Sieht man einmal von der äußeren Form ab, die sich als „schwangere Auster“ fest in die Hauptstadt-Silhouette eingebrannt hat, ist das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) aus kuratorischer Sicht ein schwieriger Fall. Es ist, als würde sich die beton- und säulenlastige Behausung gegen jegliche Form der Innenraumgestaltung störrisch zur Wehr zu setzen. Mit Veränderungen verhält es sich ähnlich wie mit der Frisur einer guten Freundin. Es kann einem schnell übelgenommen werden, wenn man sie nicht bemerkt.
Umso überraschter erblickt man in der Rotunde des HKW nun eine 360-Grad-Wandbemalung, die durch Farb- und Formgebung von einer programmatischen wie musikalischen Signatur des neuen Hauses der Kulturen kündet, das an diesem Wochenende unter der Intendanz des deutsch-kamerunischen Kurators Bonaventure Soh Bejeng Ndikung eröffnet wurde. Das Gemälde stammt von dem seit über 20 Jahren in Berlin lebenden, aus Kamerun stammenden Maler, Musiker und Radiomacher Tanka Fonta, der mit seinen geometrischen Formen, die zugleich anspielungsreich mythisch daherkommen, das Foyer auf beschwingte Weise zum Tanzen bringt.
Ein altes Haus wird neu beseelt
Bonaventure Ndikung hatte gerufen, und tatsächlich war das HKW so bunt und belebt wie nie zuvor. Im Gedränge war Orientierung nicht einfach, obwohl man ständig auf Namen und sinnstiftende Bedeutung stieß. Der große Vortragsaal heißt jetzt Miriam-Makeba-Auditorium, eine Bar ist nach dem Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld benannt, und ein Vortragsaal erinnert an Safi Faye, die als „first black woman filmmaker“ vorgestellt wird. Durch derlei Referenzen und Verweise, soll das wohl besagen, ist ein altes Haus neu beseelt worden.
Wo früher Konzeptionspapiere gereicht wurden, erscheint nun alles im Geist des Quilombismo, eine Art Mantra, das den schnöden Namen Kongresshalle für immer zu vertreiben gewillt ist. Das Wort spielt an auf sogenannte brasilianische Quilombos, einst von Sklaven erschaffene Siedlungen, die Widerstandszelle und Schutzraum bildeten und nun einen Optionsraum aus Flucht, Beharrungsvermögen und Angriffslust ergeben sollen. Plötzlich ist man mittendrin: lokale Theoriebildung, aktivistischer Tatendrang und ein schier unerschöpfliches Reservoir aus Fremdheit und Ähnlichkeit.
Kunsterfahrene Besucher fühlen sich nicht ganz zufällig an die Documenta 15 in Kassel erinnert, wo vor einem Jahr das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa sein Wirken im Geist des Nonkrong verstanden wissen wollte, eine ambitionierte Form des Abhängens und produktiven Zeitverbringens. Dass es in Kassel dann doch etwas anders kam, zeigt, wie konfliktreich die Themen der Welt seit jeher auch im Referenzrahmen der Kunst aufeinanderprallen.
Auf die große Geste der Ouvertüren folgte dann aber doch erst einmal das Format der feierlichen Rede, in dem gegrüßt und gedankt werden musste. Auf emotionale und politisch hintersinnige Weise machte Kulturstaatsministerin Claudia Roth den Anfang. Sie dankte vor allem der eigens aus Kamerun angereisten Mutter Bonaventure Ndikungs dafür, dass sie es ihrem Sohn einst gestattet habe, zum Studium nach Deutschland zu gehen. Roth verband dies mit einem Plädoyer für ein freizügiges Staatsbürgerschaftsrecht, das Geschenke kultureller Vielfalt, wie Bonaventure Ndikungs Werdegang sie verkörpere, überhaupt erst ermögliche. Die meisten Gäste im Saal dürften zuvor von der lautstarken Protestkulisse Notiz genommen haben, die Roth unlängst in Frankfurt am Main im Rahmen einer jüdischen Musikveranstaltung entgegengeschlagen war. Wohl deshalb distanzierte sie sich gerade im HKW demonstrativ von der anti-israelischen Boykottbewegung BDS. Als Kulturstaatsministerin lehne sie jegliche Art von Boykott ab. Der Applaus blieb an dieser Stelle seltsam verhalten.
Was anfangen mit der Welt
Umso emphatischer wurde der neue Hausherr begrüßt. Bonaventure Ndikung retournierte mit einem kraftvollen Vortrag, der zwischen dem Pathos eines Predigers und der Fabulierlust eines mehrsprachigen Poeten changierte. Dabei ist das Motto, unter das er seine Arbeit an restaurierter Wirkungsstätte unweit des Kanzleramtes, wo Claudia Roth ihm gewissermaßen von oben zusehen kann, zu fassen beabsichtigt, denkbar einfach: „What to do with the world?“ Die Frage „Was fangen wir an mit der Welt?“ impliziert auch die Aufforderung, etwas mit der Welt und im Dienste derselben anzufangen.




