Die wohl bekannteste Feministin Deutschlands feiert ihren 80. Geburtstag. Im vergangenen September hat die Berliner Zeitung ein Interview mit ihr geführt, in dem sie zurück und in die Zukunft blickt.
Sie werden dieses Jahr 80, das könnte ja auch ein Moment sein, Bilanz zu ziehen. Wie fällt diese aus?
Insgesamt sehr positiv. Wer, wenn nicht ich, kann sagen, dass er mehr erreicht hat, als man sich erträumen kann? Der Journalismus ist mein Traumberuf, ich habe ein eigenes Blatt und bin vollständig unabhängig. Emma macht seit Jahrzehnten Themen öffentlich, die sonst weiter verschwiegen worden wären, nötigt so die anderen Medien zum Nachziehen und beeinflusst sogar Gesetze. Vor allem im Bereich der sexuellen Gewalt und der Doppelbelastung der Frauen. Übrigens immer auch mit neugierigem, unvoreingenommenem Blick auf die Lage der Frauen in Ostdeutschland. Am meisten jedoch freut mich persönlich, dass ich mit meinen Büchern und meinen öffentlichen Interventionen, mit meinem Mich-nicht-einschüchtern-Lassen so vielen Frauen – und auch so manchem Mann – Mut gemacht habe. Und ich das weiterhin tue. Siehe zum Beispiel meine Kritik an der deutschen Kriegspolitik.
In der Filmbiografie über Sie, die im September in den Kinos anlief, hat mich manche Szene denken lassen, dass die Feministinnen gar nicht so viel erreicht haben. In einer Talkshow aus dem Jahr 1977 fragt der Moderator Sie, ob es besser für die Emanzipation sei, wenn die Frau auch arbeiten gehe – neben der Hausarbeit. Und Sie sagen dann, dass man sich die ja auch mit dem Mann teilen könne. Heute – 45 Jahre später – heißt Hausarbeit Care-Arbeit, aber leisten tun sie noch immer vor allem Frauen. Kann man die patriarchalischen Strukturen überhaupt je überwinden?
Da haben Sie recht! Aber was sind schon 50 Jahre Feminismus gegen 5000 Jahre Patriarchat? Doch in der Tat: Wir leben in einer Zeit der Widersprüchlichkeit. Den Frauen steht heute theoretisch die Welt offen, zumindest denen in den westlichen Demokratien. Gleichzeitig scheinen die Enkelinnen der feministischen Pionierinnen das so manches Mal zu vergessen. Viele von ihnen haben den Preis ihrer Mütter und Großmütter gesehen, den diese für die Emanzipation gezahlt haben – und sehnen sich jetzt nach Geschlechterfrieden. Sie scheuen sich, sich auch noch privat mit den Männern anzulegen. Lieber erkaufen sie sich Frieden und Liebe durch weibliche Dienstleistungen. Auf die Dauer landen sie damit aber in der Sackgasse. Es ist besser, Interessenkonflikte offen auszutragen, statt sie zu verschleppen. Es liegt auch an diesem Immer-geliebt-werden-Wollen der Frauen, dass die Männer nicht entschieden genug gefordert werden: zum Teilen der Welt und des Hauses. Dabei gibt es durchaus eine steigende Anzahl von Männern, die bereit sind, den Preis für eine echte Emanzipation zu zahlen. Statt Mann und Frau zu spielen, finden auch sie es viel aufregender, sich als Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Auch erotisch übrigens.

Noch ein Beispiel: Sie haben für das Recht auf Abtreibung gekämpft, aber in Deutschland ist Abtreibung noch immer strafbar, es geht sogar wieder rückwärts, auch in den USA zum Beispiel. Was sagen Sie dazu?
Tja, ein gutes Beispiel, die Abtreibung. Es ist in der Tat unerhört, dass wir in Deutschland nach 50 Jahren informieren, argumentieren und protestieren immer noch nicht das Recht auf Abbruch einer ungewünschten Schwangerschaft haben, sondern uns nur die Gnade dazu gewährt wird. Wie lange noch? Der Kern des Paragrafen 218 – die Bevormundung und Entmündigung der Frauen – bleibt so erhalten. Und wie konnte es eigentlich passieren, dass bei der Wiedervereinigung für ganz Deutschland das reaktionäre Verbotsgesetz der BRD übernommen wurde und nicht die Fristenlösung der DDR. Für die vatikanhörigen Konservativen stand das elementare Menschenrecht einer selbstbestimmten Mutterschaft noch nie auf der Agenda. Wir titeln gerade in der aktuellen Emma mit dem Thema. Zum gefühlt hundertsten Mal. Und wir zeigen, dass dieses elementare Menschenrecht – eine selbstbestimmte Mutterschaft – nicht nur in Polen und Amerika gefährdet ist, sondern auch in Deutschland; von München bis Kiel, von Köln bis Leipzig. Was ist mit den Grünen und der SPD? Worauf warten die eigentlich, den Paragrafen 218 endlich zu streichen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist für Sie der politische Islam. Sie nennen ihn den Faschismus des 21. Jahrhunderts. Was meinen Sie damit?
