Michael Billig (Jg. 78) arbeitet als freier Journalist. Er recherchiert an der Schnittstelle von Umweltschutz, Kreislaufwirtschaft  und Kriminalität. Er betreibt außerdem den Blog muellrausch.de.

Im Korruptionsprozess rund um die Meab, die Entsorgungsfirma der Länder <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/berlin">Berlin</a> und <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/brandenburg">Brandenburg</a>, gibt es eine erste Entscheidung. Das Landgericht Neuruppin hat Anfang Januar einen 62 Jahre alten Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen wegen Bestechung verurteilt.

Im Korruptionsprozess rund um die Meab, die Entsorgungsfirma der Länder Berlin und Brandenburg, gibt es eine erste Entscheidung. Die Berliner Zeitung hatte exklusiv berichtet.

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Korruptionsprozess um Müllfirma Meab: Erster Verdächtiger verurteilt

Berlin

Brandenburg

Staatsanwaltschaft

Konzerttickets

Wasser spritzt aus Schläuchen, die ein Arbeiter über eine Baustelle in <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/fuerstenwalde">Fürstenwalde</a> zerrt. Er versucht den Staub in Schach zu halten, den zwei Bagger aufwirbeln. Eine der Maschinen malträtiert mit hallenden Schlägen einen Betonklotz im Boden, das Fundament. Das ist alles, was von einem mehrstöckigen Bürogebäude noch übrig ist. Früher hatte darin das hiesige Finanzamt seinen Sitz. Jetzt liegt es in Trümmern. Ein Anblick, der dem Unternehmer Alexander Kurylyszyn zu gefallen scheint. „Hier wurde uns das Geld abgenommen“, sagt er und zündet sich einen Zigarillo an.

Wie sich ein Unternehmer aus Brandenburg mit dem Abriss von Gebäuden ein Vermögen aufbaut und ganz nebenbei ins Visier der Staatsanwaltschaft gerät.

Villa, Rolex und sehr viel Bauschutt: Die Welt des Abriss-Königs von Brandenburg

Stil

Der Mann, um den sich alles dreht, lässt am längsten auf sich warten. Erst kurz vor Verhandlungsbeginn tritt Dirk-Uwe M. in Anzug und Krawatte ein, als wäre er noch immer Chef der Meab, des Entsorgungsbetriebs der Länder Berlin und Brandenburg. Als dieser hat M. zuletzt ein Jahresgehalt von rund 280.000 Euro bezogen. Doch das reichte dem 68-Jährigen offenbar nicht. Vor dem Landgericht Neuruppin muss er sich jetzt verantworten, weil er Schmiergelder in Höhe von bis zu zwei Millionen Euro kassiert haben soll. 113 Fälle hat die Staatsanwaltschaft allein im Zeitraum zwischen 2015 und 2019 aufgelistet.&nbsp;

Im Landgericht Neuruppin muss sich der Chef des Entsorgungsbetriebs von Berlin-Brandenburg verantworten. Er hat jahrelang Schmiergeld angenommen.

Prozessbeginn gegen korrupten Beamten: Schmiergeld-Übergabe bei Champagner

Im Oranienburger Ortsteil Schmachtenhagen reiht sich Haus an Haus, die Vorgärten sind gepflegt, der Rasen gestutzt. Bis vor zweieinhalb Jahren lebten die Menschen hier sehr idyllisch. Dann stellte sich der neue Nutzer des alten Sägewerks bei seinen Nachbarn vor, ein Mann mit gegelten schwarzen Haaren: Tamer R. (Name geändert).

Ein Rechercheteam hat mit einem GPS-Tracker alte Autoreifen von Pankow auf eine illegale Deponie verfolgt. Und hat dafür auch Vertreter der Müllmafia getroffen.

Reifen, Hausrat, Schrott: Wie Müll aus Berlin auf illegalen Deponien Brandenburg verseucht

Pankow

Bezirke

Auto

Auf die Länder Berlin und Brandenburg rollt ein großer Korruptionsprozess zu. Mittendrin ihr landeseigener Entsorgungsbetrieb Märkische Entsorgungsanlagen-Betriebsgesellschaft Meab.

