Ältere Leser kennen diese Zeilen: „Berlin! Hör ich den Namen bloß, da muss vergnügt ich lachen! Wie kann man da für wenig Moos den dicken Wilhelm machen.“ So beschrieb Heinrich Bolten-Baeckers 1904 die Stadt in seinem Text für Paul Linckes Operettenlied „Berliner Luft“. Das Lied wurde schnell zum Gassenhauer, denn es transportierte den quirligen Geist Berlins während der frühen Industrialisierung.
Der Text macht sich nicht nur über die exzentrische Lebensweise des Monarchen Friedrich Wilhelm II. (1744 bis 1797) lustig, auch andere Passagen skizzieren wunderbar die freche Mundart und das freie Lebensgefühl der damaligen Bevölkerung. Gesungen von den Stars der Zeit, von Lotte Werkmeister, Lizzi Waldmüller, den Comedian Harmonists war es Teil des Standardrepertoirs vieler Kneipen und Tanzlokale.

Der Gassenhauer von damals ist heute vor allem bei den Menschen unter 30 Jahren völlig unbekannt. Und trotzdem klingelt es beim Stichwort „Berliner Luft“. Da denken wir an den gleichnamigen Pfefferminzlikör. Er ist zwar besser als der vor allem in Leipzig und Dresden getrunkene „Pfefferminzlikör“ der Firma Nordbrand, aber auch das Berliner Produkt ist gewöhnungsbedürftig. Wenn Sie allerdings ein bisschen suchen: Es gibt Berliner Luft auch als Pfefferminzgeist mit satten 40 Volumenprozent Alkohol. Der ist deutlich bekömmlicher.
Generell gibt es Pfefferminzlikör als bekanntes Produkt seit mehr als 100 Jahren, seinen Ursprung hat der erfrischende Brand wohl in Russland. Beliebt war er bereits in der DDR, aber so richtig Fahrt aufgenommen hat die Marke erst im letzten Jahrzehnt. Sucht man Berliner Luft auf Spotify, findet man mittlerweile fast mehr Musik, die sich auf den Partylikör bezieht (Kategorie Après-Ski und Ballermann), als Versionen des Originalliedes.

In der Serie „Babylon Berlin“ wird die Nachspeise gegessen
Immerhin findet man unter dem Soundtrack der Fernsehserie „Babylon Berlin“ einen gleichnamigen Song, und daneben gibt es auch eine Version von André Rieu. Lieber wäre mir natürlich Harald Juhnke, denn der hätte eine bessere Brücke zurück zum Schnaps geschlagen, aber man sucht vergebens.
Fast gänzlich vom Aussterben bedroht ist allerdings das klassische Dessert Berliner Luft, obwohl es noch älter ist als die anderen beiden Gesellen. Und auch mehr Würdigung verdient hat. Denn es schmeckt wunderbar leicht und könnte in jedem Sterne-Restaurant auf der Karte stehen. Das Dessert taucht unter diesem Namen bereits 1897 in einem Kochbuch von Margarete von Bennigsen („Deutsches Kochbuch“) auf.
Es ist also älter als Linckes Lied und der klebrige Likör. Das Kochbuch ist übrigens als Nachdruck über Amazon erhältlich und umfasst sage und schreibe 414 Seiten, auf denen sich bestimmt noch der ein oder andere Schatz versteckt. Vielleicht ist es sogar das deutsche Pedant zu Escoffiers „Kochkunstführer“ oder dem „Silberlöffel“, der Bibel der italienischen Küche. Wenn Sie ein richtiger Hobbykoch sein wollen, brauchen Sie die beiden letztgenannten Werke im Regal.

