Pareidolie

Bin ich krank, wenn ich Olaf Scholz auf einer Stulle zu erkennen glaube?

Hypochonder-Glosse: Wer Dinge sieht, die es nicht gibt, muss nicht verrückt sein. Unser Autor macht den Test und entdeckt völlig neue Seiten an sich.

Alles in Butter? Bundeskanzler Olaf Scholz
Alles in Butter? Bundeskanzler Olaf Scholzdpa/Gateau

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Pareidolie. Und das kam so: Ich habe Olaf Scholz gesehen. Das allein führt noch nicht zu einem ernsthaften Leiden, das ist mir schon klar. Ich sah ihn allerdings auf einer Scheibe Toast. Deutlich zeichnete sich in der Butter sein Grinsen ab. Die zu Schlitzen geformten Augen, die hohe Stirn – kein Zweifel: Es handelte sich um den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Spontan erheitert, zauberte ich Olaf Scholz aus Erdbeermarmelade einen buschigen Schopf auf die Glatze, scheiterte anschließend aber bei dem Versuch, ihm mit dem Messer einen knallroten Hipster-Bart ans Kinn zu schmieren. Aus der Kanzler-Ikone wurde eine gewöhnliche Weizenstulle mit Buttergrundierung und Marmeladenklecksen. Nächste Toastbrotscheibe, nächste Chance, doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nichts und niemanden darauf erkennen.

Mir fielen dafür nur zwei Erklärungen ein. A: Der Butter-Scholz könnte ein übernatürliches Zeichen gewesen sein; vielleicht war ich aufgefordert, ans Bundeskanzleramt eine Mail zu schicken mit dem Appell, dessen oberster Dienstherr möge zum Toupet greifen, um seinem Land ein frischeres Image zu verleihen. Vielleicht sähe er dann bei Treffen der europäischen Regierungschefs auch nicht mehr aus wie der kleine Olaf, der aus dem Bällebad abgeholt werden möchte.

Könnte sein, aber logischer erschien mir Möglichkeit B: Ich war krank, litt an einer gestörten Wahrnehmung. Tatsächlich sah ich im Internet meinen Anfangsverdacht bestätigt. Ich war Opfer einer Sinnestäuschung geworden, hatte ein vorhandenes Objekt um ein nicht vorhandenes ergänzt. So lautet die Definition von Pareidolie. Richtig krankhaft ist die jedoch nicht. Es sei denn, man verfällt ihr wegen Fieber, Panik oder Drogen.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Wie ich erfuhr, erfand ein pfiffiger Schweizer namens Hermann Rorschach sogar einen Persönlichkeitstest, der auf Pareidolie basiert, indem er Probanden bunte Tintenkleckse vorführte. Eben jener Rorschach-Test wird heutzutage auch dazu benutzt, Denkstörungen zu diagnostizieren, insbesondere bei Menschen, die nicht gerne offen über ihre Gedanken sprechen. Also bei Menschen wie mir. Meine Suchmaschine klärte mich außerdem darüber auf, dass sich das Verfahren selbst nach mehr als 100 Jahren noch größter Beliebtheit erfreut. Wie die Trefferliste zeigte, vor allem bei Frauenzeitschriften.

Natürlich habe ich mich sofort einem solchen Test unterzogen und mir einige bunte Kleckse angeschaut. Es stellte sich heraus, dass ich mich dringend von Fesseln lösen sollte, um endlich meiner dynamischen Seite zu folgen. Um welche Art Fesseln es sich handelt, stand da leider nicht. In mir steckt jedenfalls enorme Energie, die zum Vorschein kommen will.

Rorschach-Test: Ein bunter Klecks und die Angst vor Haarausfall

Was das mit den Aggressionen zu tun hat, die offenbar in mir brodeln, werde ich wohl auf eigene Faust herausfinden müssen. Ebenso, ob ich eine Auseinandersetzung mit mir selbst führe oder mit jemandem aus meinem Umfeld. Fest steht: Ich führe eine. Das besagt ein Klecks, den ich in zwei Grimassen umdeutete. Ansonsten bin ich ein fröhlicher Charakter, weil ich in einem anderen Klecks einen Springbrunnen erkannte.

Diese Eigenschaft wird mir noch nützlich sein, denn tief in mir schlummert irgendeine Angst. Meint der Test. Ich vermute mittlerweile, dass es um Haarausfall geht, wegen Olaf Scholz auf dem Toast und der Marmelade auf seiner Glatze. Danke für alles, liebe Pareidolie. Und hallo Phalacrophobie.