Wer hätte gedacht, sich noch einmal für einen Spionagefilm zu begeistern, in dem sich Menschen urplötzlich Gummimasken vom Gesicht reißen und zur allgemeinen Überraschung jemand ganz anderes sind? So war das einmal in den Sechzigern, als Louis de Funès nach Fantomas jagte, in einer legendären Fernsehserie, die für ganze 225.000 Dollar pro Folge das Unmögliche möglich machte. Seit Brian De Palma und Tom Cruise 1996 das seither ungemein erfolgreiche Kino-Franchise begründeten, balanciert sie auf wundersame Weise zwischen dieser unschuldigen Fantastik und einer irrwitzigen Imposanz in den Stuntsequenzen.
Derb Regisseur Christopher McQuarrie hat sich mit Cruise schon bei „Top Gun Maverick“ zu einer Art Rettungsgemeinschaft der analogen Kinosensationen zusammengeschlossen mit handgemachten Stunts, prächtiger Fotografie und altmeisterlicher Nonchalance. Und nun orientiert er sich sehr bewusst an Brian De Palmas Vorbild, der ja seinerseits deutlich von Hitchcock beeinflusst war. Das Ergebnis ist ein schwelgerisches, hemmungslos begeisterndes Kino mit der Perfektion einer Domino-Kettenreaktion.
Gibt es ein schöneres Statement für die Verlässlichkeit des Analogen als das Auftrags-Tonband, das sich wie immer nach überbrachter Nachricht selbst zerstört? In „Dead Reckoning – Part One“, dem siebten Teil von „Mission Impossible“, kämpft Cruise als Ethan Hunt buchstäblich gegen die Windmühlen der Digitalisierung. Personifiziert werden sie von einer allmächtigen Künstlichen Intelligenz namens „The Entity“. Sie hat Zugriff auf alle Online-Netzwerke der Erde und ist damit etwa in der Lage, die hochtechnologischen Kriegsmaschinen der Weltmächte gegeneinanderzuhetzen. Was genau sie allerdings vorhat, bleibt wohl bis zum zweiten Teil, der erst im nächsten Jahr folgt, ein Geheimnis.
Da sie aber, bevor sie sich verselbstständigt hat, einmal von irgendeinem Geheimdienst-Zauberlehrling erschaffen wurde, weiß man wenigstens, wie sie sich außer Betrieb setzen lassen sollte: Mit einem zweiteiligen Schlüssel, mit dessen einer Hälfte sich eine alte Bekannte gerade durch einen Sandsturm in der arabischen Wüste quält: Es ist die von Rebecca Ferguson gespielte britische Agentin Isla Faust. Um die andere Hälfte aufzutreiben, muss sich Ethan Hunt mit einer nicht weniger schillernden, jüngeren Abenteurerin assoziieren – der Taschendiebin Grace (Hayley Atwell).
Nun mag man, ebenso wie schon die Gummimasken, auch geheimnisvolle Schlüssel für etwas altbackene Requisiten halten in Kriminalgeschichten, die für ein älteres Publikum gedacht sind als „Die drei Fragezeichen“. Tatsächlich ist McQuarries kindliche Freude genau das, was zuletzt dem jüngsten „Indiana Jones“ fehlte. Und außerdem heißt der Film ja auch nicht „Mission: Possible“.
Angemessen liebevoll für den Neustart einer Filmserie, mit der Hollywood den britischen James Bond wieder einmal mit den eigenen Waffen schlägt, sind die Schauplätze für die Stunts und Actionszenen gewählt: ein selbstverständlich von Cruise persönlich ausgeführter Motorradsprung über eine vereiste Klippe, bis er im letzten Moment den Fallschirm öffnet; eine halsbrecherische Jagd über das Dach des Orientexpresses mit Martial-Arts-Einlagen, gekrönt vom unfreiwilligen Halt durch eine Brückensprengung, bei der sich ein Wagen nach dem anderen in die Tiefe verabschiedet. Man fühlt sich erinnert an Buster Keaton, den König der selbstausführenden Stunt-Athleten in der Stummfilmzeit, und seinen Eisenbahn-Klassiker „Der General“. Das gilt besonders für das Brechen der Spannung mit überraschendem Humor.
Dies ist nicht nur der prächtigste, spektakulärste und unterhaltsamste Blockbuster seit langem, es ist auch der lustigste. Für den Spaß sorgt dabei natürlich vor allem die digitale Welt, wenn sie sich dann doch die Ehre gibt. Um eine moderne Bombe zu entschärfen, müssen erst knifflige Rätsel gelöst werden, die eine Sprachsteuerung aufgibt. Zum Beispiel: „Was ist das? Je mehr man wegnimmt, desto größer wird es?“ – Genau, das Loch. Oder: „Was nähert sich immer und doch nie an? – Der Morgen.“ Man muss schon eine gewisse Lässigkeit mitbringen, um in einen 300-Millionen-Dollar-Film so viele Scherze unterzubringen, die für deutlich weniger Geld zu haben sind.
Märchenhaft bezahlter Leinwand-Arbeiter
Tom Cruise ist dagegen wieder einmal Gold wert. Wie der 81-jährige Harrison Ford im konkurrierenden Blockbuster der Saison repräsentiert der zwanzig Jahre Jüngere eine sonst ausgestorbene, fast fatalistische Verlässlichkeit. Diese beiden Männer, die längst mit ihren eigenen Leinwandlegenden verschmolzen sind, können nicht mehr aus ihrer Haut. Märchenhaft bezahlt, sind sie doch Leinwand-Arbeiter: Geradezu schicksalhaft stürzen sie sich in die absurden Plots und adeln sie mit ihrer eigenen Patina. Nun, wo Cruise’ jungenhafte Attraktivität allmählich verblasst, lenkt nichts mehr ab von seiner aktionistischen Präsenz. Man kann nicht anders, als ihm zuzuschauen, egal was wohl geschieht.


