„Maestro“

Ist Jewfacing das neue Blackfacing? Streit um Nasenprothese des Schauspielers Bradley Cooper

Bradley Cooper spielt in dem Film „Maestro“ den jüdischen Komponisten Leonard Bernstein – mit künstlich vergrößerter Nase. Ist das okay oder antisemitisch?

Bradley Cooper mit Nasenprothese als Leonard Bernstein im Film „Maestro“
Bradley Cooper mit Nasenprothese als Leonard Bernstein im Film „Maestro“Jason McDonald/Netflix

Der amerikanische Schauspieler Bradley Cooper („Hangover“) stellt in dem Biopic „Maestro“ den jüdischen Komponisten Leonard Bernstein („Westside Story“) dar. Die Netflix-Produktion feiert im September bei den Filmfestspielen in Venedig Weltpremiere, den Trailer gibt es schon – er zeigt Cooper, der zugleich auch Regie führt, mit einer Prothese, die seine Nase größer macht. Wäre Bernstein nicht Jude, Sohn von Einwanderern aus Wolhynien, einer Region, die heute zur Ukraine gehört, würde sich kein Mensch darüber aufregen, dass ein Schauspieler versucht, sich dem äußeren Erscheinungsbild des von ihm Verkörperten anzunähern.

Gerade hat man Robert De Niro dafür gefeiert, dass er sich 30 Kilo anaß, um in Martin Scorceses Boxerfilm „Wie ein wilder Stier“ auch den alten Protagonisten glaubwürdig darstellen zu können. „Schauspielkunst wurde durch De Niros körperliches Spiel damals neu definiert – als vollkommene Verwandlung auf Zeit“, schreibt Daniel Kothenschulte. Und allein das Verb „verkörpern“ sagt doch, dass es beim Schauspiel auch um die Physiognomie geht, wenn es ein reales Vorbild gibt.

Aber im Fall Cooper/Bernstein gibt es eben doch ein Problem, denn die „jüdische Nase“ gilt als antisemitisches Stereotyp, und so gab es entsprechende Unruhe in den (sozialen) Medien. Auch das Wort von der kulturellen Aneignung fiel, denn Cooper hat nicht nur eine normal große Nase, er ist außerdem kein Jude. Darüber hinaus gibt es eine groteske Diskussion darüber, ob die Prothese Coopers Nase größer macht, als die von Bernstein es je gewesen ist. Die New York Times war sich nicht zu schade, Fotos von Bernstein und Cooper mit Nasenprothese nebeneinander zu zeigen, sodass der Leser selbst den Nasenvergleich anstellen kann. Haben wir es hier wieder mit einem der Auswüchse zu tun, wie sie die Identitätspolitik hervorgebracht hat? Oder ist Jewfacing das neue Blackfacing?

Vor ein paar Jahren gab es eine Debatte darum, ob weiße Schauspieler ihre Haut schwarz färben und schwarze Menschen darstellen dürfen. Denn das Blackfacing wurzelt in der amerikanischen Tradition der Minstrel-Shows aus dem 19. Jahrhundert, die das rassistische Stereotyp eines ebenso fröhlichen wie dummen Schwarzen bemühten. Weiße Schauspieler malten sich das Gesicht schwarz an, tanzten, sangen und amüsierten so das Publikum. Blackfacing wurde auch in der darstellenden Kunst in Europa lange arglos betrieben. Genannt sei hier nur Otello aus der gleichnamigen Verdi-Oper. Bis vor ein paar Jahren noch hat es Blackfacing auch an Berliner Theatern gegeben, etwa an Didi Hallervordens Schlosspark-Theater oder am Deutschen Theater. Das war 2012, und das Deutsche Theater verzichtete nach Protesten darauf, seine Schauspieler schwarz anzumalen. Heute wird sich in der westlichen Welt kaum noch ein Theater oder Opernhaus finden, das Blackfacing betreibt, und sei es, um sich die nachfolgenden Diskussionen zu ersparen.

Was also ist der Protest gegen die Nasenprothese von Bradley Cooper?

Die Identitätspolitik sorgt auf dem Feld der darstellenden Kunst für Sensibilität und manchmal für Überempfindlichkeit. Wo die Grenze ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Dürfen in einem Bereich, in dem es doch um Anverwandlung geht, nichtjüdische Schauspieler Juden spielen, nicht homosexuelle Schauspieler Homosexuelle und so weiter? Der 18 Jahre alte Schauspieler Kit Connor, der in der Netflix-Serie „Heartstopper“ einen bisexuellen Jungen spielt, erwehrte sich vor einiger Zeit des Queerbaiting-Vorwurfs, indem er sich unter diesem Druck als bisexuell outete. Manchmal werden identitätspolitische Fragen auch spielerisch gelöst. Am Schauspielhaus Bochum durfte Sandra Hüller den Hamlet spielen, bald gab es auch einen weiblichen Hamlet am Berliner Gorki-Theater. Die Netflix-Serie „Bridgerton“ bediente sich des colorblind casting und besetzte die Queen und viele andere Angehörige des britischen Adels mit schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern, was wunderbar funktionierte. Was also ist der Protest gegen die Nasenprothese von Cooper, identitätspolitischer Auswuchs oder Ausdruck berechtigter Sensibilität?

Das Vorbild für die „typisch jüdische“ Nase geht auf den deutschen Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) zurück, der behauptete, bei Juden eine besonders starke Ausprägung des Nasenknochens nachweisen zu können. Von da an war dieses Klischee in der Welt und ging nicht mehr weg. Es findet sich etwa an Spazierstöcken aus dem 19. Jahrhundert, bei denen der Griff wie eine lange Nase geformt ist; sie sind in manchen jüdischen Museen ausgestellt – als Beispiel für alltäglichen Antisemitismus. In der Nazizeit waren antisemitische Klischees, die sich auf Körperformen bezogen, weit verbreitet, ja, man versuchte sie mithilfe der Kraniometrie, zu der auch die Vermessung von Nasen bei jüdischen Menschen gehörte, auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen – vergeblich. Den Karikaturisten beim Stürmer war das egal. Hier haben alle Juden grotesk große Hakennasen.

Die „jüdische Nase“ wird seitdem zumindest in Deutschland so sehr mit übelstem Antisemitismus assoziiert, dass der Anblick der Nasenprothese des Schauspielers Bradley Cooper unangenehm ist. Man wünschte, er hätte darauf verzichtet, denn so wichtig, dass es diese Diskussionen und vor allem die unguten Assoziationen lohnt, ist die Nasengröße einfach nicht für einen Schauspieler, der Leonard Bernstein spielt. Was hat sich der Regisseur Cooper dabei bloß gedacht? Da hilft auch die Nachricht nicht, dass Bernsteins Kinder mit der Prothese einverstanden sind.