Alles beginnt – und endet – mit einer eigentlich einfachen Frage: Haben wir kein Salz? Johannes, Helenes Mann, fragt es eigentlich gar nicht, stellt es mehr fest „und nicht einmal in Helenes Richtung. Sie hört das in seiner Formulierung, hört: Hast du es vergessen, hört: Du hast doch gekocht, hört: Stehst du noch mal auf“. Helene steht dann noch auf, doch statt das Salz – wie erwartet – zu holen, geht sie auf den Balkon, springt runter.
Der neue Roman der österreichischen Autorin Mareike Fallwickl „Die Wut, die bleibt“ beginnt mit dem Ende einer dreifachen Mutter, die, das wird sehr schnell sehr deutlich, an den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen verzweifelt ist: Kochen, putzen, waschen und den Haushalt „meistern“, dazu in der heterosexuellen Partnerschaft selbst als gestresste Mutter nie den Sexappeal verlieren.
Auch in der Arbeitswelt soll Frau erfolgreich sein. Das Land baut auf immer mehr Wirtschaftswachstum, deshalb bitte ganztags arbeiten. Für die Konzerne ist das, Gender-Pay-Gap sei Dank, obendrein ein Schnäppchen. Von anderen – ebenfalls gestressten – Müttern und berufstätigen Männern, die allerdings selten als „berufstätige Väter“ bezeichnet werden, wird von berufstätigen Müttern aber eben immer auch die aufopfernde Mutterrolle verlangt, vermeintliche Karrierefrauen mit Kindern gelten schnell als Rabenmütter. Was also tun? Für Helene war die Frage nach dem Salz ein vermeintlicher Vorwurf zu viel.
Weibliche Wut in Büchern immer wieder präsent
Helenes freiwilliges Ende markiert im Roman den Anfang von viel weiblicher Wut; einer Wut, die in einer patriarchalen Welt selten ein geeignetes Ventil findet. Vielleicht sind auch deshalb in den vergangenen Jahren so viele Bücher zu genau diesem Thema erschienen. Soraya Chemalys radikales Manifest „Speak Out“ erschien im ersten Pandemiejahr und beschreibt, für das Publikum so deprimierend wie augenöffnend, wie stumm selbst zornige Frauen in einer Gesellschaft bleiben, die weibliche Wut noch immer zu häufig als Hysterie bezeichnet. Ciani-Sophia Hoeder veröffentlichte dann im zweiten Pandemiejahr „Wut und Böse“, sie zeigt darin unter anderem, wie krank fehlgeleitete Wut insbesondere Frauen machen kann.
An diesen Punkt schließt Fallwickls Roman nun im dritten Pandemiejahr an, denn Helenes wütende Erschöpfung – oder erschöpfende Wut – findet nur noch ein Ventil: Suizid. Tochter Lola, eine überzeugte Feministin im Teenager-Alter, ist auch wütend. Sarah, seit drei Jahrzehnten die beste Freundin der Toten, wird es spätestens im Laufe der Geschichte.
Denn Johannes, der viel beschäftigte berufstätigte Witwer, braucht Hilfe, und wie selbstverständlich springt Sarah ein. Aufopferungsvoll kümmert sie sich fortan um Helenes drei Kinder: Lola, dazu die beiden Söhne Maxi und Lucius. Für Johannes ändert sich im Alltag so kaum etwas, die Rollenverhältnisse in der Familie bleiben bestehen. Er arbeitet und „hilft“ im Haushalt, um den sich statt Helene nun eben Sarah kümmert.
Der Mann hilft „als wäre er in einem scheiß Hotel“
Plötzlich merkt Sarah, wovon ihre beste Freundin seit Jahren geredet hat. Als Mutter und Partnerin ist man eigentlich nie allein, die Arbeit – vor allem die unbezahlte – nimmt kein Ende. „Ihr Kinderlosen glaubt uns einfach nicht“, heißt es im Buch, „wir erzählen euch, wie es ist, und ihr hört nicht zu. Ihr denkt: Wird schon nicht so schlimm werden.“ Sarah merkt schnell, wie schlimm es werden kann, wie anstrengend selbst das vermeintlich arbeitsfreie Wochenende ist. „Die Sonntage beginnen viel zu früh, weil der innere Wecker von Lucius und Maxi keine Wochentage kennt.“
Die bis dahin so selbstständige Bestsellerautorin wird wütend, sie fühlt sich durch die stereotypen Rollenbilder der zusammengewürfelten Kleinfamilie zunehmend eingeengt. Auch, weil sie merkt, dass diese mehr als nur Klischees sind. „Wie er passiv bleibt, wie er dahockt und isst und trinkt und dann den Teller stehen lässt und die Tasse, als wäre er in einem scheiß Hotel.“ Doch noch bleibt sie stumm.
Lola, die Teenager-Tochter, ist offensichtlich emanzipierter: Lässig fährt sie Skateboard, liest neue und alte feministische Klassiker, beherrscht den Glottisschlag. Der sei „gar nicht so schwierig. Wenn Sie Osterei sagen können und umarmen, dann können Sie auch Schüler:innen sagen“, belehrt sie die Schulbibliothekarin. Ihre, die kommende Generation, ist vor allem wütend auf die Generation der Mütter. Frauen, denen scheinbar alles offenstand, für die die wichtigsten emanzipatorischen Kämpfe bereits ausgehandelt worden wären. Die am Ende, wie Helene, aber nach dem Kochen auch noch das Salz holen sollen.
Wichtigstes Werkzeug für die Hauptfiguren: Selbstermächtigung
Dabei merkt Lola kaum, dass auch sie sich aus dem patriarchalen Griff nur schwer befreien kann. Sie hungert, um Idealen zu entsprechen, die nicht ihre sind. Auch sie ist, wenn es brenzlig wird, Männern relativ schutzlos ausgeliefert.
Doch Mareike Fallwickl lässt beide Generationen nicht allein. Lässt sie autonomer werden, empowert sie. Lola lernt essen und in einem Kurs Selbstverteidigung, dazu ernst gemeinte Frauensolidarität. Fallwickl knüpft so subtil auch an vergangene feministische Wellen an, zeigt damit, dass der Fortschritt der Frauen, so quälend langsam er mitunter auch sein mag, immer auch auf den Mühen vergangener Frauenbewegungen basiert.
Der Rachefeldzug, auf den Fallwickl ihre junge Heldin Lola in der zweiten Romanhälfte schickt, kann dabei kaum jedem Leser, auch nicht jeder Leserin gefallen. Ob er das richtige Ventil für zu lange angestaute Wut ist, bleibt ebenfalls fraglich. Weil die selbstermächtigte Girlgang um Lola im Patriarchat aber fast als Utopie anmutet, bleibt auch das letztlich ein großes Lesevergnügen. Der Rest des Romans ist es ohnehin.
Wertung: 5 von 5 Punkten



