Klima und Gender

Warum die Klimakrise Frauen deutlich härter trifft

Mädchen und Frauen sind stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen als Männer – auch in Deutschland. Gleichzeitig tragen sie weniger zur Klimakrise bei.

Überschwemmung nach starken Regenfällen in Nord-Bangladesch. Eine Frau trägt ein Wellblechdach durch das Wasser. 
Überschwemmung nach starken Regenfällen in Nord-Bangladesch. Eine Frau trägt ein Wellblechdach durch das Wasser. imago/Zabed Hasnain Chowdhury

Berlin-Der Klimawandel trifft Männer und Frauen gleichermaßen, mag man meinen. Tatsache ist: Hochwasser, Dürre, Stürme, Hitzewellen unterscheiden nicht zwischen den Geschlechtern. Dennoch sind die Folgen des Klimawandels keinesfalls geschlechtsneutral. Verschiedene Studien und Berichte zeigen: Weltweit sind Mädchen und Frauen stärker von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen – auch in Deutschland. 

Wie kommt es dazu? „Ich erkläre das gerne mit einem einfachen Beispiel: Wenn es regnet, regnet es für alle. Die Frage ist, ob man einen Schirm hat“, sagt Gotelind Alber von Gender CC in Berlin, einem internationalen Netzwerk, das sich für eine geschlechtergerechte Klimapolitik einsetzt. Die Klimakrise verstärke vorhandene soziale Ungleichheiten, verschärfe Diskriminierungen. So sind unter anderem auch Menschen mit Behinderungen besonders von der Klimakrise bedroht, schreibt die freie Journalistin Andrea Schöne in der Berliner Zeitung. Gender ist also nur ein Faktor, auf den in diesem Text eingegangen werden soll.

70 Prozent der Menschen, die in Armut leben, sind Frauen

„Die Folgen des Klimawandels betreffen alle. Doch es sind die Ärmsten der Welt und diejenigen in gefährdeten Situationen, vor allem Frauen und Mädchen, die die Hauptlast der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen tragen“, heißt es in einem Bericht von UN Women, einem Organ der Vereinten Nationen. Gerade Extremwetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen treffen Menschen in Armut am härtesten. Und 70 Prozent der Menschen, die weltweit unter der Armutsgrenze leben, sind Frauen. 

Gerade im globalen Süden spüren die Menschen die Klimakrise bereits heute besonders stark. Bis zum Jahr 2050 könnten bis zu fünf Milliarden Menschen von Wasserverschmutzung, Küstenstürmen, Überschwemmungen oder Ernteverlusten bedroht sein – ein Großteil davon in Entwicklungsländern, heißt es in einer Studie im Fachmagazin Science. Frauen treffe diese Auswirkungen noch einmal heftiger als Männer, sagt Gotelind Alber. Soziale Ungleichheiten, Genderrollen und die daraus folgende Aufgabenverteilung führen dazu, dass Frauen beispielweise viel stärker als Männer von Naturkatastrophen betroffen sind und sich dabei eher verletzen oder sogar sterben. 

Bei dem Tsunami 2004 kamen nach einem Bericht der Hilfsorganisation Oxfam viermal so viele Frauen wie Männer ums Leben. Das liege zum einen daran, dass viele Frauen im Gegensatz zu Männern nicht schwimmen können, heißt es in dem Bericht. Auch Warnungen und Informationen zu bevorstehenden Katastrophen erreichen Frauen häufig zu spät, da sie sich viel zu Hause aufhalten würden, um sich um Kinder und Familie zu kümmern, erklärt Alber. Denn Frauen im globalen Süden seien noch viel stärker als in Europa für die Versorgungsarbeit zuständig. 

Ein Beispiel aus Bangladesch: Frauen trauen sich dort alleine und ohne männliche Begleitung oft nicht aus dem Haus. Auch die öffentlichen Schutzräume, die die Menschen etwa bei Überflutungen aufsuchen können, seien meist nicht für die Bedürfnisse der Frauen ausgelegt, sagt Alber. So gebe es etwa keine getrennten Toiletten. Auch aus diesem Grund verschanzen sich die Frauen eher zuhause und sind so stärker bei Überschwemmungen gefährdet.  

