Die Empörung darüber, dass der Bundestag am Donnerstagvormittag nach der emotionalen Rede von Wolodymyr Selenskyj zur Tagesordnung überging und die Bundestagspräsidentin erst einmal zwei Parlamentariern zum Geburtstag gratulierte, ist enorm und weist auf eine empfindliche Stelle hin. Norbert Röttgen von der CDU twittert: „Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe!“ Weniger prominente Twitterer wollen die Schande deutlich machen, indem sie unter dem Hashtag #Tagesordnung Fotos von Kriegsschäden und Opfern posten – und das Ganze mit jeder Menge Kotz-Smileys dekorieren. Die Regierung ist rhetorisch in die Falle gegangen, die Opposition sahnt ab – und auf einmal ist der selbstreflexive Streit über die Tagesordnung wichtiger als alles andere.
Natürlich wäre eine Antwort des Kanzlers angemessen gewesen. Ein Statement, in dem er seine Anteilnahme zeigt und erklärt, warum er die Wünsche des ukrainischen Präsidenten nicht erfüllen wird und was die Regierung stattdessen zu tun gedenkt. Olaf Scholz hätte sprechen müssen mit dem Wissen, dass Selenskyj mit seiner Antwort nicht zufrieden sein kann. Und dass das Elend, die Gewalt, das Sterben mit so einer Antwort nicht aufhören.