Bargeld, Tickets und teure Füllfederhalter: Ein Manager des Berlin-Brandenburger Entsorgers Meab ist wegen Bestechlichkeit in besonders schwerem Fall angeklagt.

Müll-Skandal in Brandenburg: Manager soll Bestechung in Millionenhöhe angenommen haben

An einem kalten Wintertag&nbsp;stellt sich Helena Jasińska Przychodniak einem vierzig Tonnen schweren Lastwagen in den Weg. Die zierliche Frau gehört zu einer kleinen Schar von Demonstrierenden, die dem Treiben am Rande ihres Dorfes nicht länger zusehen will. So erzählt sie es später. Auf ihren Protestbannern fordern sie: „Stoppt die ökologische Bombe in Sarbia.“

In Polen wuchern illegale Mülldeponien. Unsere Reporter recherchierten monatelang, woher der Abfall stammt. Sie stießen auch auf einen Berliner Entsorger.

Illegale Müllgeschäfte in Polen: die Spur führt zu einer Berliner Firma

Europa

Bauernproteste

Gesundheit & Wohlbefinden

<a href="https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/muell-in-der-pandemie-entsteht-in-berlin-wirklich-so-viel-abfall-li.155618"></a>In Berlin leben 3,7 Millionen Menschen, die alle Abfall produzieren. Manche weniger, die meisten immer mehr. Zusammen häufen sie im Jahr rund 1,3 Millionen Tonnen an – so viel wie in keiner anderen deutschen Stadt. Berlins Regierung hat sich im Koalitionsvertrag von 2016 zwar dem Leitbild von „Zero Waste“ („Kein Abfall“) verschrieben. Unter anderem sollte das Restmüllaufkommen in den grauen Tonnen „drastisch“ reduziert werden. Heute ist man von diesem Ziel aber noch immer weit entfernt. Zunächst waren die Mengen zwar leicht rückläufig, doch 2020 – im ersten Jahr der Corona-Pandemie – <a href="https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/muell-in-der-pandemie-entsteht-in-berlin-wirklich-so-viel-abfall-li.155618">sind sie wieder angestiegen</a>. Die grauen Tonnen sind so voll wie eh und je. Ohne die Müllwerker der Berliner Stadtreinigung (BSR) würden sie überquellen.

1,3 Millionen Tonnen Müll häuft Berlin im Jahr an, im Coronajahr sogar mehr. Dabei versuchen „unverpackt“-Läden erfolgreich, den Plastikmüll zu vermeiden.

Lukrativer als Drogenhandel: Das schmutzige Geschäft mit dem Berliner Müll

Marzahn

Reinickendorf

Nachhaltigkeit & Kreislaufwirtschaft

<strong>Korruption und Arbeitslosigkeit</strong>

Nicht nur internationale Konzerne wollen von den Bodenschätzen des Landes profitieren. 100.000 Mongolen schürfen illegal nach Gold.

