Kommentar

Contra Impfpflicht: In Deutschland macht sie gerade keinen Sinn

Solange nicht geklärt ist, was bei Impfnebenwirkungen passiert, kann es keine allgemeine Impfpflicht geben. Zumal sie aktuell kaum helfen würde. 

Demo gegen Impfpflicht am Montag in Frankfurt. 
Demo gegen Impfpflicht am Montag in Frankfurt. dpa

Berlin - Die Impfpflicht rückt in weitere Ferne. Hieß es im Dezember noch von berufener Stelle, Ende Februar oder Anfang März könne in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht beschlossene Sache sein, scheint Kanzler Scholz das nun doch nicht hinzukriegen, und auch von FDP und weiteren Akteuren aus Politik und Medizin mehren sich Zweifel daran, ob eine Impfpflicht in Deutschland wirklich so eine gute Idee wäre. Und das ist gut so.

Deutschland ist ein sehr besonderes Land. Nicht nur dass die Impfgegner hierzulande schon vor Corona eine deutlich größere Gruppe waren als anderswo und auch gegen die Corona-Maßnahmen deutlich mehr Menschen von Anfang an auf die Straße gingen, worüber man in manch anderen Ländern den Kopf schüttelte. Aber hier ist es nun mal so und man kann nicht Politik gegen größere Teile der Bevölkerung machen, das geht auf Dauer schief.

Eine Impfpflicht ist fairer als 2G

Von Christine Dankbar

11.01.2022

Hinzu kommt, was viele in dieser Diskussion nicht hören wollen: Deutschland hat eine sehr ungute Geschichte in Bezug auf die Verschränkung politischer und medizinischer Interessen. Auch deshalb ist eine Impfpflicht hierzulande besonders sorgsam abzuwägen – ob man das nun möchte oder nicht, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Was hingegen oft als Argument gegen eine Impfpflicht vorgetragen wird, ist in Wahrheit keines: Dass die Politik von Anfang an versprochen hat, es gebe keine allgemeine Impfpflicht. Es dürfte doch nach zwei Jahren Corona nun jeder verstanden haben, dass die Politik – und auch die Wissenschaft – sich ständig selbst widersprochen haben und korrigieren mussten. Das bringt eine solche Pandemie leider mit sich; die Erkenntnisse ändern sich. Manchmal von einem Tag auf den anderen.

Und das ist auch das Hauptargument, das nun gegen eine allgemeine Impfpflicht spricht: Der Virus und mit ihm die Inzidenzen und die Mutanten und mit ihnen die Hospitalisierung sowie die Jahreszeiten und mit ihnen die Schwere der Erkrankung ändern sich ständig. Was im Dezember noch als sinnvoll erachtet wurde, ist nun schon nicht mehr gültig. Die Politik agiert meist zu viel spät.

Der Berliner Hausärztesprecher Wolfgang Kreischer bringt es auf den Punkt: In der zweiten Welle hätte eine Impfpflicht aus medizinischer Sicht einen Unterschied gemacht – inzwischen nützt sie wenig, schon gar nicht mehr für die vierte Welle. Und welche Mutante eine fünfte Welle auslösen könnte, wissen wir noch nicht – können ergo noch keinen Impfstoff dafür einplanen, von dem wir nicht wissen können, ob er helfen wird und wenn ja, dann wie viele oder wie oft.

Worüber wir auch noch viel zu wenig wissen: Wie viele Menschen in Deutschland genau geimpft sind und wie viele davon Nebenwirkungen hatten oder haben. Es sind alles nur Schätzungen, die auf eher unsicheren Daten basieren – auch eine Sache, die bei uns anders ist als in anderen Ländern. Unter anderem weil unser Gesundheitssystem eben nicht so gut aufgestellt ist wie es vor der Pandemie meist dargestellt wurde und teils immer noch wird. Die Pflegekräfte können ein Lied davon singen und viele sind auch dessen inzwischen nur noch müde - oder schon gegangen. 

Mit dem Gesundheits- und Pflegesystem haben viele Menschen aber noch keine einschlägige Erfahrung gemacht, diese sollten sich glücklich schätzen; andere haben umso mehr damit. Solange das System derart profitorientiert bleibt, ist es Ungeimpften kaum vorzuwerfen, dass sie sich nicht impfen lassen. Und schon gar nicht ist es ihnen mit Zwang einzutrichtern. Eine Impfung ist und bleibt ein medizinischer Eingriff und kann nicht ohne Voraussicht auf die womöglich im nächsten Herbst aktuelle Situation jetzt schon verordnet werden – gegen den Willen des Einzelnen und womöglich gegen dessen körperliche Unversehrtheit. Das weiß man im Einzelfall eben nie. Und wer haftet dann in diesen Einzelfällen mit schwierigen Nebenwirkungen und wer kümmert sich darum? Wie es aussieht, ist auch das nicht wirklich geklärt.

Wie kommen wir also raus aus der Pandemie? Diese Impfung scheint jedenfalls nicht das Allheilmittel zu sein, an das viele immer noch allzu gerne glauben wollen. Und die Ungeimpften dürfen nicht zu Sündenböcken erklärt werden aus heimlicher Enttäuschung über diese schlichte Wahrheit. Niemand ist alleine schuld an der derzeitigen Situation – setzte diese Erkenntnis sich endlich einmal durch, käme man zu besseren Ergebnissen, als sich gegenseitig zu bekämpfen.