Von 1897: Der Nachtisch ist älter als das Lied und der Pfeffi
Schaut man sich im Netz um, findet man noch einige Anleitungen und Rezeptvideos zur Berliner Luft. Nur auf den Speisekarten der Gastronomen oder in den Supermarktregalen sucht man diesen Nachtisch vergebens. Der weltweite Erfolg von Tiramisu, Crème Brûlée oder Mousse au Chocolat bleibt dieser Speise leider verwehrt. Ob Dr. Oetker wohl mal eine Variante in Pulverform angeboten hat?
Immerhin, in der bereits oben erwähnten Serie „Babylon Berlin“ isst die Figur Toni Ritter, gespielt von Irene Böhm, Berliner Luft im Lokal Aschinger, zeitweise Europas größter Gastronomiebetrieb. Chapeau! Doch wo findet man denn heute noch Berliner Luft auf den Speisekarten? Sie wissen wo, dann schreiben Sie uns doch! Wir haben die ganze Woche vergeblich gesucht.
Für Sie nun mein Rezept dieser klassischen Berliner Speise mit einem kleinen Twist! Ich habe das Rezept von 1897 quasi in das 21. Jahrhundert gehoben. Die Änderungen sind so minimal, dass es gerade so noch als Original durchgehen kann. Probieren Sie es aus. Es lohnt sich.

Das Rezept: Berliner Luft
Zutaten (für 4 Personen): 200 ml naturtrüber Apfelsaft, 200 ml trockener Weißwein, 180 g Zucker, 2 Eier, 2 Blatt Gelatine, 2 Schalen Himbeeren (ca. 300g), 1/2 Zitrone, 2 cl Berliner Luft (Pfefferminzlikör)
Zubereitung: Zu Beginn machen wir ganz schnell die marinierten Himbeeren, das ist kinderleicht. Dazu nehmen wir die eine Hälfte der Himbeeren, vermischen sie mit 30 Gramm Zucker, dem Saft und Abrieb einer halben Zitrone. Alles zusammen fein pürieren (mit einem Pürierstab oder in der Küchenmaschine). So ein Fruchtpüree nennt man in Frankreich „Coulis“.

Wer möchte, kann noch die feinen Kerne aus dem Coulis sieben, mich stören sie nicht. Die zweite Hälfte der Himbeeren marinieren wir nun mit dem Coulis, und schon sind wir fertig. Das war leicht, nicht wahr? Zur Seite stellen, wir benutzen es später wieder.
Nun benötigen wir einen Topf und zwei saubere Schalen. Zuerst weichen wir die Gelatine in Wasser ein (wenn Sie andere Mittel benutzen wie Agar-Agar, achten Sie auf die Anleitung). Den Apfelsaft und den Wein kochen wir mit 50 Gramm Zucker ordentlich auf, ich lasse die Mischung gut vier Minuten köcheln. Dann vom Herd ziehen und etwas auskühlen lassen.

Nun trennen wir die Eier und schlagen Eiweiß und -gelb jeweils mit 50 Gramm Zucker auf. Das Eiweiß muss richtig steif sein. Test: Schüssel über den Kopf halten. Kennen Sie doch, oder?
Sind Sie fertig, sollte die Saft-Wein-Mischung soweit ausgekühlt sein, dass Sie die Gelatine darin auflösen können (zwischen 50 und 70 Grad, mehr mag die Gelatine nicht). Also, Gelatine auflösen und dann runterkühlen auf Zimmertemperatur. Nun mischen wir nach und nach alles, wir beginnen mit dem Eigelb und der Saft-Wein-Mischung.
Wir mischen es glatt und heben erst dann jeweils ein Drittel des Eischnees darunter. Haben Sie nun eine glatte Masse, dann füllen Sie diese Masse in die Dessertschalen oder Gläser ab. Alles muss nun im Kühlschrank auskühlen, gut zwei Stunden. Da frisches Ei drin ist, stelle ich es ungern schon am Vortag her.

Nun aber zum Twist: Zu den marinierten Himbeeren gebe ich noch einen Schuss Likör. Sie können natürlich alle möglichen Schnäpse nehmen. Rum oder Cognac zum Beispiel. Ich nehme aber hier Berliner Luft. Denn das macht diesen besonderen Duft, Duft, Duft. Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft.
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