Goldschürfung: Mongolisches Monopoly

Politik

Es war einer der gr&ouml;&szlig;ten Skandale der j&uuml;ngeren Wissenschaftsgeschichte: Der deutsche Physiker Jan Hendrik Sch&ouml;n berichtete in Fachjournalen wie Science und Nature &uuml;ber seine Forschung und stellte bahnbrechende Ergebnisse zu Hochtemperatursupraleitern und Molek&uuml;l-Transistoren in Aussicht. Die Fachwelt staunte. Manche seiner Kollegen sahen in Sch&ouml;n einen kommenden Nobelpreistr&auml;ger.Doch der gefeierte Forscher war ein Betr&uuml;ger. Seine Daten waren frei erfunden. 2002 flog er auf. Bis dahin hatte er die Fachwelt drei Jahre lang an der Nase herum gef&uuml;hrt. Niemand konnte seine Experimente wiederholen und auf vergleichbare Resultate sto&szlig;en. Dabei h&auml;tte der Betrug fr&uuml;her auffallen k&ouml;nnen, sagt Leonie M&uuml;ck von der Uni Mainz - h&auml;tten die anderen Forscher ihre Fehlversuche nur publiziert.Doch ein solches Vorgehen ist in der Wissenschaft un&uuml;blich. F&uuml;r Chemikerin M&uuml;ck ist der Fall Sch&ouml;n ein Beispiel daf&uuml;r, welche Folgen das Verschweigen negativer Forschungsergebnisse haben kann. M&uuml;ck tritt deshalb f&uuml;r ein Umdenken in der wissenschaftlichen Publikationspraxis ein. Eine m&ouml;gliche Plattform liefert die 25-J&auml;hrige gleich mit. Gemeinsam mit anderen Nachwuchswissenschaftlern hat sie j&uuml;ngst das Journal of Unsolved Questions (Journal f&uuml;r ungel&ouml;ste Fragen), kurz JUnQ, gegr&uuml;ndet.Die richtigen Fragen zu stellen, sei wichtiger, als Antworten zu finden, schreibt M&uuml;ck im Vorwort von Heft Nummer eins. Ungekl&auml;rte Fragen in der Wissenschaft und Forschungsergebnisse, die auf den ersten Blick keine sind und deshalb auch nicht den Weg in die etablierten Journale finden - daraus schustern M&uuml;ck und ein Team von vier Mitstreitern ihr Fachblatt. Das sind 250 Exemplare pro Halbjahr, komplett in englischer Sprache, interdisziplin&auml;r und im Internet pr&auml;sent.L&uuml;cke gef&uuml;lltDie Idee f&uuml;r das Journal entstand an der Graduiertenschule f&uuml;r Materialwissenschaften an der Uni Mainz. Das Heft f&uuml;lle eine echte L&uuml;cke, wird die Mainzer Chemie-Professorin Angelika K&uuml;hnle darin zitiert. &quot;Die wissenschaftliche Publikationskultur l&auml;sst nur wenig Raum, um unklare Ergebnisse zu pr&auml;sentieren und zu diskutieren&quot;, so K&uuml;hnle. Unerw&uuml;nschte Nebeneffekte dieser Kultur h&auml;ufen sich: Spektakul&auml;r war der Fall des s&uuml;dkoreanischen Forschers Hwang Woo-suk, der im renommierten Fachblatt Science vorgab, menschliche embryonale Stammzellen geklont zu haben - eine L&uuml;ge, wie sich 2005 herausstellte.Aus Publikationen ziehen Wissenschaftler ihre Reputation. Sie spielen bei der Vergabe von Lehrst&uuml;hlen und Drittmitteln eine wichtige Rolle. &quot;Viele Institute schreiben ihren Mitarbeitern eine bestimmte Anzahl von Publikationen vor&quot;, sagt der Soziologe Andreas Diekmann. Der Professor von der ETH Z&uuml;rich wei&szlig; aber auch, dass es nicht nur auf die Menge ankommt, sondern darauf, wo die Publikationen erscheinen. Hohes Ansehen genie&szlig;en Science und Nature. Wer dort ver&ouml;ffentlichen will, muss spannende Neuentdeckungen liefern.-----------------------Informationen im Internet:www.junq.infowww.ombudsman-fuer-die-wissenschaft.de

Unklare Forschungsergebnisse sind nicht erwünscht. Deshalb werden Fehlversuche verschwiegen oder verfälscht: Wissenschaftler unter Publikations-Druck

