30 Jahre ist es her, dass Christopher Nolan erfolgreich sein Literaturstudium abschloss und sich fortan dem Filmemachen widmete. Inzwischen gehört der 1970 geborene Brite längst zu den erfolgreichsten Regisseuren unserer Zeit. Mit „Memento“ etablierte er sich als Meister des nicht chronologischen Erzählens, mit „Batman Begins“ und den beiden Fortsetzungen definierte er das Genre des Superhelden-Films neu, „Inception“ und „Dunkirk“ brachten ihm Oscar-Nominierungen ein. Nun legt er mit „Oppenheimer“ (ab 20. Juli im Kino) seinen zwölften Spielfilm vor. Am Tag der Weltpremiere in Paris stand er in einem Video-Interview Rede und Antwort.
Mr. Nolan, Ihr neuer Film „Oppenheimer“ erzählt vom Erfinder der Atombombe und damit auch von großen Fragen der Wissenschaft, nicht zuletzt der Verantwortung, die Forschung mit sich bringt. Was wollen Sie Ihrem Publikum mitgeben?
Ich habe keine Botschaft, wenn Sie das meinen. In meinen Augen ist es fürs Kino immer eher abträglich, wenn es allzu didaktisch wird und man den Leuten vorschreiben will, was sie denken sollen. Ich glaube, dagegen sträubt sich fast jedes Publikum unwillkürlich.

Nach seinem Spielfilmdebüt 1998 mit „Following“ wurde er 2002 für „Memento“ erstmals für einen Drehbuch-Oscar nominiert. Durch seine drei Batman-Neuinterpretationen gelang ihm der finanzielle Durchbruch, der es ihm erlaubte, für Filme wie „Inception“, „Interstellar“, „Dunkirk“ oder „Tenet“ mit hohen Budgets zu arbeiten.
„Oppenheimer“ (120 Minuten, FSK 12) kommt am 20. Juli in die deutschen Kinos.
Anders gefragt: Was interessierte Sie persönlich denn an dieser Geschichte besonders?
Mich reizten natürlich die großen Fragen, auf die Sie schon abzielten. Mein Film ist ein Versuch, die Menschen ein paar Stunden lang in Oppenheimers Kopf verbringen und so ein gewisses Verständnis für ihn entwickeln zu können. Am Ende soll man sich kein Urteil über ihn bilden, aber vielleicht verstehen, wer er war und warum er sich so verhalten hat. Die teilweise unangenehmen Fragen, die mit seinem Handeln und den Konsequenzen daraus zusammenhängen, nimmt man im Idealfall mit nach Hause.
Woher kommt Ihr Interesse an der Wissenschaft, das sich in Ihrem Oeuvre ja schon häufiger gezeigt hat?
Dass ich mich für Physik, Wissenschaft und das Universum begeistere, begann schon in meiner Kindheit in den 1970er-Jahren. Ich war noch ein Junge, als George Lucas’ erster „Star Wars“-Film in die Kinos kam. Diese Art der Science-Fiction befeuerte meine Vorstellungskraft. Im Alter von neun, zehn, elf Jahren ist man besonders empfänglich für alles, was mit Forschen und Experimentieren zu tun hat. Bei mir ist damals jedenfalls viel hängen geblieben, und ich habe dann später erkannt, wie viele Möglichkeiten die Wissenschaft auch für mich als Kino-Erzähler bietet.
Ihr Film „Interstellar“ fällt einem da sofort als Beispiel ein …
Damals habe ich mit dem Nobelpreisträger Kip Thorne kollaboriert, einem Physiker, denn ich wollte wirklich einen wissenschaftlichen Blick auf unsere menschliche Welt werfen. Der gesamte Film basierte darauf, zu gucken, wie Wissenschaft dabei helfen kann, eine Geschichte auf außergewöhnliche, bis dato unvorstellbare Weise erzählen zu können. Auch bei „Tenet“ habe ich wieder auf Thorne und seine Arbeit zurückgegriffen und physikalische Gesetze eher auf eine Science-Fiction-Weise angewendet. Nun in „Oppenheimer“ blicke ich konkret auf die Wissenschaftler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Magie, die sie schufen.
Magie?
Ich finde, das Wort trifft es ganz gut. Was der junge Oppenheimer und seine Zeitgenossen damals machten, war revolutionär, sie stellten sich unsere Welt auf eine Art und Weise vor, wie es noch niemand getan hatte und die auch kaum jemand verstand. Das muss für viele gewirkt haben wie Zauberei. Bis heute ist ja die Quantenphysik noch nicht vollkommen in die die klassische Physik integriert. Für viele ist sie immer noch ein Mysterium. Die Art und Weise, wie ich Oppenheimers Gedankenprozesse nun im Film visualisiert habe, sollte deswegen auch diese magische Komponente haben. Es geht nicht darum, dass das Publikum versteht, was genau da in ihm vorgeht. Aber ich musste ein Gespür dafür vermitteln, wie weltbewegend und elektrisierend sein Schaffen ist.
