Berlin-Die jüngeren Generationen werden viel stärker von Klimaextremen betroffen sein als die Erwachsenen von heute, heißt es in einer aktuellen Studie eines internationalen Wissenschaftsteams, die am Montag in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. Demnach wird ein Kind, das im Jahr 2021 geboren wird, im Laufe seines Lebens doppelt so viele Waldbrände, zwei- bis dreimal so viele Dürren, fast dreimal so viele Flussüberschwemmungen und Ernteausfälle sowie siebenmal mehr Hitzewellen erleben als eine Person, die heute zum Beispiel 60 Jahre alt ist.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Sicherheit junger Generationen ernsthaft bedroht ist und drastische Emissionsreduzierungen erforderlich sind, um ihre Zukunft zu sichern“, sagt der Hauptautor Wim Thiery von der Vrije Universiteit Brussel. „Wir haben leider gute Gründe für die Annahme, dass unsere Berechnungen den tatsächlichen Anstieg, dem junge Menschen ausgesetzt sein werden, sogar noch unterschätzen.“ In Bezug auf Dürren, Hitzewellen, Flussüberschwemmungen und Ernteausfälle werden Menschen, die heute unter 40 Jahre alt sind, ein Leben führen, das die Forschenden als „beispiellos“ bezeichnen.
Prognose: Bis zu 39 Hitzewellen im Laufe des Lebens
Für ihre Analyse kombinierten die Wissenschaftler Daten der Bevölkerung, die länderspezifische Lebenserwartung und die globalen Temperaturverläufe aus den Berichten des Weltklimarats (IPCC) und konnten daraus verschiedene Szenarien entwickeln.
Für den Anstieg der Hitzewellen haben die Forschenden etwa Folgendes ermittelt: Ein Mensch, der 1960 geboren wurde, erlebt im Schnitt zwei bis sechs Hitzewellen. Wenn die derzeitigen Klimastrategien der Regierungen beibehalten werden, macht ein im Jahr 2020 geborenes Kind durchschnittlich 21 bis 39 Hitzewellen im Laufe seines Lebens mit. Bereits bei einem Anstieg von zwei Grad erhöht sich die Anzahl an Hitzewellen laut der Forschenden auf 15 bis 29. Falls der globale Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzt wird, durchlebt ein Kind zehn bis 26 Hitzewellen in seiner Lebenszeit.
Der Anstieg von Extremwetter-Ereignissen werde besonders stark für junge Menschen im Nahen Osten und in Nordafrika ausfallen. In Ländern mit geringem Durchschnittseinkommen werden jüngere Menschen stärker betroffen sein als in reicheren Ländern, heißt es in der Prognose des internationalen Wissenschaftsteams. Ein Beispiel: Ein Kind, das zwischen 2016 und 2020 in Afrika südlich der Sahara geboren wurde, erlebt laut der Forschenden bis zu sechsmal mehr Extremwetterereignisse. In Europa werden für heutige Kleinkinder gut viermal mehr Klimaextreme prognostiziert.
„Die Folgen des Klimawandels betreffen alle. Doch es sind die Ärmsten der Welt und diejenigen in gefährdeten Situationen, vor allem Frauen und Mädchen, die die Hauptlast der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen tragen“, heißt es auch in einem Bericht von UN Women, einem Organ der Vereinten Nationen. Gerade Extremwetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen würden Menschen in Armut am härtesten treffen. Bis zum Jahr 2050 könnten bis zu fünf Milliarden Menschen von Wasserverschmutzung, Küstenstürmen, Überschwemmungen oder Ernteverlusten bedroht sein – ein Großteil davon in Entwicklungsländern, heißt es zudem in einer Studie.
Klimaschutz verstärken, um 1,5-Grad-Ziel zu erreichen
„Wir können unseren Kindern tatsächlich einen Großteil der Klimalast von den Schultern nehmen, wenn wir die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, indem wir aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen“, sagt Katja Frieler, Wissenschaftlerin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Mitautorin der Science-Studie.
„Wenn wir den Klimaschutz im Vergleich zu den derzeitigen Emissionsminderungszusagen verstärken und uns auf ein 1,5-Grad-Ziel einstellen, werden wir die potenzielle Gefährdung der jungen Menschen durch Extremereignisse im Laufe ihres Lebens weltweit um durchschnittlich 24 Prozent verringern“, erklärt sie. Für Nordamerika seien es minus 26 Prozent, für Europa und Zentralasien minus 28 Prozent und im Nahen Osten und Nordafrika sogar minus 39 Prozent. „Das ist eine riesige Chance,“ sagt Frieler.
Internationale Gemeinschaft weit von 1,5-Grad-Ziel entfernt
Die gefährlichen Hitzewellen, von denen heute 15 Prozent der weltweiten Landfläche betroffen sind, können bei einem Szenario mit unzureichenden klimapolitischen Maßnahmen bis zum Ende des Jahrhunderts auf 46 Prozent ansteigen und sich somit verdreifachen, heißt es in der Studie. Eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad würde die betroffene Landfläche hingegen auf 22 Prozent reduzieren. Das sei mehr als heute, aber deutlich weniger als bei einer ungebremsten Erwärmung, so die Wissenschaftler.
Doch die internationale Gemeinschaft ist derzeit noch weit von einem 1,5-Grad-Ziel entfernt, auf das sich fast alle Länder der Welt im Pariser Klimaabkommen von 2015 geeinigt hatten. Anfang August warnte der Weltklimarat (IPCC) vor den Folgen der Klimaveränderungen. Die Expertinnen und Experten haben eine interaktive Karte für alle Regionen weltweit entwickelt. Bereits an den beobachteten Wetter- und Klimaveränderungen der vergangenen Jahre lasse sich demnach ablesen, dass es mehr Dürren, Hitzewellen und Starkregenereignisse gebe. Die Forschenden zeigen in dem Bericht unter anderem auf, dass insbesondere Hitzeextreme in allen Regionen der Welt deutlich zunehmen werden und bereits heute auftreten, wie etwa die jüngsten Hitzeperioden in Griechenland, Italien und der Türkei zeigen. Auch Extremwetterereignisse wie Dürren, Tropenstürme, Starkregen und Überschwemmungen werden laut der IPCC-Autoren weltweit zunehmen.
Weltklimagipfel startet am 1. November in Glasgow
Vor zwei Wochen erschien zudem ein UN-Klimabericht mit dem Fazit, dass die Welt derzeit auf eine 2,7-Grad-Erwärmung zusteuere. Der internationalen Gemeinschaft drohe demnach, ihr Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung auf vorzugsweise 1,5 Grad gegenüber dem globalen Temperaturniveau vor der Industrialisierung deutlich zu verfehlen.
In Deutschland hat die Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit bereits die Zwei-Grad-Grenze erreicht, das zeigt ein Bericht des Deutschen Wetterdienstes (DWD), der erst vergangene Woche veröffentlicht wurde. Der Zeitraum von 2011 bis 2020 war demnach bereits um gut zwei Grad Celsius wärmer als die Jahre von 1881 bis 1910. Die Temperaturen in Deutschland sind damit deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Schnitt. Dieser liegt bei 1,1 bis 1,2 Grad.