Kultur

Das Ende fossiler Energietr&auml;ger gilt als sicher. Doch Konzerne wollen auch die letzten Winkel, in denen sie noch Erdgas vermuten, ausbeuten. Vielerorts regt sich Widerstand gegen diese Pl&auml;ne. &quot;Kein Gift in unsere Erde&quot; steht auf einem Schild, das die Bewohner im emsl&auml;ndischen L&uuml;nne bei einer Demo vor sich hertragen. Aus den Tiefen ihrer Heimat soll der begehrte Rohstoff, mit dem viele Wohnungen in Deutschland beheizt werden k&ouml;nnten, str&ouml;men. Doch das Gas sitzt gut versteckt und felsenfest im Schiefergestein. Es ist nur mit einem riskanten Verfahren zu gewinnen.&quot;Hydraulic Fracturing&quot; (hydraulische Rissbildung), kurz Fracking, hei&szlig;t die Technik, die nicht nur den Menschen in L&uuml;nne Sorgen bereitet. Fracking soll &uuml;berall dort zum Einsatz kommen, wo Erdgas schwer erreichbar unter der Erde schlummert. Fachleute sprechen von unkonventionellen Vorkommen und meinen Lagerst&auml;tten in Kohlefl&ouml;zen, Schiefer und dichtem Gestein.Unkonventionell ist auch die Art der F&ouml;rderung. Beim Fracking pressen Pumpen eine spezielle Fl&uuml;ssigkeit unter hohem Druck in die Tiefe. Die Fl&uuml;ssigkeit besteht zu 80 Prozent aus Wasser und bricht das unterirdische Gestein auf. Risse entstehen. &quot;Sie k&ouml;nnen 100 bis 200 Meter lang werden&quot;, sagt Kurt M. Reinicke, Experte f&uuml;r Bohrtechnik an der Technische Universit&auml;t Clausthal. Mit einem Monitoring werde ihre Ausbreitung verfolgt.Durch die schmalen Pfade, die sich bilden, geht das zuvor noch eingeschlossene Gas auf Wanderschaft. Sand als St&uuml;tzmittel und Chemikalien, beides mit dem Wasser nach unten gepumpt, verhinderten, dass sich die Risse wieder schlie&szlig;en.Geheime MixturDie genaue chemische Mixtur f&auml;llt unter das Betriebsgeheimnis der Konzerne. Mittlerweile ist aber durchgesickert, dass es sich teils um gesundheitsgef&auml;hrdende Stoffe handelt. Ihr Anteil liege unter einem Prozent, relativiert Reinicke die Gefahr. Der Professor war jahrelang selbst in der Gasindustrie t&auml;tig und sagt, die Fracking-Technologie funktioniere und sei sicher. Die Konzentration der eingesetzten Chemikalien sei in Verbindung mit dem Wasser so gering, dass das ganze Gemisch laut Chemikaliengesetz nicht einmal ausgewiesen werden m&uuml;sse. Besagtes Gesetz soll dem Umweltschutz dienen. Es ist seit dem Jahr 1982 in Kraft.Reinickes Worte und die anderer Bef&uuml;rworter der Fracking-Technik kommen bei den besorgten Menschen offenbar nicht an. Sie bef&uuml;rchten vielmehr, dass der Chemiecocktail ins Grund- und somit auch ins Trinkwasser gelangt. Fachmann Reinicke schlie&szlig;t diese Bedrohung aus, solange jedenfalls die Voraussetzungen stimmten.Damit meint der Wissenschaftler, dass die Steinschicht, die zwischen Gas-Lagerst&auml;tten und Wasserreservoirs wie eine Barriere wirkt, stark genug sein sollte. &quot;200 Meter Deckgebirge sollten es schon sein&quot;, so Reinicke. Wichtig sei au&szlig;erdem, dass das Stahlrohr, durch das erst die Fl&uuml;ssigkeit und sp&auml;ter das Erdgas str&ouml;mt, im Bohrloch zentriert ist. Mit Zement werde die L&uuml;cke zwischen Rohr und Bohrwand geschlossen. &quot;Lehnt das Rohr an der Bohrwand, ist keine vern&uuml;nftige Zementierung m&ouml;glich&quot;, warnt Reinicke vor handwerklichen Fehlern. Dann sei auch nicht auszuschlie&szlig;en, dass etwa Erdgas unkontrolliert entweicht.Explosives MethanErdgas besteht haupts&auml;chlich aus hochentz&uuml;ndlichem Methan und kann, wenn es an der Luft mit dem kleinsten Funken in Kontakt kommt, explodieren. Str&ouml;mt Methan in gro&szlig;en Mengen aus, kann das verheerende Folgen haben. Das zeigte zuletzt die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko, als die &Ouml;lplattform &quot;Deep Water Horizon&quot; durch eine Methan-Explosion zerst&ouml;rt und das Meer von einem