etwas älter; als zornige Untote, die auf immer in einem pubertierenden Körper feststeckt, werden ihr eigene amouröse Ambitionen zugestanden. Ebenso wie Jacob Anderson (bekannt als Grauer Wurm aus „Game of Thrones“) und Sam Reid („Anonymous“) erweist sich Bailey Bass als herausragende Besetzung. Gemeinsam bilden die Schauspieler ein Trio infernal, das mit beeindruckender Eleganz zwischen den unterschiedlichen Facetten dieser Geschichte, zwischen Tragik, Horror, Erotik, Melodram und sogar Komik wandelt.

Totgesagte leben länger, das beweist „Interview with the Vampire“ im Hinblick auf den Blutsauger-Mythos mit Verve. Man darf gespannt sein, worauf sich die bereits bestätigte zweite Staffel fokussieren wird – und ob die weiteren Adaptionen aus dem Anne-Rice-Kosmos, an denen AMC derzeit arbeitet, ein vergleichbarer Triumph für das Fantasy-Genre werden könnten, wie es dieses Bravourstück für den Vampir-Kanon ist.

Wertung: 5 von 5 

Interview with the Vampire. Serie, 7 Folgen, ab 6. Januar  immer freitags ab 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Atlantic sowie auf dem Streamingdienst WOW und über Sky Q.