Debatte

Ist das typisch deutsch? Gedanken zur Regulierung des Verkaufs von halben Broten

In Rheinland-Pfalz verkaufen die Bäcker aus Angst vor Strafen keine halben Brote mehr. Sind denn alle verrückt geworden?

Ein ganzes Brot
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Normalerweise kaufe ich Backwaren bei Hakan, aber der war im Urlaub. Na gut, dann ging ich eben zum Backshop in meinem Supermarkt, um ein halbes Brot zu erwerben. Aber was machte die Bäckereifachverkäuferin da? Darf man so mit den zarten Nerven seiner vom Alltag gehetzten Kundschaft spielen? Noch dazu schienen aus jeder ihrer Verrichtungen Widerwille und Vorwurf zu sprechen: Handschuh überziehen, das Brot aus dem Regal (oben) nehmen, es mit routinierten, aber komplexen Handgriffen in den Brotschneideautomaten einspannen, selbigen programmieren, die beiden Hälften entnehmen, eine ins Regal (oben) stellen, die andere ... Nein, sie wickelt sie nicht ein und legt sie auf den Ladentisch, sondern sie legt sie auf die Waage, ermittelt einen krummen Preis, packt dann die Ware ein und überreicht mir mit einem vernichtenden Lächeln das Gewünschte: Ein halbes Landbrot bitte, das macht dann einen Euro und 23 Cent.

Ich hatte diesen Vorfall als Projektion aus meiner schlechten Laune heraus gewertet und fast vergessen, erfahre aber nun, dass die Verkäuferin – wenig überraschend, denn das ist schließlich der Gipfel der Demütigung – vorschriftsmäßig handelte. Gestritten wird über das Thema derzeit vor allem in Rheinland-Pfalz, es wird aber schon dankbar überregional aufgenommen.

Der symbolische Debattenmehrwert

Sicherlich ein Sommerloch-Effekt. Denn eigentlich ist es eine Petitesse, aber eine mit symbolischem Mehrwert, der sich in Kulturkämpfen und also auch in der Parteipolitik und für populistischen Haltungsjournalismus ausschlachten lässt. Es geht um Bedingungen und Grenzen der Gerechtigkeit, um unser von staatlicher Bürokratie angeblich gegängeltes Wirtschaftssystem, es geht um tradierte Hungererfahrungen und die Wegwerfgesellschaft. Es geht – unabhängig davon, dass wir in dem Land mit den meisten Brotsorten leben – natürlich auch um das angeblich typisch Deutsche, das in solchen Debatten thematisiert wird, sich aber auch in ihnen zeigt. Und ja, wer von Brot und von Teilen spricht, der darf das religiöse Unterfutter nicht außer Acht lassen. Wäre Jesus ein Deutscher gewesen, hätte er eine Waage benutzt, als er das Brot teilte und unter den Armen verteilte? Auf jeden Fall hätte er eine benutzt, wenn er das Brot unter armen Deutschen geteilt hätte. Sonst hätten die ihn schneller ans Kreuz genagelt, als Pontius Pilatus „Händewaschen“ sagen kann.

Jesus verteilt das Brot unter den Armen. Eine Waage brauchte er dafür offenbar nicht. Abbildung eines byzantinischen Meisters (16. Jahrhundert).
Jesus verteilt das Brot unter den Armen. Eine Waage brauchte er dafür offenbar nicht. Abbildung eines byzantinischen Meisters (16. Jahrhundert).Heritage Images/imago

Also warum in Gottes Namen nimmt die Bäckereifachverkäuferin nicht einfach ein gutes Messer zur Hand, schneidet das Brot in der Mitte durch und verlangt die Hälfte des Preises? Meinetwegen dürfte sie für den Service auch einen kleinen Aufpreis draufschlagen. Das darf sie sogar von Gesetzes wegen und muss es nicht einmal deklarieren. So heißt es auf dem Verbraucherportal Lebensmittelklarheit.de: „Das Brot zu halbieren, ist – rechtlich gesehen – ein individuelles Angebot, aus dem der Kaufvertrag zu geänderten Bedingungen abgeschlossen werden kann.“ Gute Vorlage für einen Loriot-Gag.

Wer ist denn nun schuld am verdorbenen Vertrauen im Broteinzelhandel? Das rheinland-pfälzische Landesamt für Mess- und Eichwesen wolle seine Vorgehensweise überdenken, heißt es nun. Vielleicht wird ja eine neue Kulanzklausel ins Vertragswerk eingearbeitet. Dann macht die Regelüberwachung noch mehr Freude.

Behörde tätigte verdeckte Käufe von halben Broten

Bisher hatte die Behörde ihre Mitarbeiter verdeckte Käufe von halben Broten tätigen lassen. Wer das halbe Brot ungewogen verkaufte, wurde mit einem Ordnungsgeld in dreistelliger Höhe belegt. Diese Praxis sprach sich herum, und mehrere Bäcker konnten auf sie als Argument verweisen, nun überhaupt keine halben Brote mehr verkaufen zu wollen, schließlich würden sie sich strafbar machen, wenn sie das bürokratische Abwiegen und Preisangleichen unterließen.

Wer wollte ihnen das verdenken, zumal dieser Nebenkonflikt wie gerufen kommt, ist es doch aus ihrer Sicht sowieso blöd, ein halbes Brot zu verkaufen, wenn man auch ein ganzes loswerden kann, ob es nun gebraucht wird oder nicht? Ein Drittel der Berliner lebt in Singlehaushalten? Egal, sollen sie das Brot doch selbst portionieren, einfrieren und nach Bedarf aufbrauchen oder einfach wegschmeißen und ein neues ganzes kaufen.

Andererseits, warum ist die Behörde denn überhaupt tätig geworden? Offenbar haben sich ausreichend Brotkonsumenten genötigt gefühlt, bei der Beschwerdestelle des Amtes Einspruch zu erheben. Muss man da eigentlich seinen Namen nennen oder darf man anonym den Verdacht melden, dass bei der Teilung der Ware möglicherweise die Toleranzgrenze von 30 Gramm auf ein Kilogramm nicht eingehalten wurde? Das entspricht noch nicht einmal einer Scheibe, die mit einem tariflichen Durchschnittsgewicht von 35 Gramm zu Buche schlägt.

Wann kommt das Eichhörnchen zum Einsatz?

Möchte man jemand sein, der sich nicht traut, seinen Bäcker direkt mit diesem Verdacht zu konfrontieren, der stattdessen den gesellschaftlichen Frieden aufs Spiel setzt, indem er das staatliche Gewaltmonopol bemüht, um sein Recht indirekt durchzusetzen und fürderhin aufs Gramm genau das zu bekommen, was ihm zusteht?

500-Gramm-Brote dürfen übrigens grundsätzlich nicht geteilt werden, weil eine ihrer Hälften, die fast nie identisch, also streng genommen gar keine Hälften sind, den Grenzwert zum Kleingebäck unterschreiten würde. Für den Verkauf von Kleingebäck wiederum gilt das Stückmaß. Noch. Der Berliner Autor und Wortakrobat Peter Glaser hat schon mitgeteilt, wie das Urmeter für Croissants heißen müsste: Eichhörnchen.