riesigen &Ouml;lteppich bedeckt wurde. W&auml;hrend Reinicke die Risiken in Deutschland f&uuml;r beherrschbar h&auml;lt, hat ein anderer Experte Bedenken: Der Energiefachmann Werner Zittel sieht negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zukommen.In einer Studie weist er darauf hin, dass rund um eine kommerzielle Bohrung eine komplette F&ouml;rderanlage samt Infrastruktur entsteht. Erh&ouml;hte Kohlendioxid- und L&auml;rmemissionen seien unvermeidliche Begleiterscheinungen. Zittel sagt weiter, dass ein Gro&szlig;teil der eingepressten Fl&uuml;ssigkeit wieder an die Oberfl&auml;che trete und als Sonderm&uuml;ll entsorgt werden m&uuml;sse.Die gr&ouml;&szlig;te Unbekannte ist, wie viel Erdgas &uuml;berhaupt aus unkonventionellen Lagerst&auml;tten in Deutschland gewonnen werden kann.Die USA, die neben Russland die weltweit h&ouml;chsten F&ouml;rderraten von Erdgas aufweisen, stemmen damit mittlerweile fast die H&auml;lfte ihrer gesamten Gasproduktion. Doch auch dort ist Fracking umstritten. Hierzulande, konkret in Niedersachsen gibt es derzeit nur Probebohrungen. Wenn es nach den Gaskonzernen geht, sollen weitere im M&uuml;nsterland, Ruhrgebiet, in Th&uuml;ringen und am Bodensee folgen.Gro&szlig;e Vorkommen vermutetIn Nordrhein-Westfalen werden groben Sch&auml;tzungen zufolge mit die gr&ouml;&szlig;ten Vorkommen in Europa vermutet. Verl&auml;ssliche Zahlen - Fehlanzeige. &Uuml;ber die tats&auml;chliche F&ouml;rdermenge w&uuml;rden sie auch nichts aussagen. Die Deutsche Rohstoffagentur hat von der Bundesregierung gerade den Auftrag erhalten, Potenziale zu ermitteln. Mit einem Abschluss sei laut Bundesanstalt f&uuml;r Geowissenschaften und Rohstoffe, zu der die Agentur geh&ouml;rt, erst Mitte des Jahres 2015 zu rechnen.Neu ist Fracking in Deutschland nicht. Selbst herk&ouml;mmliche Vorkommen in por&ouml;sem Gestein werden l&auml;ngst auf diese Weise erschlossen. Um die F&ouml;rderraten zu steigern, setzen die Konzerne in Kombination mit Fracking verst&auml;rkt auf die sogenannte Horizontalbohrtechnik. Dabei schraubt sich ein Bohrer erst senkrecht tausende Meter in die Tiefe, um dann abzubiegen und sich waagerecht im Erdreich vorzuarbeiten.&quot;Die horizontale Ausdehnung von Gasvorkommen ist immer gr&ouml;&szlig;er als die vertikale&quot;, erkl&auml;rt Fracking-Experte Kurt M. Reinicke. Mittels horizontaler Bohrung sei eine effektivere Ausbeute m&ouml;glich. Und alle hundert Meter k&ouml;nne ein Frack durchgef&uuml;hrt werden.Tats&auml;chlich ist die Erdgas-F&ouml;rderung in Deutschland aber r&uuml;ckl&auml;ufig. Fracking in unkonventionellen Vorkommen k&ouml;nnte den Abw&auml;rtstrend vorl&auml;ufig stoppen. Doch es bleibt die Frage, wie lange der kleine Gas-Boom anh&auml;lt und wie hoch der Preis ist, den die Menschen in L&uuml;nne und anderswo daf&uuml;r zahlen.------------------------------Umweltskandal im Erdgasfeld S&ouml;hlingenDer US-Konzern ExxonMobil f&ouml;rdert seit 1980 aus dem Erdgasfeld S&ouml;hlingen im nord&ouml;stlichen Niedersachsen, seit 1994 mit der Fracking-Technik. Bis vor kurzem nahm man an, dass die Gas-Produktion dort ohne Probleme verl&auml;uft. Doch jetzt hat der Norddeutsche Rundfunk (NDR) einen Umweltskandal aus dem Jahr 2007 aufgedeckt. Laut NDR-Berichten sickerten damals Quecksilber und andere giftige Stoffe, die an der Oberfl&auml;che aus dem rohen Gas herausgefiltert und normalerweise entsorgt werden, durch undichte Leitungen zur&uuml;ck ins Erdreich. 2500 Kubikmeter verunreinigter Boden mussten daraufhin abgetragen, entsorgt und ersetzt werden.------------------------------Grafik: Geologische Fundorte f&uuml;r ErdgasGrafik: Hydraulische Rissbildung im UntergrundFoto: Deutschland verbraucht j&auml;hrlich rund 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Rund ein Drittel stammt aus eigener Produktion wie hier im Feld S&ouml;hlingen.

