Auch am Maxim-Gorki-Theater gibt es wahrscheinlich AfD-Wähler. Das ist die eine kleine Enthüllung, mit der Gorki-Intendantin Shermin Langhoff an diesem heißen Nachmittag im Haus der Kulturen der Welt herausrückt. Ihr Gespräch mit dem biografisch stark Gorki-assoziierten Autor und HKW-Kurator Max Czollek ist da schon auf der Zielgeraden, die anlassgebende Frage kommt aus dem Publikum.
Gut, rund 20 Prozent AfD-Stimmen bei der Sonntagsfrage müssen sich allein schon rein statistisch auch in der etwa 200-köpfigen Theaterbelegschaft niederschlagen, schiebt die Intendantin direkt hinterher. Aber ihr Hinweis geht über bloße Gedankenspiele hinaus. Denn das Ringen um Räume und Ressourcen, das betont sie im Laufe der knapp anderthalb Stunden mehrfach, geschehe nicht nur nach außen gegenüber Politik, Gesellschaft und Feuilleton, sondern eben auch im Inneren der eigenen Institution, in den eigenen Reihen. Was bedeutet das für diejenigen, die nicht mitziehen? Sind das also wirklich alles AfD-Nahe? Wohl kaum.
Wenigstens ein paar Menschen dürften im Saal gewesen sein, die hierzu gern mehr gehört hätten. Schließlich wird Shermin Langhoff in einer gerade vieldiskutierten Reportage des RBB zum Thema Machtmissbrauch an den Theatern erneut mit einem – sagen wir es vorsichtig – nicht gerade samtenen Führungsstil in Verbindung gebracht. Wer deshalb gekommen war, wurde enttäuscht. Von Max Czollek war allerdings von vornherein nicht zu erwarten gewesen, dass er die langjährige Wegbegleiterin Langhoff mit Fragen nach Nebensächlichkeiten wie der Lautstärke im Mitarbeitergespräch behelligen würde.

Ein „Handshake“ zwischen dem postmigrantischen Theater, für das Langhoffs Gorki steht, der von ihm, Czollek, mitentwickelten postmigrantisch-jüdischen Kritik und dem HKW unter seiner neuen Intendanz sollte das Auftaktgespräch zur Reihe „Versöhnungstheater“ werden – das hatte der Kurator im Interview mit dieser Zeitung angekündigt. Ein bisschen interessanter als ein öffentlicher Handschlag wurde es dann zum Glück doch.
Das lag vor allem an dem unverändert hohen Rechtfertigungsdruck, der selbst auf einem scheinbar im Mainstream angekommenen Haus wie dem Gorki zu lasten scheint. Langhoff und Czollek ließen sich jedenfalls gern und weitschweifig auf dessen Verteidigung ein. Dass zu Beginn ihrer Intendanz 2013 noch spöttisch von einem „Migrantenstadl“ gesprochen wurde, trägt Langhoff der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht zu Unrecht nach. Genauso wie den Vorwurf, Identitätspolitik zu betreiben ausgerechnet in einem Land, für das „Blut und Boden“ noch immer „eine Referenz“ seien, wie sie sagt. „Identitätspolitik ist Deutschland!“, kontert sie, und auch da ist sie sich mit Czollek schnell einig.

Ihr Theater verstehe Langhoff dagegen als Haus für die bisher unerzählten Geschichten und seit Beginn auch als ein sinnstiftendes Projekt gegen die postmoderne Erschöpfung. Wobei das mit dem Sinn inzwischen so eine Sache sei, gibt sie zu. Sie selbst befinde sich gerade in einer „Reflexionsphase“ angesichts wenig optimistisch stimmender gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Frage danach, wo die eigene Praxis vielleicht auch gescheitert sei, wo man letztlich nichts habe ausrichten können, treibe sie um. Deshalb bleibe das Gorki für sie vor allem ein Raum der Gegenöffentlichkeit und des Widerstands, dessen aktuelle Mitstreiter an diesem Nachmittag genauso häufig auf- wie die Vorbilder angerufen werden – von der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar bis zur Bürgerrechtlerin Rosa Parks.
Die Zeit vergeht zwischen viel Biografischem und Historischem, ein paar Umdrehungen Gegenwartsanalyse und jeder Menge Programmvorstellung. Eigenlob gehört bei Veranstaltungen dieser Art dazu, aber während man Langhoff und Czollek zuhört in ihrem selbsteingestandenen Hang zum Monologisieren, wird die anhaltende Besonderheit der Institution Gorki doch immerhin erstaunlich präzise greifbar. Als Ganzes wirkt sie längst größer und wichtiger als diejenigen, die sie sich einmal ausgedacht haben.



