Eben plauderten die Eheleute Celeste (Nicole Kidman) und Perry (Alexander Skarsgård) noch über die vergangenen Tage, die Familie, die Kinder, Perrys Dienstreisen. Der charismatische Vater arbeitet viel, ist selten zu Hause, seine Frau informiert ihn über den familiären Alltag. Eine ganz normale Szene, Tausende Eltern erkennen sich darin wieder. Beiläufig erwähnt Celeste, Hausfrau und Mutter, dass sie Tickets für die neue Disney-Theatervorstellung hätte. Für sie, die gemeinsamen Söhne und ihre beste Freundin mit Kindern. Die Stimmung kippt, Perry fühlt sich ausgeladen, packt Celeste grob am Hals.
Die sagt immer wieder „Du tust mir weh!“, doch Perry erwidert nur, dass Celeste auch ihn verletze, mit dieser Schmähung der vermeintlich bewussten Ausladung. Die sagt nun kaum mehr etwas. Als Perry stumm, aber wutentbrannt aufsteht, zucken ihre Augen nur kurz panisch auf, sie duckt sich weg. Das Publikum ahnt an dieser Stelle, Perry hat Celeste eben nicht zum ersten Mal am Hals gepackt. Wenige Sekunden später brüllt sie ihrem Ehemann hinterher, dass sie ihn verlassen werde, sollte er sie noch einmal so anfassen.
Alle 2,5 Tage wird eine Frau ermordet
Die Szene zwischen Nicole Kidman und Alexander Skarsgård aus der HBO-Miniserie „Big Little Lies“ ist fiktiv. Doch in vielen Wohnzimmern überall auf der Welt sind Szenen wie diese sehr real. Denn sogenannte häusliche Gewalt ist für zahlreiche Frauen (und einige Männer) Alltag. Zehntausende Fälle einfacher oder gefährlicher Körperverletzung werden jährlich allein in Deutschland registriert, immer wieder enden diese Taten für Frauen mit dem Tod. Tatsächlich steigt die Zahl der Frauenmorde jedes Jahr an: 2020, eine Statistik des vergangenen Jahres gibt es noch nicht, waren es 139, knapp zwei Dutzend mehr als im Jahr zuvor. Alle 60 Stunden werden – statistisch gesehen – Frauen durch aktuelle oder ehemalige Partner getötet. Die missglückten Mordversuche zählen da noch nicht einmal mit.
Auch im deutschen Fernsehen wird geschlechtsspezifische Gewalt, also Gewalt, die sich gegen eine Person explizit aufgrund ihres biologischen oder sozialen Geschlechts richtet, regelmäßig aufgegriffen. Vor allem zu Unterhaltungszwecken, wie Studien zeigen: Eine repräsentative Inhaltsanalyse der MaLisa Stiftung und der Hochschule Wismar sowie der Universität Rostock hat erst im vergangenen Jahr herausgefunden, dass mehr als ein Drittel der untersuchten Filme, Serien und TV-Sendungen in Deutschland (34 Prozent) geschlechtsspezifische Gewalt zeigen, häufig mit extremen Darstellungen. Untersucht wurde eine repräsentative Stichprobe der Programme von acht TV-Sendern, die 2020 zwischen 18 und 22 Uhr ausgestrahlt wurden. Insgesamt konnten so über 450 Stunden Material ausgewertet werden.

Fast die Hälfte der Gewalthandlungen werden explizit gezeigt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sehen, wie ein Mann eine Frau misshandelt, schlägt, vergewaltigt oder umbringt. Und – auch das konnte bei der Studie festgestellt werden – in keinem Fall gab es vorab einen Hinweis, eine Triggerwarnung, auf die kommenden Gewaltszenen.
Triggerwarnungen können helfen
Dabei sind gerade solche für Betroffene von Gewalt oder anderen traumatischen Erfahrungen wichtig. Viele Psychologen und Psychotherapeutinnen betonen immer wieder, dass es bei einem kurzen Hinweis zu Beginn eben nicht darum gehe, auf „Überempfindlichkeiten“ zu reagieren. Vielmehr schütze man Betroffene mit zurückliegenden traumatischen Ereignissen vor der plötzlichen Konfrontation mit Bildern oder Informationen, sie können so selbst entscheiden, ob sie einschalten wollen oder nicht.
Triggerwarnungen sind also immer auch ein offener Umgang mit psychischen Erkrankungen, mit den Gewalterfahrungen, die Traumata auslösen. Doch diesen simplen Hinweis gebe es laut der MaLisa-Studie in Deutschland nicht.
