Journalismus

Holger Friedrich: Welche Standards sollten im Journalismus gelten?

Das Grundgesetz schützt die Freiheit der Presse. Doch wird diese Sonderstellung immer wieder missbraucht. Eine Einladung zur Debatte.

Holger Friedrich ist Verleger der Berliner Zeitung.
Holger Friedrich ist Verleger der Berliner Zeitung.Volkmar Otto

Vor einiger Zeit wandte sich der frühere Bild-Chefredakteur Julian Reichelt an mich. Er bot mir interne Unterlagen aus dem Springer-Verlag an, um über die Berliner Zeitung seine Interessen zu lancieren. Die Chefredaktion der Berliner Zeitung prüfte das Material und entschied sich gegen eine Veröffentlichung. Das Justiziariat des Berliner Verlags informierte den Springer-Verlag über diesen Vorgang.

Einige Medien haben daraufhin die Behauptung aufgestellt, ich hätte als Verleger der Berliner Zeitung den Informantenschutz verletzt. Gerichte in Hamburg und in Berlin haben jedoch bestätigt, dass unser Handeln rechtskonform war. Andere Schlüsse lassen die Begründungen des Berliner Landgerichtes kaum zu. So zitiert die FAZ das Landgericht Berlin und berichtet, Reichelt habe „sich durch das Vorgehen Holger Friedrichs und seine Aussagen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt“ gesehen. Die FAZ: „Das Berliner Landgericht verneint dies. Es hält die Darstellung des Verlegers der ,Berliner Zeitung‘ umstandslos für wahr, dass Reichelt ,Interna aus dem Hause Springer‘ verbreite. Und es stellt fest, dass Reichelt kein Quellen- und Informantenschutz zustehe.“

Damit bestätigt ein ordentliches deutsches Gericht, dass weder ich noch die Berliner Zeitung den Quellenschutz verletzt haben.

Die Begründung des Gerichts wirft ein Schlaglicht auf den Umstand, dass Journalisten mit der weitgehenden Interpretation ihrer professionellen Privilegien in einen Konflikt mit den sich konsequent weiterentwickelnden Standards im Geschäftsverkehr und in der Zivilgesellschaft geraten sind.

Wir sehen auch in diesem Fall das Ergebnis einer seit langer Zeit verschleppten Diskussion über ethische und professionelle Standards im Journalismus, deren Symptome regelmäßig beklagt, deren Ursachen jedoch weitgehend ignoriert werden.

In diesem Fall wird ignoriert, dass für mit Journalisten interagierenden „Informanten“ minimale Sorgfaltspflichten bestehen, um ihr Gegenüber nicht in erklärungsbedürftige Situationen zu bringen. Es bedeutet nicht nur explizit Vertraulichkeit zu vereinbaren, sondern beispielsweise ebenso angebotene Vertraulichkeit gewährende Kommunikationskanäle zu nutzen. Zudem ist regelmäßig zu prüfen, ob die bereitgestellten Informationen nicht zu manipulativen oder machtmissbräuchlichen Zwecken übermittelt werden. All das hat die Berliner Zeitung getan.

Besonders wichtig: Selbst dort, wo der Quellenschutz nicht gilt, gibt es professionelle Standards, wonach Interna oder Informationen von Dritten nicht ohne Zustimmung verwendet werden dürfen. Diese gelten – wie das Berliner Landgericht unmissverständlich festgestellt hat – auch für Journalisten. Sich darüber hinwegzusetzen, bedeutet nicht nur Persönlichkeitsrechte, sondern Wettbewerbsrecht und andere Rechtsnormen zu brechen. Die Grundlagen des Rechtsstaates haben alle zu akzeptieren, auch Branchen, denen in bestimmten Bereichen aus gutem Grund privilegierte Stellungen eingeräumt werden.

In Unternehmen, die hoheitlichen Regulatoren wie etwa der Börsenaufsicht unterliegen, wird jede interne wie externe Kommunikation gesichert, um präventiv Missbrauch zu unterbinden und für den Fall des Missbrauchs Nachweise vorhalten zu können. Erinnert sei an die 2011 aufgedeckten Absprachen von Bankmitarbeitern international agierender Finanzinstitute zur betrügerischen Manipulation des Referenzzinssatzes Libor. Um die meistenteils in englischer Sprache trainierten Algorithmen zu umgehen, erfolgten die Absprachen der Mitarbeiter auf Französisch. Ein sogenannter Umgehungstatbestand. Der Schaden für den Steuerzahler wie auch in das Vertrauen in das Banksystem war enorm. Erst nachdem diese Missstände aufgeräumt waren, was hier bedeutete, dass die Transparenz-Anforderungen ausgeweitet und zur fachlichen Eignung auch die charakterliche Eignung für Bankverantwortliche durchgesetzt wurden, konnte Vertrauen zurückgewonnen und das Banksystem stabilisiert werden. Die Standards in der regulierten Finanzindustrie sind der Goldstandard, um das strukturelle Vertrauen in den Geschäftsverkehr nicht zu unterminieren.

