Tina testet

12seasons in Charlottenburg: Schäumchen, nicht nur um des Schäumchens willen

Kamel Haddad sind vier Jahreszeiten nicht genug: Im 12seasons konzipiert der Koch jeden Monat neue Menüs, die der Saison eines Landes entsprechen.

Von der März-Karte: Lamm, umflossen von glasierter Soße mit Kaffee-Chili-Note.
Von der März-Karte: Lamm, umflossen von glasierter Soße mit Kaffee-Chili-Note.12seasons

Berlin-Es gibt nicht viel zu meckern an meinen Job als Restauranttesterin. Eine Sache vielleicht, die etwas schade ist: Ich besuche selten mehrmals dasselbe Restaurant, auch wenn es mir gut gefallen hat. Ein Lieblingsrestaurant also? Kann ich mir eigentlich nicht leisten.

Ich habe soeben nachgeschaut: 49 eng beschriebene Seiten umfasst meine Liste mit Berliner Restaurants, die ich unbedingt ausprobieren will; meist mit einer Kurzbeschreibung, warum sie eine Besprechung wert wären. Da immer neue hinzukommen, wird diese Liste seit Jahren stetig länger. Wenn ich aber mal ein Restaurant besprochen habe, gehen meist ein paar Jahre ins Land, bis ich wieder dort sitze. So hatte ich beispielsweise auch das 12seasons abgehakt. Ungerechterweise.

Vor etwas mehr als einem Jahr war ich dort, mitten in der Pandemie. Das 12seasons hatte viel Pech. Ausgerechnet als die Renovierungsarbeiten für dieses ambitionierte Restaurantprojekt erledigt waren, in dem nun die Farbe Schwarz und eine Showküche als lebendiges Herzstück dominieren, musste es schließen.

Der Koch pflegt einen grenzüberschreitenden Stil

Die Betreiber riefen damals spontan den „Markt 12“ auf ihrer Terrasse in der Giesebrechtstraße ins Leben. Ich holte mir eine Rinderbacke mit Maronenragout und ein Graupen-Risotto mit Waldpilzen als Take-away ab. Wieder zu Hause hätte ich heulen können, weil ich ahnte, wie gut es geschmeckt hätte, wenn es auf dem langen Rückweg nicht eingetrocknet wäre – und ich wenigstens eine Mikrowelle gehabt hätte. Der Küchenchef Kamel Haddad, ein in Paris geborener Kosmopolit mit algerischen Wurzeln, schien mir extrem talentiert.

Sein Konzept für das 12seasons ist spannend und vor allem einleuchtend: Vier Jahreszeiten sind ihm zu wenig, um der Vielfalt der Natur Ausdruck zu verleihen. Haddad, der mir mit seinem intuitiven, grenzüberschreitenden Kochstil zuvor schon im inzwischen geschlossenen Restaurant Neumond positiv aufgefallen war, denkt in kleineren Einheiten: in Mikrosaisonen sozusagen.

Lang wurde das 12seasons renoviert, nun dominieren Schwarz und die Showküche als Herzstück.
Lang wurde das 12seasons renoviert, nun dominieren Schwarz und die Showküche als Herzstück.Roland Justynowicz

Monat für Monat guckt er sich in Europa an, was gerade reif und traditionell gefeiert wird, und kreiert mit den jeweiligen saisonalen Highlights eine neue Karte für alle zwölf Jahreszeiten. Ich nahm mir damals fest vor, wieder hinzugehen, sobald das 12seasons richtig offen hat. Das ist seit fast einem Jahr nun der Fall. Zur Entschuldigung kann ich bloß auf die 49 Seiten lange Liste verweisen.

Als mich kürzlich jedoch eine Mail erreichte, in der mich die beiden anderen kreativen Köpfe des Restaurants, die Betreiber Tim Hansen und Vitali Müller einluden, doch vorbeizukommen, gab mir das den entscheidenden Ruck. Tim Hansen, der Gastgeber, sagte zur Begrüßung: Die Durststrecke sei nun vorbei und all die Monate zur Perfektionierung genutzt worden. Man sei nun mit der Küche und Karte genau da, wo man immer hinwollte.

