Einige meiner Freunde reden seit kurzem vollkommen selbstverständlich über Speisen wie Chatschapuri, Chakhokhbili oder Chinkali, allesamt georgische Spezialitäten. Im Gegensatz zu mir können sie die Namen sogar aussprechen. Dabei galt die georgische Küche in Berlin lange Zeit eher als Geheimtipp, beachtet allenfalls von Landsleuten und Foodies.
Vorbild der Naturwein-Bewegung
Gemessen an der Größe und Bedeutung des Landes waren georgische Restaurants jedoch schon immer recht gut in unserer Stadt vertreten. Ganz Georgien zählt gerade mal so viele Einwohner wie Berlin. Beim Export ihrer Landesküche haben die Georgier aber irgendwas richtig gemacht. Mindestens ein Dutzend georgische Restaurants gibt es hier, und in letzter Zeit kommen mehr und mehr dazu. Georgische Restaurants liegen offensichtlich im Trend. Dazu passt auch der Hype um Naturwein. Schließlich ist die jahrtausendealte georgische Methode der Weinbereitung auch das Vorbild der Naturwein-Bewegung.

Allein in meiner näheren Umgebung habe ich die Wahl zwischen vier georgischen Restaurants. Sie heißen Golden Fleece, der blaue Fuchs, Kin-Za, Tbilisi – meist sind sie rappelvoll und die Gäste sehr szenig. Vor etwa einem Monat ist nun ein neues hinzugekommen. An einer Adresse, die nicht unbedingt für Dynamik steht. Ich spreche vom neuen georgischen Restaurant Tsomi, das sich unmittelbar am Latte-Macchiato-Epizentrum Kollwitzplatz niedergelassen hat.
Wie das Belluno ist auch das Tsomi gekommen, um zu bleiben
Das Tsomi hat dafür die Räume des ehemaligen Belluno umgebaut, des Italieners, der 15 Jahre lang Essen ohne Überraschungen servierte und bis zur Pandemie immer voll war – und zwar nicht nur mit Touristen. Optisch wurde entrümpelt. Statt vieler Bilder hängt nun ein riesiges Wandgemälde im flächig-osteuropäischen Folklorestil. Statt rot-weiß karierter Tischdecken gibt es blankes Holz und einige farbige Polstermöbel als Akzente. Wie das Belluno ist auch das Tsomi gekommen, um zu bleiben.

Dahinter steht der Inhaber der russischen Datscha-Restaurants sowie des Pasternak am Wasserturm. Ilja Kaplan heißt der Gastronom. Mit dem Gorki Park, einem der ältesten Ostberliner Cafés, sorgte er einst dafür, dass die neu zugezogenen Berliner Worte wie Pelmeni, Wareniki und Blini lernten. Zuletzt war Kaplan in den Medien, weil einige Gäste seine Datscha-Restaurants boykottierten, bis das Team Schilder mit „Make Love Not War“ vor den Läden aufstellte. Kaplan erklärte: Man beschäftige viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in den Restaurants und verstehe sich als „Fusionsküche“, die das Internationale und das Russische vereine. Mit dem Tsomi setzt er nun auf den Trend der georgische Küche. Der Laden hat jeden Tag auf, an einem Montagabend ist es sowohl draußen als auch drinnen voll.
Die georgische Küche galt schon zu Sowjetzeiten als die Haute Cuisine des real existierenden Sozialismus. Heute ist sie für viele dort das, was bei uns westlich geprägten Restaurantbesuchern die italienische ist: Die beste Küche weit und breit. Georgien ist ein Gebirgsland. Am schwarzen Meer und Richtung Türkei herrscht mediterranes Klima. Der Fokus liegt auf Fleisch, Käse, Nüssen, Gemüse und jeder Menge frischen Kräutern und Brot.
Chatschapuri ist die georgische Version der Pizza. Klassisch kommt es in Schiffchenform, der Bootsbauch mit Käse und rohem Ei gefüllt. In Georgien wird es überall und jederzeit als Snack zu Bier oder Wein gegessen. Im Tsomi gibt es auch eine runde, geschlossene Form davon. Die Füllung ist hier zwischen zwei Hefeteigschichten eingeschlagen und anschließend gebacken. Meine Kartoffelfüllung ist pikant, vor allem aber schmeckt das Ganze nicht schwer und fettig, sondern nach frischen Kräutern. Dill und Bockshornklee sind typische Würznoten. Letzterer hat als Pflanze bitter-scharfe Nuancen, der Klee-Samen dagegen ein nussiges Aroma.
Von den Vorspeisen mag ich auch die gebratenen Auberginenröllchen, in die eine herrliche Walnusspaste gepackt wird. Granatapfel, ebenso landestypisch und fast bei allen Speisen als Sirup oder als Kerne dabei, zieht die Speise ins Süßliche.
Mein Liebling wird jedoch Chinkali. Das sind großartige Nudelteigtaschen, die es mit Fleischfüllung, aber auch mit dem Riesenchampignon Portobello und Basilikum gibt. Ich wähle die vegetarische Variante. Optisch erinnern Chinkali mit ihrer Falttechnik an chinesische Suppendumplings. Überraschend ist, was passiert, wenn man sie oben am Schnurpsel nimmt, wo der Teig zusammengedrückt wird, und reinbeißt: Ein umamireicher, kräutriger Pilzsud ergieß sich in den Mund. Erst allmählich nehme ich auch die Schärfe wahr, die von einer guten Portion Chili herrührt.
Die Spezialität stammt ursprünglich aus dem georgischen Hochgebirge, ebenso wie andere Schmor- und Eintopfgerichte hier. Im Tsomi gelingt das Kunststück, dass das Essen nicht zu schwer und deftig ist. Ich habe mal gelesen, dass kein anderes Land so viele Kräuter wie Georgien verbrauche. Beim Chartscho, dem Rindfleisch-Eintopf mit Reis, stechen Lorbeer, Koriander, Granatapfel und ein tomatig-pflaumiger Grundton aus dem intensiven Fleischgeschmack hervor. Der Reis wird mitgekocht, bis er sich fast auflöst. Das macht die Konsistenz etwas schleimig, was man meiner Meinung nach verbessern könnte.
Sonst jedoch macht das Tsomi seine Sache sehr gut. Nur eins vielleicht: Das Personal, das aus Portugal, Moldawien, der Ukraine und vielen anderen Ländern kommt, bräuchte dringend mehr Training. Dann könnte es den Gästen Chatschapuri, Chakhokhbili und Chinkali bestimmt bald so selbstverständlich erklären wie meine Amateurfreunde.
Preise: Vorspeisen sowie Chatschapuri und Chinkali, 7–14 Euro; Hauptgerichte und Schaschlik vom Grill 13–19 Euro; Dessert 6–7 Euro