Der fossile Energieträger wird oft mit dem problematischen Fracking-Verfahren geborgen: Riskante Suche nach Erdgas

Es geht ihm nicht gut. Man sieht das sofort. Der Mann im Krankenbett sp&uuml;rt ein Stechen in der Brust. Seine Schmerzen sind ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben. Marcella Bauer, die junge Frau im wei&szlig;en Kittel, nimmt sich einen Stuhl und r&uuml;ckt n&auml;her zu ihm heran.Geduldig h&ouml;rt sie dem Mann zu, erkundigt sich nach seinen Beschwerden und Lebensumst&auml;nden, stellt Fragen, wie sie &Auml;rzte nun einmal stellen: &quot;Was machen Sie beruflich? Wie geht es mit der Verdauung?&quot; Er sei Tischler, erz&auml;hlt ihr der Patient noch, ehe er j&auml;h von einem Hustenanfall unterbrochen wird. Bauer aber bleibt gelassen. Schlie&szlig;lich ist der Mann Schauspieler und die Szene nur inszeniert. Relevant ist sie dennoch: Schlie&szlig;lich soll die vermeintliche &Auml;rztin, die eigentlich Medizinstudentin im vierten Semester ist, wissen, was im Notfall zu tun ist. Wenn eine echte Visite ansteht.T&auml;uschend echte KulisseBeide Darsteller nehmen ihre Rollen entsprechend ernst. F&uuml;r die 24-j&auml;hrige Marcella Bauer ist die &Uuml;bung fester Bestandteil ihres Studiums an der Uni M&uuml;nster. Handlungsort ist das eigens f&uuml;r Lehrzwecke eingerichtete Studienhospital. Vier Kranken- und zwei Intensivzimmer, das grelle Licht im Gang und der bei&szlig;ende Geruch von Desinfektionsmitteln - all das sorgt f&uuml;r eine t&auml;uschend echte Kulisse und eine realit&auml;tsnahe Lernumgebung.Insgesamt rund 50 Schauspieler und in manchen Wochen weit mehr als 100 Studierende verwandeln das Studienhospital in einen hektischen Betrieb, wie man ihn wohl auch in einem richtigen Krankenhaus erlebt. Diese Authentizit&auml;t ist in gewisser Weise das, was die Approbationsordnung seit nunmehr rund acht Jahren von einem Medizinstudium in Deutschland verlangt. So lange schon fordert sie einen h&ouml;heren praktischen Anteil und eine gr&ouml;&szlig;ere N&auml;he zum Berufsalltag von &Auml;rzten.Die bundesweit 35 medizinischen Fakult&auml;ten erf&uuml;llen diese Anforderungen bislang auf unterschiedlichem Niveau. Tats&auml;chlich gibt es schon vielerorts Angebote, die sich mit dem in M&uuml;nster vergleichen lassen. Schon am Namen l&auml;sst sich ablesen, wie gro&szlig; die Einrichtungen angelegt sind. Sie hei&szlig;en entweder Trainingszentrum, vielfach Skills Lab oder einfach nur Lernstudio. Kaum eines ist dabei aber so umfangreich und modern ausgestattet, wie das aus Eigenmitteln, Spenden und Studiengeb&uuml;hren finanzierte Studienhospital.Die Ausbildungsziele sind &uuml;berall gleich: Neben dem notwendigen handwerklichem Geschick - angefangen beim Blutabnehmen und Katheterlegen - m&uuml;ssen die angehenden &Auml;rzte ganz