Ein Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen verdeutlicht die Geschlechterdimension des Klimawandels außerdem am Beispiel der Landwirtschaft: In den Entwicklungsländern erzeugen Frauen bis zu 80 Prozent der Grundnahrungsmittel, besitzen aber nur gut zehn Prozent der Anbauflächen. Die hohe Verantwortung für die Nahrungsmittelproduktion einerseits und die fehlende Kontrolle und Verfügung über Land, Technologien und Kredite andererseits stellt sie demnach vor enorme Probleme, wenn etwa Dürre die Ernteerträge vermindern und die Sortenvielfalt bedrohen. Die mehrfache Rollenbelastung mache es ihnen oft unmöglich, Investitionen, etwa zur Verbesserung der Bodenqualität und neuer Anbauweisen, zu tätigen. 

Die geschlechtsspezifische Gewalt steigt

In den Ländern des globalen Südens sei es zudem meist die Aufgabe der Frauen, weite Wege zum Wasserholen zurückzulegen oder Holz zu sammeln. Die Dürre erschwere ihre Arbeit, sie müssten weitere Wege zurücklegen, erklärt Alber. Oft müssen dann die Töchter der Familie zuhause bleiben, um zu helfen. Das habe wiederum langfristige Folgen, weil die Mädchen den Anschluss in der Schule verlieren. Aufgrund der längeren Wege häufen sich zudem die sexuellen Übergriffe auf Frauen, besonders in Regionen, in denen bewaffnete Banden marodieren, heißt es in einer aktuellen Studie der Weltnaturschutzunion (IUCN), einer internationalen Nichtregierungsorganisation. 

Generell erhöhe der Klimawandel das Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen. Ein Beispiel: Dadurch, dass zunehmend Familien durch Klimakatastrophen in Not geraten, werden laut der IUCN-Studie auch immer mehr Minderjährige gegen ihren Willen verheiratet. Demnach wurden etwa in Äthiopien und dem Südsudan während extremer Dürren verstärkt Mädchen im Austausch gegen Vieh in die frühe Ehe verkauft. Auch nach Naturkatastrophen steige die Gewalt gegen Frauen. Ein Beispiel: das Erdbeben in Haiti im Jahr 2010. Die Notlager waren überfüllt, es fehlte an Sanitäreinrichtungen und ausreichender Beleuchtung – Frauen wurden daher häufig Opfer nächtlicher Übergriffe.

Frauen haben zudem stärkere hygienische Bedürfnisse, alleine aufgrund der Menstruation und des Stillens. Wenn die Infrastruktur aufgrund von Naturkatastrophen fehlt, trifft es Frauen besonders schwer. Eine Analyse von 130 Studien aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Frauen und Mädchen überproportional hohen Gesundheitsrisiken durch die Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind. Salzigeres Trinkwasser kann aufgrund des steigenden Meeresspiegels zu Frühgeburten sowie zum Tod von Müttern und Neugeborenen führen. In Katastrophenlagen ist der Zugang zu gynäkologischer Versorgung und Geburtshilfe zudem oft eingeschränkt. Auch wenn die Nahrung aufgrund von Dürre knapp wird, leiden in ärmeren Ländern mehr Frauen als Männer an Hunger, weil die knappe Nahrung eher an Jungen und Männer verteilt wird. 

Klimakrise verstärkt vorhandene soziale Ungleichheiten

In Europa sei die Datenlage für geschlechteraggregierte Daten in Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels noch sehr dünn, so Alber. Doch einige Studien existieren bereits zu dem Thema. In Europa sterben teilweise mehr Männer an Naturkatastrophen. Auch das hänge wieder mit Geschlechterrollen zusammen. „Männer sind eher in den Risikoarbeiten involviert“, so Alber. Bei Hitzewellen hingegen würden mehr Frauen sterben. „Vor allem ältere Menschen sterben an der Hitze. Und da Frauen älter werden als Männer, trifft es sie häufiger“, sagt Alber. „Wir vermuten zudem, dass ältere Frauen oft alleine leben und daher nicht so gut versorgt werden wie ältere Männer. Niemand sagt ihnen: Du musst mehr trinken oder: Ruh dich aus!“.

