Kampf gegen Corona-Pandemie

Berliner Amtsarzt zur Impfpflicht: „Das stürzt uns in große Schwierigkeiten“

In zwei Wochen gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die Umsetzung ist in Berlin unklar. Jetzt steht auch noch die Flüchtlingswelle aus der Ukraine bevor.

Wenn der Piks obligatorisch wird: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist schwer umzusetzen.
Wenn der Piks obligatorisch wird: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist schwer umzusetzen.dpa/Charisius

Berlin - Christian Zander ist gespannt auf diesen Montag. Auf die Sitzung des Gesundheitsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, dem der CDU-Politiker angehört. Der Ausschuss wird sich mit der einrichtungsbezogenen Impfplicht befassen und damit, wie sie umgesetzt werden soll. Sie tritt am 15. März  in Kraft. Außer einer groben Linie, sagt Zander, die auch das Bundesgesundheitsministerium skizziert habe, verfüge er über „keine weitergehenden Kenntnisse oder Einblicke über den Stand der Vorbereitung. Ich kann dazu nur sagen, dass ich schon verwundert bin, dass es so kurz vor Beginn der Regelung offenbar noch keine abgeschlossene Vorbereitung gibt“.

Vom 16. März an müssen Beschäftigte in Kliniken, medizinischen und therapeutischen Praxen, bei ambulanten Pflegediensten, Rettungsdiensten oder Pflege-Wohngemeinschaften ein Nachweis vorlegen, dass sie vollständig geimpft sind. „Uns ist bewusst, dass die Gesundheitsämter neben ihren vielfältigen Aufgaben in der Pandemiebekämpfung die alleinige Durchführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht auch noch übernehmen können“, sagt Laura Hofmann, Sprecherin der Berliner Gesundheitsverwaltung. „Wir setzen uns für eine pragmatische, aber konsequente Umsetzung ein. Dazu sind wir im Gespräch mit der Senatsverwaltung für Inneres sowie der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.“

Nach derzeitigem Stand plant der Senat, eine zentrale Anlaufstelle einzurichten. Dahin sollen die betroffenen Einrichtungen den Impfstatus ihrer Mitarbeiter melden. „Wie dies genau ausgestaltet wird, darüber führen wir derzeit noch abschließende Gespräche und werden dann zeitnah informieren“, sagt Hofmann. Die Sanktionen für nicht geimpftes Personal reichen von maximal 2500 Euro Bußgeld bis zu einem Verbot der bisher ausgeübten Tätigkeit. Drei Monate veranschlagen die Bundesländer dafür, die einzelnen Vorgänge zu bearbeiten und den Betroffenen einen Bescheid zukommen zu lassen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt zunächst neun Monate bis Januar 2023.

Die Berliner Gesundheitsverwaltung geht davon aus, dass nur ein geringer Anteil der insgesamt in der Pflege Beschäftigten nicht geimpft ist. „Die Impfquote für vollständig Geimpfte“, sagt Hofmann, „liegt einer Abfrage unserer Verwaltung zufolge in den Berliner Krankenhäusern zwischen 82 und 100 Prozent, bei den Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen bei rund 90 Prozent, wobei die tatsächliche Impfquote natürlich geringer sein kann.“

Impfpflicht: Berliner Gesundheitsämter im Dilemma

Patrick Larscheid ist Amtsarzt in Reinickendorf, für seinen Bezirk kommt er teilweise auf deutlich niedrigere Quoten. „In der ambulanten Pflege liegt die Impfquote zum Teil nur bei 75 Prozent“, sagt der Mediziner. „Was passiert, wenn ich dem nicht geimpften Viertel der Beschäftigten nicht mehr erlaube, zu arbeiten?“ Larscheid bezeichnet sich selbst als großen Befürworter der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, doch er sieht sich und seine Kollegen in den elf anderen Berliner Gesundheitsämtern in einem Dilemma: „Ich möchte nicht, dass Patienten gefährdet werden. Damit das nicht passiert, brauchen wir Menschen, die sich um die Patienten kümmern.“ Abseits der Impfpflicht gebe es Möglichkeiten, Infektionsschutz und Versorgungssicherheit miteinander zu verbinden. „Dann müssten die Ungeimpften eben täglich getestet werden.“

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht soll kommen, das kommuniziert die Berliner Gesundheitsverwaltung unverdrossen. Larscheid und seine Kollegen wollen sich dem nicht verschließen, der Reinickendorfer wünscht sich jedoch verlässliche Richtlinien. „Die konkrete Umsetzung ist für uns weitgehend unklar“, sagt er. „Im Gesetz ist es so formuliert, dass wir im Rahmen unseres pflichtgemäßen Ermessens bis hin zu Betreuungsverboten agieren sollen“, sagt er. „Wir sehen uns aber überhaupt nicht in der Lage festzulegen, auf welcher Basis wir welche Institution behandeln sollen. Und das stürzt uns in große Schwierigkeiten.“

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Von Christian Schwager, Miray Caliskan

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Larscheid spricht für Amtsärzte bundesweit, wenn er erklärt: „Da brauchen wir auch schon eine Maßgabe aus dem politischen Raum. Wir steuern mit unseren Maßnahmen aktiv die Versorgung mit medizinischer und pflegerischer Leistung.“ Die Berliner Amtsärzte befänden sich derzeit „in einem intensiven Austausch mit Kollegen in der Arbeitsgemeinschaft der Großstadt-Gesundheitsämter“. Ratlos seien auch diese. Was Larscheid gut verstehen kann, rechnet er von seinem Bezirk die Probleme hoch.

Mit rund 400 Einrichtungen kalkuliert Larscheid, die in seine Zuständigkeit fallen. „Wir haben ja nicht nur  fünf Kliniken in unserem kleinen Bezirk.“ Wobei diese Krankenhäuser durchaus wichtige Aufgaben erfüllen. Die Strafvollzugsanstalt Tegel etwa benötigt eine zuverlässige medizinische Versorgung. „Überlegen sie sich mal, was passiert, wenn ich der zuständigen Klinik sage: ‚Okay, zehn Prozent von eurem Pflegepersonal ist nicht geimpft, die gehen ab morgen nicht mehr zur Arbeit‘.“ Für die ganze Stadt sieht Larscheid „eine riesige Aufgabe“ auf die Senatsverwaltung zukommen - die sich weiter erschweren wird: durch den Krieg in der Ukraine.

„Bei uns in den Gesundheitsämtern ist der Konflikt derzeit das beherrschende Thema“, sagt Larscheid. „Wir wissen, dass wir demnächst mit einer gewaltigen Flüchtlingssituation konfrontiert sein werden.“ Aufnahme finden die Geflüchteten zunächst in Berlins Ankunftszentrum. Das befindet sich in Reinickendorf. „Wir haben es mit einer großen humanitären Herausforderung zu tun“, sagt Larscheid. „Und die lässt andere Dinge in den  Hintergrund treten.“