Die Schraube sitzt perfekt im Wirbel. Der Roboter hat nichts auszusetzen. Auf seinem Monitor blinkt keine rote Schrift, die Tim Rumler-von Rüden warnen würde. Im Gegenteil: Dem Operateur zeigen hellblaue Linien, dass er das Zielgebiet millimetergenau getroffen hat.
Es ist Samstagvormittag, Tag der offenen Tür in der Caritas-Klinik Dominikus in Berlin-Reinickendorf, und die soeben begonnene Versteifung einer Wirbelsäule ist kein Notfall, sondern eine Vorführung. Der Rücken, in dem gerade die Schraube durch einen kleinen Hautschlitz verschwand, gehört einer Puppe.
Der Roboter dagegen ist echt, ist die neuste Errungenschaft im Wirbelsäulenzentrum der Caritas an der nördlichen Peripherie der Stadt. Er assistiert seit Anfang Mai bei Eingriffen, lenkt mit seinem Arm aus weiß-grauem Metall Bohrer und Schrauber exakt an die Stelle, die Rumler-von Rüden zuvor festgelegt hat. An die zehnmal haben der Orthopäde und sein Team einen Eingriff auf diese Art bisher vorgenommen.
Dass das hochtechnisierte Gerät jetzt in einem Reinickendorfer Operationssaal steht, hat auch mit Karl Lauterbach zu tun, mit der Krankenhausreform, an der sich der Bundesgesundheitsminister seit einiger Zeit versucht und die noch in diesem Sommer soweit ausgereift sein soll, dass sie im Januar 2024 in Kraft treten kann. Lauterbach möchte die Qualität der stationären Versorgung steigern, kann dafür jedoch nicht unbegrenzt Geld veranschlagen. Der SPD-Politiker will daher erreichen, dass nicht mehr alle Kliniken alle Leistungen anbieten, sondern Kompetenzen an Standorten gebündelt werden.
Klinikreform: Fallen ihr kleinere Krankenhäuser zum Opfer?
Das ist der Plan, von dem vor allem große, hochspezialisierte Einrichtungen wie Universitätskliniken profitieren dürften und dem etliche kleinere zum Opfer fallen werden. Gerade in Berlin mit seinen 60 Krankenhäusern könnte das passieren. Schon jetzt schreiben fast alle Träger in der Stadt wegen stark gestiegener Kosten rote Zahlen, müssen in ganz Deutschland Standorte aufgeben, droht ein Strukturwandel per Insolvenz.
Bei der Caritas haben sie begonnen, sich dagegen zu wappnen. Sie investieren in einzelne Fachrichtungen. Deshalb auch dieser Roboter. „Ein siebenstelliges Invest“, sagt Roland Dankwardt, der medizinische Geschäftsführer der Caritas Krankenhilfe Berlin. Vorhin auf dem Weg zur Vorführung im OP hat er durch ein Fenster auf ein Betonfundament in einem Innenhof der Klinik gedeutet. Dort entsteht ein Gebäude für ambulante Eingriffe. Mehr ambulante Medizin, auch das ist ein Ziel, das Lauterbach mit seiner Reform verfolgt, um lange, stationäre Aufenthalte einzusparen.

Nach den derzeit noch geltenden Kriterien zählt die Dominikus-Klinik mit ihren 252 Betten zur kleineren Kategorie der sogenannten Regelversorger. Von den knapp 19.000 Patienten jährlich werden mehr als 11.000 ambulant behandelt. Im Einzugsgebiet leben rund 300.000 Menschen. „Wir sind hier am nördlichen Rand der Stadt beinahe konkurrenzlos“, sagt Dankwardt.
Der Roboter im Wirbelsäulenzentrum ist der bisher einzige seiner Art in Berlin und Brandenburg und vielleicht so etwas wie ein Signal an die Konkurrenz in der Region. Zentrumsleiter Rumler-von Rüden erkennt in dem Gerät made in the USA „einen enormen medizinischen Fortschritt“. Denn: „Es macht die Eingriffe deutlich sicherer.“
So eine Versteifung der Wirbelsäule, das Fixieren von zwei oder mehr Wirbelkörpern, ist riskant. Schrauben können nicht beliebig oft versetzt werden, wurden sie erst einmal falsch verankert. Auch besteht die Gefahr, Nerven zu verletzen, Lähmungen zu verursachen. Früher, ohne nennenswerte Hilfsmittel, habe die Fehlerquote bei Eingriffen im Bereich der Lendenwirbel 30 Prozent, bei Halswirbeln sogar bis zu 80 Prozent betragen, sagt Rumler-von Rüden. Sie sei auf rund 15 Prozent gesunken, seitdem serienweise Röntgenaufnahmen den Operateuren Orientierung geben. „Mit dem Roboter kommen wir auf eine 99-prozentige Sicherheit“, sagt der Arzt. Im Herkunftsland USA wird das Verfahren an rund 200 Standorten praktiziert.

Nur eine Aufnahme der Wirbelsäule vorab benötigen Rumler-von Rüden und sein Team dank der neuen Technik. Daraus leiten sie ihre Strategie ab, bestimmen, welche Schraube wo sitzen soll, füttern den Roboter mit den Daten. Der wiederum gibt später am Patienten den OP-Instrumenten mit seinem Arm Führung, protestiert, wenn der Druck zu hoch, der Neigungswinkel falsch ist. Er hilft, dass es minimalinvasiv zugeht, lediglich eine kleine Operationswunde entsteht, die schneller verheilt.



