SFD ist die Abkürzung für die Staatliche Filmdokumentation der DDR. In ihrem Auftrag entstanden zwischen 1971 und 1986 rund 300 Berichte über den Alltag im Sozialismus. Das Material verschwand sofort im Archiv. Es sollte künftigen Generationen einen realistischen Blick auf die sozialistische Gesellschaft im Aufbau ermöglichen, das heißt, es wurde nicht beschönigt, nicht zensiert. Den Nachkommenden sollte vor Augen geführt werden, welche Schwierigkeiten und Hindernisse überwunden werden mussten, bis das große Ziel erreicht war. Vielleicht sollte man sich von hoher Warte aus auch ein wenig über die Anfänge amüsieren dürfen. Es ist Stephan Müller zu verdanken, dass ein Teil dieses unschätzbaren Materials nun erstmals auf großer Leinwand zu sehen. Unter seiner Regie findet die Prenzlauerberginale bereits zum siebten Mal statt.
Für diese Ausgabe haben Müller und seine Mitstreiter knapp 40 Filme der Staatlichen Filmdokumentation gesichtet und vier halbstündige Kompilationen zu verschiedenen Themen erstellt: Alte Menschen in der Stadt, BVB und Reichsbahn, Schornsteinfeger und Marktschreier – und Wohnungsprobleme. So besuchen die Filmemacher ein junges Ehepaar mit Kleinkind in deren Zwei-Zimmer-Wohnung, die sie sich mit einem anderen Paar mit Kleinkind teilen. Er studiert Zahnmedizin, sie ist Diplom-Ingenieurökonom, so stellt sie sich vor. Gegendert wurde damals, Anfang der 1980er-Jahre, noch nicht.
Die Kamera fährt durch den Raum, vorbei an Kinderbett, Ehebett, Schrank, Kachelofen, neben dem die Wäsche trocknet. Alles dicht an dicht. Am Abend sind sie zu sechst in der Küche, müssen sich gegenseitig ständig den Vortritt lassen, damit sie sich nicht umrennen, und das längst müde gewordene Kind darf zuerst in die Badewanne. „Man trifft sich einfach zu viel in dieser Wohnung“, sagt der angehende Zahnmediziner. „Alle fünf Minuten trifft man sich. Das ist schlimm.“ Seine Frau erzählt: „Wenn wir es uns am Sonnabendabend gemütlich machen wollen, legen wir uns eine dicke Decke auf die Erde und eine auf den Bauch. Das ist dann unsere Gemütlichkeit.“ Damals wie heute hat die Wohnungsfrage Einfluss auf die Lebensplanung. „Ein zweites Kind“, sagt er, „davon muss man eigentlich Abstand nehmen.“
Es ist, als ob die Geschichte sich im Kreis dreht, ungeachtet des Systems
Das ist Volks- und Heimatkunde, eine Zeitreise ohne Nostalgie, die aber doch eine merkwürdige Wehmut weckt, wenn man die Zeiten noch kennt, in denen junge Frauen Dauerwelle trugen und an den Wänden Blümchentapete klebte und die Vorhänge blickdicht sind. Die Fassaden waren seit Kriegsende nicht renoviert worden. Dem Genossen Bezirksstadtrat fällt es merklich schwer, frei von der Leber weg über die Probleme zu sprechen, mit denen die Bürger in seine Sprechstunde kommen. Er nennt sie vielschichtig, es ginge um Wohnungsangelegenheiten. Der Bürger dagegen nimmt kein Blatt vor den Mund.

„Würde es Ihnen Spaß machen, in einem Zehn-Quadratmeter-Zimmer zu wohnen?“, fragt der Mann mit dem Backenbart Richtung Kamera. „Wenn ich den Schrank aufmachen will, muss ich die Sessel wegschieben, wenn ich zum Bett will, muss ich schieben.“ Dabei solle man sich zu Hause doch wohlfühlen, man solle sich erholen. Das schlimme an seiner Lage: „Sehr viel Hoffnung habe ich nicht mehr.“ Es gibt damals einen Vergabeplan, der wurde abgearbeitet, und es blieb doch immer ein Überhang aus dem Vorjahr. Es gibt eine Wohnungstauschbörse, es gibt soziale Härtefälle, alles schon mal dagewesen, als ob die Geschichte sich im Kreis dreht, ungeachtet des Systems.
Zwei junge Frauen haben ihre Wohnungen aufgebrochen. Die Filmemacher zeigen sie im Gespräch mit einem älteren Hausbewohner, der ein Problem mit dem Schwarzwohnen hat, wie es damals hieß. „Warum ziehen sie in eine gesperrte Wohnung ein“, fragt er. „Weil ich die Wohnung brauche“, antwortet die junge Frau mit trotzig vor der Brust verschränkten Armen. „Wenn man einen Antrag stellt, muss man sieben, acht Jahre warten. So viel Zeit hat man im Leben nicht.“
Gezeigt wird auch die Langzeitdokumentation „Prenzlauer Berg Walzer“
Ergänzt wird das dokumentarische SFD-Material mit Spiel und Dokumentarfilmen. So wird der Defa-Film „Berlin um die Ecke“ des Regisseurs Gerhard Klein gezeigt, der vom Leben kleiner Leute erzählt, auch von Missständen. In der DDR war der Film verboten. Hervorzuheben ist die Langzeitdokumentation „Prenzlauer Berg Walzer“ von Jörg Foth und seinem Kameramann Thomas Plenert, die Dreharbeiten begannen in der Nacht des Mauerfalls, Foth lässt sich erzählen, wie die Menschen im Prenzlauer Berg in der neuen Zeit zurechtkommen. Ein Satz, der stellvertretend dafür steht, was man als DDR-Bürger alles in Erfahrung bringen musste, und der dem BRD-Bürger ermöglichte, einen systemimmanenten Widersinn zu erkennen, stammt von einem angehenden Bauunternehmer: „Ich hab rausbekommen, dass nur reiche Leute Kredite bekommen.“




