Berlin - Der Plenarsaal des Deutschen Bundestags am kommenden Donnerstagnachmittag: Tagesordnungspunkt 15 soll verhandelt werden. Mehr als acht Stunden wird die 28. Sitzung des Parlaments dann schon gedauert haben, jetzt soll es um Bonuszahlungen für Pflegekräfte gehen, die in der Corona-Pandemie unter extremem Druck gestanden haben. Spät ist diese erste Aussprache des Gesetzentwurfes angesetzt, den das Bundeskabinett aus SPD, Grünen und FDP vorige Woche verabschiedet hat. Spät kommt die Gratifikation. Doch Kritik regt sich nicht am Timing, sondern daran, dass nur eine Milliarde Euro ausgeschüttet wird. Nicht alle Beschäftigten in der Pflege können daher eine Einmalzahlung erhalten. Opposition und Verbände befürchten, dass der Bonus als Alibi herhalten muss. Für eine Grundsatzdebatte über mögliche Fehler im System Gesundheitswesen lassen die angesetzten 45 Minuten jedoch kaum Zeit.
Insgesamt 500 Millionen Euro sollen auf 837 Krankenhäuser verteilt werden, die 2021 viele Corona-Patienten versorgt haben. Genauer: Patienten, die künstlich beatmet werden mussten. Über das Jahr müssen die Kliniken für die Auszahlung mindestens zehn Intensivpatienten versorgt haben, für jeweils mehr als 48 Stunden. Der Bonus geht nur an Pflegekräfte auf Intensivstationen und in bettenführenden Abteilungen. An Fachkräfte auf Intensivstationen wird das Anderthalbfache der ansonsten gewährten Prämie ausgezahlt.
Verdi: „Bonus reicht vorne und hinten nicht“
Weitere 500 Millionen Euro kommen Beschäftigten der Alten- und Langzeitpflege zugute, die zwischen November 2020 und Juni 2022 mindestens drei Monate für eine staatlich zugelassene Einrichtung gearbeitet haben. Gestaffelt sind die Boni nach Nähe zu den Klienten und Qualifikation der Pflegekraft.
„Das zentrale Problem der Prämie ist die Begrenzung der Ausgaben auf insgesamt eine Milliarde Euro“, sagt Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi. „Das reicht hinten und vorne nicht. Beschäftigte, die nichts bekommen, werden das als Affront empfinden.“ Die großen Fachverbände der Physio- und Ergotherapeuten zum Beispiel bemängeln, dass ihre Mitglieder leer ausgehen, obwohl sie vielfach in Kliniken arbeiten und ebenfalls täglich einer extrem großen Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen seien. Ebenfalls von den Boni ausgeschlossen sind Mitarbeiter in der Psychiatrie, in der stationären Reha, im Rettungsdienst. „Dafür gibt es schlicht keine überzeugenden Argumente“, sagt Bühler.
Das sieht Ates Gürpinar von der Bundestagsfraktion der Linkspartei ähnlich. Der Sprecher für Krankenhaus- und Pflegepolitik verweist darauf, dass die Prämien in der Langzeitpflege sogar noch geringer ausfallen als die für Klinikpersonal: „Das ist ein winziges Pflaster auf einer großen, klaffenden Wunde“, sagt Gürpinar. Stattdessen seien „bessere Arbeitsbedingungen und langfristig höhere Löhne in allen Gesundheitsberufen notwendig, um Menschen für diesen Bereich zu gewinnen und zu halten“. Es gilt eine Abwärtsspirale zu durchbrechen. Wegen Personalmangel steigt der Druck; verlässt Personal den Beruf oder arbeitet verkürzt, steigt der Druck weiter. In der Altenpflege etwa liegt die Teilzeitquote bei über zwei Dritteln. Läge sie bei nur einem Drittel, wären geschätzt 100.000 Vollzeitstellen mehr besetzt.
Für Kliniken existiert seit Längerem ein Instrument zur Personalbemessung: PPR 2.0. Verdi, der Deutsche Pflegerat und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben es entwickelt. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzte es nicht um, sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) macht bisher ebenfalls keine Anstalten. „Wir sehen weder auf Bundes- noch Landesebene einen wirklichen Kraftakt für die Pflege“, sagt Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG): „Eine Pflegepersonalbemessung lässt auf sich warten, Pflegebudgetverhandlungen werden verschleppt.“
Besonders schmerzt Schreiner, dass dank Berliner Senat „Investitionsmittel für Krankenhäuser im Doppelhaushalt so außerordentlich niedrig angesetzt sind. Die Koalition hat angekündigt, mehr für Pflege auf den Weg zu bringen und muss deshalb kräftig in Krankenhäuser investieren.“ Geplant sind Investitionspauschalen von 148 Millionen Euro für 2022 und 155 Millionen für 2023. Die BKG veranschlagt 350 Millionen Euro pro Jahr.
Opposition: „Dieser Bonus bedeutet keine Wertschätzung“
Christel Bienstein reicht das Engagement von Bund und Land ebenfalls nicht. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerats und steht dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe vor, sie sagt: „Wir leiden unter einem jahrzehntelangen Reformstau und brauchen dringend nachhaltige Investitionen in die Profession Pflege, die für langfristige Verbesserungen der Rahmenbedingungen und vor allem der Personalausstattung sorgen.“ Bienstein befürchtet, dass die nötigen Investitionen ausbleiben. „Wir sehen dieses Risiko angesichts der hohen Ausgaben, die durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine auf uns zukommen“, sagt die Professorin und fordert zudem mehr staatliches Engagement für Ausbildung und Qualifizierung.