Oppenheimer liest T.S. Eliot, hört Strawinsky, bewundert Picasso. Er ist durch und durch ein Kind der Moderne. Würden Sie sagen, dass diese mit der Atombombe zu Ende ging?
Ja. Der Film verankert Oppenheimer sehr klar in der Kultur seiner Zeit. Die Revolution, die sich in der Physik der 1920er-Jahre abspielte, hatte ihre Entsprechung in ähnlichen Revolutionen in der Kunst, der Musik und der Politik. Was sich etwa in Russland nach der Revolution abspielte, die Anfänge des Kommunismus, das hat ihn sehr beeinflusst. Die Intellektuellen in jener Zeit waren alle Teil einer grundlegenden Neubewertung aller Strukturen und Regeln, ob nun in der Kunst, der Wissenschaft oder dem Leben allgemein. Obwohl es den wenigsten bewusst sein dürfte, war es von all diesen Revolutionen und Veränderungen, die damals vonstattengingen, diejenige in der Physik, die auf unsere Welt den nachhaltigsten Einfluss hatte. Und sich vor allem auch nicht umkehren ließ. Stilrichtungen in der Kunst oder selbst politische Entwicklungen konnte man wieder ins Gegenteil verkehren. Aber die Macht des Atoms war nicht wieder einzufangen.
Ihr Film feiert nun Oppenheimers Errungenschaften, aber natürlich spielen auch deren bittere Folgen eine Rolle, namentlich die Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki. War das erzählerisch eine schwierige Balance?
Balance ist vermutlich nicht das beste Wort dafür. Es sind zwei Extreme, die hier dezidiert nebeneinanderstehen. Mir war es wichtig, dass das Publikum wirklich in Oppenheimers Lage versetzt wird und den Triumph des erfolgreichen Trinity-Tests, also der ersten jemals erfolgten Kernwaffenexplosion, als solchen spürt. Und genauso sollte es die Düsternis der sich daraus ergebenden Konsequenzen nachempfinden können. Oppenheimer war ein brillanter Kopf, der natürlich solche Szenarien vorhersehen konnte. Aber er hat auch gewisse Dinge ausgeblendet. Als er sich schließlich den Folgen stellt, die seine Taten hatten, trifft das sowohl ihn als auch das Publikum mit unvermittelter Wucht.
Sie erzählen den Film trotzdem nicht chronologisch. Matt Damon sagte gerade in einem Interview, dass Sie vermutlich außerstande seien, eine Geschichte linear umzusetzen. Warum setzen Sie immer auf sprunghafte, zersplitterte narrative Strukturen?
Für mich sind eine Geschichte und die Struktur, mit der ich sie erzähle, untrennbar miteinander verbunden. Ich beginne nie mit dem Schreiben eines Drehbuchs, bevor ich nicht ganz genau dessen ideale Struktur gefunden habe. Es ist ja interessant, dass wir Filmemachern beim Erzählen ihrer Geschichten irgendwie viel weniger Freiheiten zugestehen als etwas Schriftstellern oder Theater-Autoren. Das Kino ist da in der Regel sehr viel konservativer, was vermutlich am großen Einfluss liegt, den das Fernsehen eine Weile lang hatte. Auf dem Bildschirm, wo es womöglich auch Werbeunterbrechungen gibt, passt lineares Erzählen perfekt, und daran orientierte sich auch Hollywood. Aber wir, die in der Zeit nach dem TV- und VHS-Boom in den Beruf einstiegen, konnten einen anderen Blick entwickeln. Ab dem Moment, wo es DVDs gab, hatte man als Zuschauer die Möglichkeit, einen Film jederzeit zu starten und zu stoppen, vor- und zurückzuspringen. Von dieser Ausgangslage ausgehend ergaben sich ganz neue, viel elaboriertere Arten, eine Geschichte zu strukturieren.
Sie hatten nur 57 Drehtage, was für einen Film dieser Größenordnung sehr wenig ist. Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Arbeit, etwas im Vergleich zu Ihren vorangegangenen Filmen?
Das Arbeitstempo war deutlich stressiger, aber irgendwie war diese Energie auch passend für den Film. Die Produktion war aufwendig, wir bauten zum Beispiel eine komplette Stadt, also eine Kopie von Los Alamos, in die Wüste. Aber sowohl mein Kameramann Hoyte van Hoytema als auch mein Ensemble ließen sich anstecken von der produktiven Hektik. Mich erinnerte das ein bisschen an die Art und Weise, wie ich bei meinen frühen Filmen gearbeitet habe, als Zeit und Geld immer Luxus waren und immer der Teamgeist dafür sorgte, dass wir am Ende zu einem tollen Ergebnis kamen.





