Als Hollywoods Drehbuchautoren vor Monaten in den Streik traten, mochte man angesichts der Qualität vieler Serien und Unterhaltungsfilme noch mit den Achseln zucken: Taten sie das nicht schon lange? Der von den Corona-Lockdowns beflügelte Streaming-Boom hatte längst zu einem Überangebot geführt, das ironischerweise bereits die Grenzen des Wachstums erkennen ließ. Die große Serien-Renaissance mit weltweit bewunderten Produktionen wie „Mad Men“ oder „Breaking Bad“ war ein Ergebnis des Wettstreits qualitätsbewusster Networks und Kabelkanäle wie ABC und HBO gewesen, die seit Anfang der 2000er-Jahre um zahlungskräftige Kunden buhlten.
Doch diese ruhmreiche Epoche ist wohl zu Ende: Der durch das Streaming geschaffene enorme Bedarf von Netflix, Amazon und Co wurde abgesehen von einigen Leuchtturmproduktionen eher durch Masse als durch Qualität gestillt. Es wurden enorme Summen für Verfilmungsrechte gezahlt – wie die mehr als 500 Millionen Pfund, die Netflix an die Erben des umstrittenen Autors Roald Dahl überwies. Die zahlungsfreudigen Streamer beschenkten viele Medienschaffende trotz der allgemeinen Wirtschaftskrise mit goldenen Jahren. Der rasante Anstieg der Honorare und Gehälter ist bis Deutschland spürbar. Erst am 5. Juli stellte die hoch angesehene Berliner Produktionsfirma Zero One Film, bekannt für Regiearbeiten von Dominik Graf, Doris Dörrie, Andres Veiel oder Lars Kraume, einen Insolvenzantrag – begründet unter anderem mit gestiegenen Honoraren.
Nun sehen auch die großen Hollywoodstudios ihre Grenzen. Der Versuch von Disney+, durch den enormen Produktionsaufwand seiner Star-Wars- und Marvel-Titel eine Art Blockbuster-Streaming zu etablieren, zahlte sich wirtschaftlich nicht aus – der Dienst schreibt Verluste. Der Disney-Konzern, zu dem auch der Sender ABC gehört, verlor an der Wall Street seit Februar rund zwanzig Prozent seines Börsenwerts. Am vergangenen Donnerstag kündigte der erst jüngst aus dem Ruhestand zurückberufene langjährige Konzernchef Bob Iger neue Massenentlassungen an. Und nun streiken auch noch die Schauspieler.
Hollywood: Konkurrenz durch Künstliche Intelligenz
Hollywood erlebt gerade eine paradoxe Lage: Kinokrise und Serienboom sind eng miteinander verwoben. Es scheint unvermeidlich, dass trotz des massenhaften Kinosterbens auch große Streamingdienste wieder abtreten werden. Wer kann sich in Zeiten hoher Inflation noch drei oder mehr Abonnements leisten? Und dann ist da auch noch eine andere digitale Neuerung, welche die Filmindustrie im Sturm zu erobern droht – und schon jetzt gehörig durcheinanderwirbelt: Künstliche Intelligenz.
Ein digital um 40 Jahre verjüngter Harrison Ford überzeugte zuletzt in einer ansonsten durchwachsenen Indiana-Jones-Fortsetzung. Nun sollen Hollywoodstudios bereits versucht haben, sich im Kleingedruckten ihrer Verträge die unbegrenzte Nutzung der Ähnlichkeit von Schauspielern zu sichern. Die lässt sich zwar in den USA schon lange auch über den Tod hinaus schützen, etwa wenn mit den Konterfeis Marilyn Monroes oder Humphrey Bogarts Produkte beworben werden. Aber natürlich öffnet sich hier gerade ein gespenstischer Markt für Filmgesichter, die dann von unsichtbaren Mimen stellvertretend bewegt werden.
Die Ergebnisse sind verblüffend. In der EU, wo Urheber- und Persönlichkeitsrechte unveräußerlich sind, hält sich die Sorge in Grenzen, in den USA wären entsprechende Buy-out-Verträge aber durchaus denkbar. Als Robin Wright 2013 in Ari Folmans Film „Der Kongress“ einen Star spielte, der das Digitalisat seines Körpers an ein Studio verkauft hatte, schien noch Science Fiction, was heute bereits Realität ist.
Disney-Boss Iger: Wie mittelalterliche Barone
Vor allem geht es aber beim aktuellen Disput darum, sich gehen die radikalen Sparmaßnahmen der Filmstudios abzusichern, wie sie Iger bereits ankündigte. Im Interview mit dem amerikanischen TV-Wirtschaftssender CNBC erklärte er am vergangenen Donnerstag die Vorstellungen der Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA für unrealistisch. Ihre Vorsitzende, die aus der Serie „The Nanny“ bekannte Schauspielerin Fran Drescher, konterte im Branchenblatt Variety in Bezug auf Disney: „Wäre ich diese Firma, würde ich ihn hinter verschlossenen Türen halten und mit niemandem mehr darüber reden lassen, weil er offensichtlich keine Ahnung von dem hat, was auf dem Boden los ist bei den hart arbeitenden Schauspielern, die weit entfernt sind von seinem Millionengehalt.“ Solchen Managern sei es völlig egal, wenn sie mit derartigen Äußerungen wie mittelalterliche Barone herüberkämen.
Tatsächlich haben Filmstudios in den USA wenig Erfahrung mit derart umfassenden Streiks. Das letzte Mal streikten Schauspieler- und Autorengewerkschaften gleichzeitig 1960, als die Filmindustrie einen Großteil der Zuschauer an das Fernsehen verlor. In der Disney-Geschichte spielt der Studiostreik von 1941 eine wichtige Rolle. In der Folge entließ der Studiogründer einige seiner besten Zeichner, weil sie sich am Arbeitskampf beteiligt hatten. Vor dem Untersuchungsausschuss des Senators McCarthy denunzierte Disney später einige Streikführer als Kommunisten. Im Jahr des 100-jährigen Firmenjubiläums wäre Iger gut beraten, sich mit Kritik an den Gewerkschaften zurückzuhalten. Der während seiner ersten Amtszeit äußerst erfolgreiche Konzernchef genoss bislang bei großen Teilen der Belegschaft hohes Ansehen.
Die Situation ist schwierig; einerseits sind durch den Konkurrenzkampf im Streaming viele Gagen enorm gestiegen, anderseits gibt es in der amerikanischen Filmindustrie ein enormes Gefälle zwischen Spitzenverdienern und Prekariat. Während bei Blockbustern Kosten kaum eine Rolle zu spielen scheinen, brachte der Fall Alec Baldwin die problematischen Arbeitsbedingungen bei Billigproduktionen an die Öffentlichkeit. Der Schauspieler und Produzent hatte 2021 während der Dreharbeiten zum Film „Rust“ versehentlich die Kamerafrau Halyna Hutchins mit einer von der Requisite falsch präparierten Waffe erschossen. Eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen Baldwin wurde inzwischen fallen gelassen.



