Berlin - Sie sind inzwischen an die 20.000: Ärzte, Therapeuten, Pflegekräfte, Erzieher, zuvor organisiert in kleinen Initiativen über ganz Deutschland verstreut. Sie stehen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen Covid-19 kritisch gegenüber, lehnen sie ab. Vor gut zwei Wochen haben sie sich zusammengeschlossen. „Wir vernetzen uns“ haben sie ihr Aktionsbündnis betitelt. Der Name ist Programm. „Fast täglich kommen neue Initiativen dazu“, sagt eine Ärztin, die sich in diesem Forum engagiert, eine niedergelassene Frauenärztin, sie möchte anonym bleiben. „Wir hoffen, auf diese Weise mehr Gehör in der Öffentlichkeit zu finden.“
Die allgemeine Impfpflicht ist am Donnerstag im Bundestag gescheitert. Es fand sich keine Mehrheit für den Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP. Die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bleibt vorerst in Kraft. Sie gilt seit Mitte März. „Sind Mitarbeiter zum Beispiel im Gesundheitswesen Menschen zweiter Klasse, denen keine freie Impfentscheidung eingeräumt wird?“, fragt die Gynäkologin. Es ist eine rhetorische Frage, die Ärztin verweist auf gehäufte Impfdurchbrüche und Erfahrungen aus ihrer Praxis. „Zu mir kamen Patientinnen, die geboostert waren, sich trotzdem infizierten und denen eine hohe Virenlast attestiert wurde, die also sehr ansteckend waren“, sagt sie. „Worin liegt dann der Sinn, die nicht Geimpften anders zu behandeln?“
Das ist die eine Seite des Problems, die der Ärzte und Pflegekräfte. Insgesamt fast 82.000 Ungeimpfte aus medizinischen Berufen wurden bislang den Gesundheitsämtern in zehn Bundesländern gemeldet. Das ergab eine Umfrage des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Das Saarland, Thüringen, Hessen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen konnten allerdings noch keine Zahlen melden. Berlin reagierte auf die Anfrage nicht. Die meisten Ungeimpften aus dem Gesundheitssektor verzeichnete Bayern mit mehr als 24.000, gefolgt von Baden-Württemberg mit mehr als 17.000. In Brandenburg sind bislang mehr als 3000 registriert. Das ist die andere Seite, sie betrifft unmittelbar die Patienten.
Schon vor Corona bekamen sie vielerorts einen chronischen Personalmangel zu spüren, insbesondere in der stationären Versorgung. Die Lage hat sich während der Pandemie weiter verschärft. Derzeit führt Omikron als hochansteckende Virusvariante zu Engpässen. Auch weil sich Geimpfte infizieren und in Isolation begeben müssen. Ein Ausschluss Ungeimpfter verstärke unnötig die Krise, sagt nun die Frauenärztin angesichts der vom Jobverlust bedrohten Beschäftigten: „Ich finde, das sind besorgniserregende Zahlen für Deutschland, zumal sie noch längst nicht das gesamte Ausmaß abbilden.“
Bündnis: „Ärzte und Pflegekräfte in der Probezeit entlassen“
In ihrem Forum „Wir vernetzen uns“ machen Berichte die Runde, nach denen einzelne Kliniken ungeimpfte Mitarbeiter bereits am Stichtag 16. März freigestellt und ihnen seitdem kein Gehalt mehr bezahlt haben sollen – also noch bevor ein behördlicher Bescheid erging. „Ärzten und Pflegekräften in der Probezeit wurde gekündigt“, hat die Gynäkologin in den regelmäßigen Online-Meetings der einzelnen Initiativen erfahren. „Je nachdem, wie stark die Gesundheitsämter ausgelastet sind, muss jeder Ungeimpfte in den betroffenen Berufen damit rechnen, früher oder später freigestellt zu werden“, sagt sie. „Das sind oft Menschen, die sich während der Pandemie aufgeopfert haben für ihre Patienten und Klienten. Jetzt wird ihnen eiskalt der Stuhl vor die Tür gestellt.“
Für diejenigen, die trotz fehlendem Impfnachweis vorerst weiter ihrer Arbeit nachgehen dürften, sei die Situation ebenfalls schwierig: „Der Ausgang der Meldung an das Gesundheitsamt ist für die Betroffenen eine hohe psychische Belastung, da jedes Gesundheitsamt anders vorgeht und man keine Sicherheit hat“, sagt die Ärztin. „Die Personalräte in den Kliniken raten teilweise zum Aussitzen der Impfpflicht mit Nebenjobs, sofern man damit finanziell klarkommt oder dazu bereits ist, weil die Impfpflicht nur für dieses Jahr gilt. Aber wer weiß, ob sie nicht verlängert wird?“
Es gab im Bundestag zwar keine Mehrheit gegen eine allgemeine Impfpflicht, allerdings sprachen sich die meisten Abgeordneten auch gegen den Antrag einer Gruppe um den FDP-Vize Wolfgang Kubicki aus, die eine solche obligatorische Immunisierung ablehnt. „Das lässt uns skeptisch in die Zukunft schauen und weckt Befürchtungen für den kommenden Herbst“, sagt die Ärztin und gibt damit die Stimmung im Forum wieder.



