Serien-Spektakel

„Game of Thrones“-Prequel „House of the Dragon“: Der Wahnsinn geht weiter

Drei Jahre nach dem Ende von „Game of Thrones“ soll eine neue Serie über die Geschichte der Familie Targaryen an den Hype anknüpfen. Das wird nicht gelingen.

Beide wollen auf den Eisernen Thron: Emma D’Arcy als Prinzessin Rhaenyra Targaryen und Matt Smith als Prinz Daemon Targaryen.
Beide wollen auf den Eisernen Thron: Emma D’Arcy als Prinzessin Rhaenyra Targaryen und Matt Smith als Prinz Daemon Targaryen.HBO

Acht Jahre lang dominierte „Game of Thrones“ die Popkultur. Keine Serie gewann jemals mehr Emmy Awards (59), keine wurde öfter illegal gestreamt, was in der aktuellen Medienlandschaft wohl als der am meisten vernachlässigte Wert zum Messen von Erfolg gelten kann. Anstatt sie davon abzuhalten, brachte die Serie Menschen generationenübergreifend zum Reden, miteinander, auch solche, die mit Fantasy sonst nichts anfangen konnten. Über Jahre hinweg wurde gerätselt, und zwar Woche für Woche, weil sich HBO bis heute dem Binge-Trend entgegenstellt, was es mit den lebenden Toten auf sich hatte, wer Jon Snows Mutter war und natürlich, wer am Ende auf dem Eisernen Thron sitzen würde.

Es war ein Hype, den die konkurrierenden Streaming-Anbieter seit dem Serienende 2019 zu reproduzieren suchen, bisher ohne Erfolg. Amazon schickt im September ein neues Pferd ins Rennen, das teuerste aller Zeiten, die Tolkien-Serie „Die Ringe der Macht“ mit fünf Staffeln, die eine Milliarde (!) Dollar kosten sollen.

Der Sender HBO, der für die deutsche Ausstrahlung mit Sky kooperiert, versucht es nun noch mal mit George R. R. Martin. Dessen „Das Lied von Eis und Feuer“-Romanreihe war die Grundlage für „Game of Thrones“, zumindest bis zur sechsten Staffel. Weil Martin die letzten zwei Romane bis heute noch schuldig ist, lag die Handlung ab hier in der Verantwortung der Showrunner David Benioff und D. B. Weiss, sehr zum Unmut vieler Fans. Auch der Autor selbst schlug am Ende immer öfter skeptische Töne an, blieb aber brav Teil der PR-Maschine.

Inzest, Drachen, Wahnsinn

Müsste man eine der zahlreichen Hauptfiguren zum Gesicht von „Game of Thrones“ erklären, es wäre Daenerys Targaryen alias Mutter der Drachen, Sprengerin der Ketten, Khaleesi et cetera pp. Die hellblonde Drachenreiterin, gespielt von Emilia Clarke, brachte es in acht Staffeln von einer hilflosen Kinderbraut bis zur Herrscherin von Westeros, stets als Verfechterin der Unterdrückten, bis Benioff und Weiss ihre moralische Integrität in einem Flammeninferno aufgehen ließen.

Daenerys (Emilia Clarke) aus „Game of Thrones“, die bislang bekannteste Vertreterin des Hauses Targaryen
Daenerys (Emilia Clarke) aus „Game of Thrones“, die bislang bekannteste Vertreterin des Hauses TargaryenHBO