Damit meine ich, dass ein fundamentalistisch-religiöses Denken totalitär ist. Das sehen wir auch in Amerika, wo die Evangelikalen, für die Gott die Erde in sechs Tagen erschaffen hat, zu 80 Prozent Trump gewählt haben. Und wir sehen, dass in den islamistischen Diktaturen – von Iran bis Saudi-Arabien – nicht Recht, sondern Gewalt herrscht. Und die totale Entrechtung der Frauen. Diese Islamisten sind totalitäre Ideologen. Sie haben den Islam in Geiselhaft genommen und wollen Gottesstaaten statt Rechtsstaaten. Ihren weltweiten Siegeszug haben sie 1979 im Iran angetreten und seit Mitte der 1990er-Jahre einen zielstrebig verfolgten internationalen Plan. Gezielt haben sie Universitäten und Medien unterwandert und allen voran die Köpfe junger Akademikerinnen und Akademiker verwirrt. Die reden heute von „Islamophobie“ und „Rassismus“, sobald man wagt, die islamistischen Agitatoren und ihre Ideologie zu kritisieren.
Sie haben in dem Zusammenhang auch die Einwanderung von Männern aus patriarchal geprägten Gesellschaften problematisiert. Ist das nicht zu pauschal?
Nein. Denn man entkommt als Individuum nicht den Prägungen und Verpflichtungen seiner Kultur. Sicher, ich selber habe Freunde aus Nordafrika oder den vorderasiatischen Ländern, die aufgeschlossener und geschlechtergerechter sind als so mancher deutsche Mann. Aber das sind Ausnahmen. Diese eingewanderten jungen Männer kommen aus Ländern, in denen Frauen sogar juristisch gänzlich rechtlos sind, Bürger zweiter Klasse, und Männergewalt gegen Kinder und Frauen die Norm ist. Das heißt, sie müssen „die Tausende von Kilometern, die sie mit ihren Füßen zu uns gekommen sind, auch noch in ihren Köpfen zurücklegen“. Der das sagt, ist der muslimische Algerier und Schriftsteller Kamel Daoud. Für solche Gedanken wird er in seiner Heimat mit einer Fatwa bedroht. Wenn wir diese zugewanderten jungen Männer wirklich ernst nehmen, müssen wir ihnen eine Chance zur echten Integration geben. Wir müssen ihnen beibringen, dass bei uns Männer den Frauen gleich sind und sie Frauen mit Respekt zu begegnen haben. Wir müssen sie an denselben Maßstäben messen wie die deutschen Männer und dürfen nicht denken: Na ja, die kennen das nicht anders, als Frauen zu verachten. Nein, auch sie können lernen!
Sie sind ja immer viel beschimpft worden. „Hexe“ hat man Sie genannt, „Schwanz-ab-Schwarzer“. Wie haben Sie das empfunden, wie sind Sie damit fertiggeworden?
Nun ja, das war schon fies. Es sollte mich und die anderen Frauen einschüchtern: Seht mal, das machen wir mit so einer! Aber es stand dermaßen in Kontrast zu meiner Lebensrealität. Außerdem wusste ich ja schon, dass man das mit Frauenrechtlerinnen immer schon so gemacht hatte: Man gewährt uns nicht die Ehre der Diskussion unserer Argumente, sondern versucht, uns zum Schweigen zu bringen, durch Degradation und Lächerlichmachen. Zu kurz gekommen … Müsste nur mal richtig rangenommen werden … et cetera.
Sie sind als uneheliches Kind bei Ihren Großeltern aufgewachsen, in einem Gartenhaus über Wuppertal, das für den Übergang gedacht war, aus dem Sie aber nie herauskamen. Ihre Großeltern seien aus dem Tritt geraten, sagen Sie im Film. Sie haben vielleicht so etwas wie eine Außenseiterexistenz geführt. Hat Sie das befähigt, Positionen einzunehmen, die der Mehrheit widersprechen?
Genauso ist es. Schwarzers waren nach dem Krieg nicht nur soziale Absteiger, sondern vor allem als Nazihasser isoliert. Denn das war damals noch gar nicht angesagt, dagegen gewesen zu sein. Meine Großmutter war der Motor. Sie hat auch öffentlich Charakter bewiesen: in zwölf Jahren niemals Heil Hitler gesagt, Zwangsarbeitern heimlich Essen zugesteckt. Sie und mein Großvater waren schockiert, dass nach 1945 alles so weiter ging wie vorher, wie sie sagten. Dass die Nazis in den Ämtern immer noch auf ihren Posten saßen et cetera. Es war innerhalb meiner Familie selbstverständlich, bei Unrecht und Unterdrückung nie wegzusehen. Auch ich fand das selbstverständlich und bin bis heute so. Das ist gar kein Mut. Ich kann einfach nicht anders.