Die gemeinnützige Initiative „The Staunch Test“ will genau hier ansetzen und „darauf aufmerksam machen, wie Gewalt gegen Frauen auf der Leinwand dargestellt wird“. Die Initiatorinnen um die britische Autorin Bridget Lawless sind der Meinung, dass vor allem Stalking-, Vergewaltigungs- und Mordhandlungen in Filmen und Serien, insbesondere in Krimis und Thrillern, zu oft aus reinen Unterhaltungsgründen gezeigt werden, die Geschichte bringen sie selten voran. Die Popkultur beeinflusse aber, wie Frauen im realen Leben gesehen werden, Gewalt werde auf der großen und kleinen Leinwand trivialisiert und normalisiere im Umkehrschluss reale Gewalt gegen Frauen.
Strukturelle Dimension von Partnerschaftsgewalt fehlt in TV & Medien
Die Studie aus Wismar und Rostock hat ergeben, dass in Actionfilmen Gewalt besonders hypersexualisiert gezeigt wird und in Krimiserien geschlechtsspezifische Gewalt vergleichsweise häufig sichtbar ist. Die strukturelle Dimension dieser Gewalt, die Ursachen und Machtverhältnisse, die Feminizide befördern, werden, so die Wissenschaftlerinnen, dagegen kaum adressiert.
Meistens werden vermeintliche Einzelfallgeschichten erzählt, „Tragödien“ und sogenannte Ehedramen, wie bei Celeste und Perry. Dass Gewalt gegen Frauen aber immer auch ein Politikum ist, eine Pandemie, gegen die kein Impfstoff wirkt, das wird kaum deutlich. Dabei wäre gerade das – die steigenden Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik belegen es – wichtig.
Die Gründer und Gründerinnen von Staunch Test haben als Ersatz für fehlende Triggerwarnungen ein System entwickelt, mit dem Filme und Serien schon im Vorfeld aussortiert werden können. Die Online-Datenbank baut dabei auf die Hilfe von Filmfans. Grundsätzlich ist es ziemlich einfach: Gibt es in Filmen oder Serien Gewalt gegen Frauen, fallen sie durch. Für Grauzonen, also geschlechtsspezifische Gewalt, die wie im Fall Celeste und Perry bei „Big Little Lies“ wichtig für die Handlung sein könnte, gibt es den Stempel „Debatte“. Über die HBO-Serie steht in der Datenbank das knappe Urteil: „Aufdeckung häuslicher Gewalt mit Fokus auf Frauenfreundschaft. Szenen häuslicher Gewalt sind anschaulich und erschütternd und werden zunächst mit leidenschaftlichem Versöhnungssex in Verbindung gebracht.“
Frauen bleiben stumm: Kaum eine differenzierte Opferperspektive
Gerade in der Ehe von Celeste aus der preisgekrönten Serie „Big Little Lies“ erkennt das Publikum, wie schnell es von der anfänglichen Ohrfeige zur gebrochenen Rippe und zur ehelichen Vergewaltigung – in der Bundesrepublik übrigens erst seit 25 Jahren eine Straftat, der heutige CDU-Chef Friedrich Merz stimmte damals gegen die Kriminalisierung – kommen kann. Celeste bleibt dabei als Betroffene immer sichtbar. Zuschauerinnen und Zuschauer sehen sie weinend im Auto, wie sie Hämatome überschminkt, wie sie selbst ihren engsten Freundinnen nichts von ihrem gewalttätigen Partner erzählt.

Auch das eine Seltenheit, wie die MaLisa-Studie belegt. Egal, ob in fiktiven Serien oder journalistischen Beiträgen – im deutschen Fernsehen bleibt die Perspektive der Betroffenen fast immer außen vor. Weniger als jeder zehnte untersuchte Beitrag zeigte eine „differenzierte Opferperspektive“. Inwiefern unterstützt auch diese Tabuisierung das Schamgefühl partnerschaftlicher Gewalt in der Wirklichkeit?
Gefahr durch das soziale Umfeld bleibt unterrepräsentiert
Grundsätzlich entspricht geschlechtsspezifische Gewalt auf der großen Leinwand selten der gelebten Realität von Frauen. Knapp 40 Prozent der Täter sind laut Studienergebnissen aus Wismar auf dem Bildschirm unbekannt oder auch einfach nicht relevant für die Geschichte. Der eigene Partner ist nur etwa jedes zehnte Mal der Verbrecher. Im echten Leben sind Frauen allerdings nirgendwo so gefährdet wie zu Hause, fast drei Viertel der körperlichen oder schweren sexualisierten Gewalt erleben sie in der vermeintlich sicheren Wohnung durch aktuelle oder ehemaligen Partner.