Untersuchungen aus Japan, Nordamerika, Europa und Australien haben zudem gezeigt, dass in Zeiten nach Naturkatastrophen der Bedarf an Sorgearbeit, die auch in industrialisierten Ländern in erster Linie von Frauen verrichtet wird, steigt. Und auch strukturelle Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts im Zusammenhang mit dem Klimawandel existieren in Deutschland. So werde etwa eine höhere CO2-Bepreisung vor allem ärmere Menschen treffen. Darunter seien viele Rentnerinnen und Alleinerziehende – also Frauen. Für einen geschlechtergerechten Klimaschutz in Deutschland müsse man für sie einen besseren Ausgleich schaffen als eine Erhöhung der Pendlerpauschale, die auch in erster Linie Männern zugute komme, da die meisten Pendler männlich sind.

Insgesamt tragen Frauen außerdem weltweit weniger zum Klimawandel als Männer bei. Dadurch, dass Frauen weniger als Männer verdienen, haben sie insgesamt einen geringeren ökologischen Fußabdruck. Männer kaufen zum Beispiel größere Autos. Zahlreichen Studien aus unterschiedlichsten Ländern belegen, dass Frauen hingegen ein eher nachhaltigeres Mobilitätsverhalten aufzeigen – ob gezwungenermaßen, etwa aus Geldnot, oder aus Überzeugung, wurde nicht ermittelt. In einer Studie des Umweltbundesamts heißt es allerdings, dass Frauen insgesamt ein höheres Umweltbewusstsein als Männer aufweisen würden. 

Je weniger Rechte die Frauen haben, desto stärker sind sie gefährdet

Mädchen und Frauen sind also stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen und tragen gleichzeitig weniger zur Klimakrise bei. Was muss sich also ändern? Gerade Frauen in Ländern des globalen Südens benötigen besseren Zugang zu finanziellen Ressourcen, zu eigenem Land und Bildung, meint Alber. Auch Investitionen in Sozialsysteme und in die Infrastruktur sind nötig. Grundsätzlich gilt sowohl in den westlichen Industriestaaten als auch im globalen Süden: Geschlechterrollen müssen aufgebrochen, Löhne gerechter gestaltet und Sorgearbeit besser zwischen den Geschlechtern verteilt werden. „Eine Stärkung der Rolle der Frauen macht sie weniger vulnerabel gegenüber dem Klimawandel“, sagt Alber. „Daten zeigen: Je weniger Rechte die Frauen haben, desto stärker sind sie gefährdet.“

Frauen müssten zudem endlich in einer geschlechtergerechten Politik mitgedacht werden. Ein erster Schritt für gendergerechte Politik sei zunächst mehr Beteiligung von Frauen in der Politik, sagt Alber. Programme zur Waldbewirtschaftung in Nepal und Indien zeigten etwa bessere Ergebnisse, sobald mehr Frauen in den Komitees vertreten waren und effektivere Maßnahmen beschlossen hatten, heißt es in einem Bericht der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Dasselbe sei bei Präventionsprogrammen bei Dürren in Kenia und Äthiopien der Fall gewesen. Es bedeute jedoch nicht, dass alle Frauen, die Entscheidungspositionen besetzen, auch gendergerechte Politik voranbringen, betont Alber. Eine zentrale Forderung von Gender CC: In Zukunft müssten auch in Deutschland klimapolitische Maßnahmen immer danach bewertet werden, wie sie sich auf die Geschlechter auswirken. Noch werde der Aspekt Gender nicht berücksichtigt. 

Eine Untersuchung der Verbindungen zwischen dem Gleichstellungsstatus und der Größe des ökologischen Fußabdrucks in mehr als hundert Ländern zeigt zudem, dass nach dem Bruttosozialprodukt die Gleichstellung der Geschlechter der Faktor mit den größten Wirkungen auf die Minderung von CO2-Emissionen sei. Man könnte also sagen: Je geschlechtergerechter eine Gesellschaft, desto kleiner der CO2-Fußabdruck pro Person. Laut dem Global-Gender-Gap-Bericht des Weltwirtschaftsforums sind wir davon allerdings noch weit entfernt. Frauen können weltweit erst in mehr als 133 Jahren mit Gleichbehandlung in allen Bereichen rechnen, so der Bericht. Mit Blick auf den Klimawandel gibt es nun einen Grund mehr, die Gleichberechtigung schneller voranzubringen.