Jetzt ist es Ihre eigene Szene, die sich zum Teil gegen Sie wendet. Junge Feministinnen wie Margarete Stokowski nennen Sie in Bezug auf Ihre Haltung zum politischen Islam eine Rassistin. Wie gehen Sie damit um?
Nun ja … Es ist nicht neu, dass es innerhalb des Feminismus verschiedene Strömungen gibt. Der hat ja kein Patent. Genauso wenig wie der Sozialismus. Das war auch schon vor 50 Jahren so. Es gab auch schon damals Feministinnen, die mich kritisierten. Das waren eigentlich dieselben selbst ernannten linken Feministinnen, die uns autonome Feministinnen kritisierten, weil wir angeblich die Klassenfrage ignorierten. Heute sind es Linksliberale, die mir vorwerfen, Rassistin zu sein. Beides entbehrt jeder faktischen Grundlage und ist in Bezug auf das, was jemand wie ich tut und schreibt, einfach grotesk. Außerdem: Wenn Männer politische Differenzen haben, ist das ein Disput – bei Frauen ist es Weiberzank. Es geht immer nur darum, Frauen zu spalten.
Als TERF werden Sie wegen Ihrer Haltung zum Thema Transgender beschimpft. In dem Film fällt in Zusammenhang mit dem Kampf gegen Paragraf 218 der Satz: Ich möchte über meinen Körper selbst bestimmen. Gilt das nicht auch für die Transfrau oder den Transmann oder sehen Sie da einen Unterschied?
Bei dieser Debatte geht einfach alles durcheinander. Ich bin es langsam leid! Also, noch einmal das ABC: Es gibt eine Minderheit transsexueller Menschen, die sich „in der falschen Haut“ fühlen. Ich habe schon zu einer Zeit, als kaum jemand auch nur den Begriff Transsexualität kannte – seit 1984 – Respekt für Transsexuelle gefordert und ein Gesetz, das bei großem Leidensdruck und echter, also untherapierbarer Transsexualität das Recht auf Geschlechtsangleichung und Personenstandswechsel gewährt. Nun taucht in den letzten Jahren eine ganz neue Gruppe auf. Junge Menschen, vorwiegend Mädchen, die plötzlich von sich sagen: Ich bin transsexuell. Die Zahl dieser Menschen ist in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen: um das 40-Fache in der ganzen westlichen Welt und um das 100-Fache zum Beispiel in der britischen Jugendpsychiatrie Tavistock: von 52 auf 5000 im Jahr.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Es ist naheliegend, dass vor allem Mädchen in der Pubertät im Geschlechtertrouble sind. Das hat nichts mit ihrem biologischen Geschlecht und alles mit der Geschlechterrolle zu tun. Verständlicherweise. Die engt Frauen heutzutage immer noch ein. Doch statt ihnen zu sagen: Nicht, weil du biologisch weiblich bist, musst du in rosa Tüll rumlaufen. Du darfst auch als Mädchen Fußball spielen, dich in deine beste Freundin verlieben oder eine Schwäche für Mathe haben. Stattdessen sagt man ihnen: Wenn du kein echtes Mädchen bist, dann bist du eben ein Mann. Nach dem von der Koalition jetzt geplanten Gesetz sollen diese Mädchen wie auch die Jungen in Zukunft ab dem 14. Lebensjahr das Geschlecht wechseln können, ohne dass ihnen auch nur eine einzige Frage gestellt wird – auch von den eigenen Eltern nicht. Dem Wechsel folgen dann in der Regel Pubertätsblocker und Hormongaben, beides ist körperlich wie seelisch gefährlich. Und als letzter Schritt die Amputation der Brüste und Verstümmelung der Genitalien. Und das ist dann nicht mehr rückgängig zu machen. Ein solches Gesetz wäre verantwortungslos. Darum fordere ich die Geschlechtsangleichung erst ab dem Alter von 18 und nur nach Prüfung der Motive.
Haben Sie die Deutungshoheit über manche feministische Themen verloren?
Die Deutungshoheit kann ich gar nicht verlieren, weil ich sie nie hatte. Ich war immer umstritten, vor allem in meinen eigenen Reihen, ich bin nicht „die Frauenbewegung“, ich bin ich. Ich bin auch keine Anhängerin ewiger Wahrheiten, sondern eine Anhängerin von Aufklärung, Haltung und Meinungsvielfalt. Aber es gibt eben nun mal auch Fakten – wie die biologische Zweigeschlechtlichkeit –, die indiskutabel sind. Diskutabel hingegen ist die sexuelle Identität. Letzteres sollte jedem Menschen freigestellt sein und kann im Laufe eines Lebens übrigens auch wechseln.
Gibt es etwas, das Sie bereuen, das ein Fehler war, das Sie anders machen würden?