Daher stellt sich die Frage: Welche Standards sollen für Medien und deren Mitarbeiter gelten? Was sind allgemeingültige Referenzpunkte, um Missbrauch bestenfalls präventiv zu unterbinden? Ist eine Selbstbeschränkung der Medien möglich oder gar notwendig?

Die mit der Angelegenheit befassten Mitarbeiter des Berliner Verlags und ich mussten nach Bewertung der Gesamtsituation unter Berücksichtigung der Informationsarten und der Informationswege und des Begleitumstandes, dass Herr Reichelt unaufgefordert mit unternehmensinternen Informationen auf die Berliner Zeitung zugegangen war, von manipulativer Motivation ausgehen. Zugleich musste Herr Reichelt als erfahrener Journalist wissen, dass die von ihm angestrebte mediale Verwendung dieser internen Informationen eine vorherige Konfrontation der betroffenen Axel Springer SE voraussetzen würde. Der Inhalt der Information offenbarte die Quelle.

Wir kamen zu dem Schluss, dass es hier nicht um eine Berichterstattung im öffentlichen Interesse ging, sondern um den Versuch von Herrn Reichelt, die Berliner Zeitung für seinen wirtschaftlichen Vorteil zu instrumentalisieren. Nach unserer Einschätzung wurden damit einerseits Persönlichkeitsrechte und anderseits professionelle Standards verletzt. Um nicht Teil dieses vermutlich missbräuchlichen Vorgehens zu werden, haben wir, wie es in diesem Fall in allen Industrien Standard ist, das Justiziariat des Axel-Springer-Verlages über den Sachstand informiert und eine weitere Verwendung der Daten unterbunden. Dass wir mit unserer Einschätzung vollinhaltlich recht hatten, wurde nun von zwei Gerichten bestätigt.

Anders hat der Presserat entschieden – obwohl ihm der Beschluss und die Begründung des Landgerichts Berlin rechtzeitig vor einer Entscheidung zur Kenntnis gebracht wurden. Die Nichtwürdigung der Argumente eines deutschen Gerichts haben die Glaubwürdigkeit des Presserats aus meiner Sicht beschädigt. Ohne die Rechtsprechung einzubeziehen, hat der Presserat eine „Rüge“ gegen mich ausgesprochen. Das Verfahren vor dem Presserat war darüber hinaus in mehrfacher Hinsicht mangelhaft: Gegen mich als Verleger lag keine Beschwerde vor. Die Beschwerden richteten sich gegen die Berliner Zeitung. In einem vergleichbar gelagerten Fall hatte es zuvor eine anderslautende Entscheidung (B1-263/02) gegeben, als sich ein Journalist darauf berief, dass keine Vertraulichkeit vereinbart worden war. Ich persönlich wurde nie gehört. Eine Revision ist nicht möglich. Wir werden das Vorgehen des Presserats einer juristischen Prüfung unterziehen. Es muss im Interesse des Presserats sein, dass hier kein Eindruck von Willkür und Willfährigkeit entsteht. Die FAZ verweist in ihrer Analyse des Urteils auf die Tatsache, dass die Berliner Richter das Wirken des „Selbstkontrollorgans“ der Presse als „rechtlich ohnehin unverbindlich“ bezeichnen. Die FAZ schreibt: „Das ist ein Wirkungstreffer, der, bliebe er bestehen, an das Fundament der Presse geht.“

Solche Konflikte werden sich in Zukunft verschärfen. Die Zivilgesellschaft tritt den Medien heute auf Augenhöhe entgegen. Dazu gehören auch scharfe Diskurse, bis hin zu juristischen Auseinandersetzungen. Die Medien wären gut beraten, sich in diesen Konflikten konstruktiver als bisher zu verhalten.

Die wichtigste Frage erscheint mir daher, ob und wie die Journalisten ihre exponierte und durch das Grundgesetz geschützte Rolle verantwortungsvoll ausfüllen. Nur so können die Gefahren von Machtmissbrauch oder Interessenkonflikten strukturell reduziert werden. Dies wäre auch ein Dienst an all jenen Journalisten, die ihren Job leidenschaftlich und nach bestem Wissen und Gewissen ausüben. Das wäre es wert zu diskutieren.