Mit diesem Pfund wuchert nun „House of the Dragon“, wie zuvor auch schon George R. R. Martin, der 2018 mit „Feuer und Blut“ ein fiktives Geschichtsbuch zum Aufstieg und Fall des Hauses Targaryen vorlegte. Angeblich das erste von zweien, doch da darf man bei Martin der Erfahrung nach skeptisch bleiben. Auf gut 700 Seiten beschreibt der Autor darin die erste Hälfte der knapp 300 Jahre andauernden Regentschaft des Hauses Targaryen, dessen Faszination sich zum Großteil aus zwei Quellen speist. Zum einen hat die blonde Sippe einen historisch belegbaren „Hang zum Wahnsinn“, womöglich aufgrund einer genetischen Disposition, die durch die gängige Praxis, sich innerhalb der Familie fortzupflanzen, befördert wird. Zudem sind die Targaryens die letzten sogenannten Drachenlords, und die majestätischen Kreaturen eignen sich nicht nur als Transportmittel, sondern kommen in ihrer Bedeutung als Waffe einer Atombombe gleich. Mit einem Drachen will sich niemand anlegen, ihre bloße Erwähnung lässt potenzielle Feinde die Füße stillhalten. Schwierig wird es dann, wenn sich ihre Reiter untereinander verkrachen, was, wie „Game of Thrones“-Zuschauer längst wissen, schließlich zum Ende der Targaryen-Dominanz in Westeros und dem vermeintlichen Aussterben der Drachen führte.

Ein kurzer, aber essenzieller Teil der Geschichte, wie es dazu kam, wird nun in „House of the Dragon“ erzählt. Weil Martin seine Geschichtsschreibung verhältnismäßig knapp hält und als fiktiver Historiker die Schwächen seiner Quellen explizit betont („... viel von dem, was in den folgenden Jahren passierte, geschah hinter verschlossenen Türen, in der Privatheit von Treppenhäusern und Schlafgemächern, und die ganze Wahrheit darüber wird wahrscheinlich nie bekannt werden“), sie als „Erinnerungen gealterter Männer“ an die „Skandale ihrer Jugend“ bezeichnet, hatten die neuen Showrunner Miguel Sapochnik und Ryan Condal viel kreative Freiheit. Die nutzen sie, vorerst um mit dem Patriarchat in Westeros abzurechnen.

Sexuelle Gewalt wird nicht mehr explizit gezeigt

Martins Werk aus feministischer Perspektive abzuklopfen wäre mindestens ein Kapitel für sich, mit ambivalentem Ergebnis. „Ein Herrscher braucht einen guten Kopf und ein aufrichtiges Herz. Ein Schwanz ist nicht essenziell“, ließ er die Ehefrau eines Targaryen-Königs sagen; die eindrücklichsten Figuren seiner Welt waren Frauen: Die grausame Königin Cersei, die rachsüchtige Arya und eben Daenerys. Doch das Leid, das er ihnen auferlegte, hatte in seiner Formulierung und Darstellung in „Game of Thrones“ auch stets Sensationscharakter. Sie wurden zusammengeschlagen, vergewaltigt, gefoltert, besonders die unfreiwilligen Sex-Szenen von Sansa Stark in ihrer Hochzeitsnacht und von Cersei Lannister neben dem Leichnam ihres Sohnes wurden bei ihrer Ausstrahlung mit großer Entrüstung aufgenommen.

In „House of the Dragon“ werde es wieder Sexszenen geben, man habe aber bewusst auf die grafische Darstellung von sexueller Gewalt verzichtet, sagte die Produzentin Sara Hess im Interview mit dem amerikanischen Magazin Vanity Fair. „Es gibt einen Vorfall, den wir allerdings nicht explizit zeigen, stattdessen konzentrieren wir uns auf die Konsequenzen für das Opfer und die Mutter des Täters.“

In der schockierendsten Szene der ersten sechs Folgen, die der Presse vorab zugänglich waren, ist allerdings wieder eine Frau die Leidtragende, zwar nicht als Opfer sexueller Gewalt, sondern eines Systems, das ungeborenes Leben dem der Mutter überstellt. Es ist eine Szene, die es in der literarischen Vorlage nicht gibt, zu verstehen als klares Statement der Serienmacher zu aktuellen politischen Entwicklungen in diversen Teilen der realen Welt.