Das Essen ist schlichtweg hinreißend

Ich kann das absolut nachvollziehen. Das Essen war schlicht hinreißend. Daher wäre es zu schade, es Ihnen vorzuenthalten, auch wenn ich nun nicht inkognito war und auf Einladung dort aß. Doch ich bin überzeugt: Wer so für die Presse kocht wie an diesem Abend, kann sein Talent gar nicht verwirken, sodass es anderen nicht schmeckt.

Ich aß das März-Menü mit Auszügen aus dem nun aktuellen April-Menü. Je nach Appetit kann man vier, sechs oder acht Gänge wählen. Bei fast jedem Gang wollte ich am liebsten laut jubeln, weil irgendeine spannende Aromen-Kombination auf dem Teller war. Glauben Sie mir, das passiert äußerst selten, meist denke ich mir: Ah, Spitzkohl und Miso, schön, aber etwas Abwechslung wäre toll.

Das 12seasons hat es hart getroffen, direkt nach der Wiedereröffnung kam der Lockdown.
Das 12seasons hat es hart getroffen, direkt nach der Wiedereröffnung kam der Lockdown.Roland Justynowicz

Den Start machte Haddad mit einem pochierten Ei als Löffelgericht, so cremig, wie man es heute häufig bekommt, mit Brunnenkresse und Blutwurst. Das hatte ich so ähnlich schon mal gegessen. Neu war, dass alles von einem Schäumchen aus grünem Curry umhüllt war, und zwar nur so, dass das Curry die anderen Aromen nicht angreift.

Schäumchen gibt es hier übrigens viele, der Küchenchef ist klassisch französisch ausgebildet. Nie sind die Schäumchen jedoch sinnlose optische Spielereien und stets haben sie einen Gegenspieler in der Textur. Grandios war etwa das Rindertatar auf einer Artischockencreme. Vordergründig nichts Besonderes, doch angereichert mit einem herrlichen Trüffelschaum, einem leicht süßen Wacholder-Eis sowie Keksteig für den Crunch – wirklich hervorragend. Noch aufregender schmeckte die Garnele. Noch nie hat sie ein Koch mir mit dem süß-säuerlichen Mus einer Passionsfrucht kombiniert und mit Sepia gefärbten Topinambur. Das Bild auf dem schwarzen Teller war spektakulär.

Das Hauptgericht war ein wahrer Traum

Kaum zu glauben war auch der nächste Gang. Oft fällt ein Menü nach ein paar Gerichten erst mal ab. Nicht hier: Surf'n'Turf-mäßig waren Miesmuscheln im salzigen Curryschaum mit einem würzigen Ragù aus Kalbskopf kombiniert. Das allein wäre manchen Köchen genug Spannung. Nicht für Haddad, der einen gegrillten Baby-Romana-Salat in der Mitte platziert – tatsächlich das aromatische Highlight.

Auch das Hauptgericht ist ein Traum: ein Stück Lamm, umflossen von einer glasierten Soße mit Kaffee-Chili-Noten und säuerlich-salzigem Bananenmus, Aal und Pistazie. Als Kombination so ungewöhnlich wie stimmig. Das gilt auch für das Dessert aus Karotte mit Mascarpone, Sauerrahm-Eis und dunklem flüssigen Karamell.

Saisonal geht normalerweise in Berlin mit dem strikten Dogma einher, auch regional sein zu müssen. Ein kosmopolitischer Franzose wie Haddad guckt darüber mutig hinweg. Er studiert wohl eher den Saisonkalender an Südfrankreichs Küste und setzt dann alles daran, diese Produkte in bester Qualität hierherzuschaffen. Leider wird es nun wieder sehr lange dauern, bis ich erneut im 12seasons sitze. Sie aber sollten sofort hierhin.

Preise: Viergangmenü 59 Euro; Getränkebegleitung 35 Euro; Sechsgangmenü 79 Euro; Getränkebegleitung 55 Euro; Achtgangmenü 99 Euro; Getränkebegleitung 55 Euro.

Infos: 12seasons-Restaurant, Giesebrechtstraße 3, 10629 Berlin. Mittwoch bis Samstag ab 18.30 Uhr; Tel.: 030 92 25 80 49. www.12seasons.berlin