Gilt als nett: König Viserys Targaryen (Paddy Considine)
Gilt als nett: König Viserys Targaryen (Paddy Considine)HBO

Nach dieser Szene steht der amtierende Machthaber Viserys Targaryen (Paddy Considine) vor einem Problem: Er hat keinen männlichen Erben, doch die Frage der Thronfolge muss dringend geklärt werden, auch, weil dem Herrscher langsam die Gliedmaßen abfaulen. Es steht Not gegen Elend: Sein Bruder Daemon (Matt Smith) ist offensichtlich ein Sadist, sein einziges Kind Rhaenyra (Milly Alcock, später Emma D’Arcy) ein Mädchen. Eine Frau auf dem Thron könnte das aktuell weitgehend befriedete Reich wieder ins Chaos stürzen, so der Konsens im königlichen Dunstkreis. Viserys setzt sich darüber hinweg, merkt allerdings bald, dass er seine Tochter in puncto Eigenwilligkeit oder Wahnsinn, je nach Interpretation, unterschätzt hat.

Rhaenyra will nicht heiraten („Für Männer ist die Ehe ein politischer Akt, für Frauen ein Todesurteil“), keine Erben produzieren, sich verlieben und dieser Liebe trotzdem nicht ihre Ambitionen unterordnen. Somit tritt sie in die Fußstapfen von Daenerys, oder ebnet ihr den Weg, je nachdem, in welcher Zeitrechnung man denken möchte.

George R. R. Martin ist zufrieden

Generell werden sich „Game of Thrones“-Zuschauer in der Welt von „House of the Dragon“ schnell zu Hause fühlen. Ramin Djawadi empfängt sie wieder mit seinem berühmten Soundtrack, und auch ein Großteil der Spielorte ist altbekannt. In puncto Komplexität kann das Prequel allerdings nicht mithalten, was zu erwarten war. Die Originalserie erzählte die Geschicke der Welt aus zahlreichen Perspektiven, der von starken Protagonisten, die essenzielle Rollen für den Ausgang spielten. In „House oft the Dragon“ geht es dagegen nur um eine Familie, deren Eskapaden zwar in Maßen angepasst und ausgeschmückt werden können, das daraus resultierende Schicksal steht als fester Bestandteil einer größeren Fantasy-Chronik letztendlich aber fest.

Hype und Rätselraten werden sich also in Grenzen halten, trotzdem ist „House of the Dragon“ eine visuell und dramaturgisch glänzende Perle im Schmuckkästchen von HBO geworden, deren Macher eigene Schwerpunkte gesetzt und Änderungen vorgenommen haben in einem Werk, das für einige seiner Anhänger identitätsstiftenden Charakter hat. Dabei nahmen Sapochnik und Condal auch Gegenwind in Kauf, beispielsweise indem sie Corlys Velaryon alias die Seeschlange mit dem Schwarzen Schauspieler Steve Touissant besetzten.

Auch George R. R. Martin äußerte sich in seinem Blog positiv über die Serie: „Ryan, Miguel und ihr tolles Ensemble und die Crew haben großartige Arbeit geleistet. Hot D (House of the Dragon) ist alles, was ich mir davon erhofft hatte; dunkel, stark, blutig, verstörend, atemberaubend anzusehen, bevölkert von komplexen und sehr menschlichen Charakteren, die von wirklich tollen Schauspielern zum Leben erweckt werden.“

Dass „Hot D“ nicht die Lebensdauer von Game of Thrones erreichen wird, ist trotzdem zu erwarten, doch die Cashcow Martin ist längst nicht ausgemolken. Mehrere weitere Spinoff-Serien, darunter auch Animationen, sind bei HBO bereits in Arbeit.

Die erste Episode von „House of the Dragon“ wird in der Nacht zum 22. August beim Streamingdienst WOW und über Sky Q abrufbar sein, sowie abends um 20.15 Uhr auf Sky Atlantic laufen. Neue Folgen folgen wöchentlich.