neue F&auml;higkeiten erlernen. Es geht um eine gute Beziehung zum Patienten.Dessen durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Krankenhaus sei r&uuml;ckl&auml;ufig. Umso wichtiger sei eine gute Kommunikation mit dem behandelnden Arzt, sagt Hendrik Friedrichs, der Leiter des Studienhospitals in M&uuml;nster. &quot;Wir wissen, dass &Auml;rzte den Patienten schon nach ungef&auml;hr 20 Sekunden ins Wort fallen&quot;, so der Allgemeinmediziner. &quot;Ein gutes Gespr&auml;ch mit Patienten ist aber die Grundlage f&uuml;r alle diagnostischen und therapeutischen Aspekte&quot;, sagt auch die Internistin Jana J&uuml;nger. Sie leitet an der Uni Heidelberg ein Projekt, das &auml;hnlich wie in M&uuml;nster den Medizinernachwuchs in Gespr&auml;chsf&uuml;hrung schult. Auch J&uuml;nger versucht, Interaktionsf&auml;higkeit und Einf&uuml;hlungsverm&ouml;gen ihrer Studierenden zu verbessern.Zur&uuml;ck zu Marcella Bauer. W&auml;hrend sie sich an die Geschichte ihres Patienten herantastet, hocken f&uuml;nf andere Studierende in einem Nachbarraum. Es ist ein bisschen wie bei der Kripo. Die Kommilitonen verfolgen das Geschehen durch eine verspiegelte Glasscheibe und h&ouml;ren &uuml;ber Kopfh&ouml;rer mit.Bauer wei&szlig;, dass sie unter Beobachtung steht. Sie ist ein bisschen nerv&ouml;s. Nach einer Viertelstunde gehen ihr die Fragen aus und sie verabschiedet sich von dem hustenden Patienten. Damit f&auml;llt der Vorhang. Zwei Minuten Pause. Dann zeigt sie auf zwei Kommilitonen. Sie sollen sagen, was ihnen an der Anamnese gefallen hat. Auch das Empfinden des Schauspielers, der eine Lungenentz&uuml;ndung simulierte, ist gefragt. F&uuml;r den Lerneffekt bekommt Marcella Bauer eine Videoaufzeichnung ihres Auftritts mit nach Hause. Gepr&uuml;ft wird die Visite - anders als an anderen medizinischen Fakult&auml;ten - nicht.&quot;Die meisten Studenten w&uuml;nschen sich klare Anweisungen daf&uuml;r, was sie den Patienten fragen und wie sie mit ihm reden sollen&quot;, sagt Janina Sensmeier, Psychologin am Studienhospital in M&uuml;nster. Nur: Den K&ouml;nigsweg gebe es nicht. Da muss sie die Studierenden immer wieder entt&auml;uschen. &quot;Sie m&uuml;ssen lernen, die Perspektive zu wechseln und sollen ihre Fragen aus dem ziehen, was ihnen die Patienten erz&auml;hlen&quot;, so Sensmeier. Bevor die angehenden &Auml;rzte auf echte Patienten losgelassen werden, sollen sie bestimmte Situationen wenigstens einmal durchgespielt haben. Je h&ouml;her das Semester desto komplexer sind die Szenarien gestrickt.Ein heikles Thema steht in M&uuml;nster im achten Semester auf dem Stundenplan. Die Mediziner sollen mit Angeh&ouml;rigen eines gerade verstorbenen Patienten &uuml;ber eine m&ouml;gliche Organspende sprechen. Das Schlimmste sei hier, wenn sich Angeh&ouml;rige &uuml;berrumpelt oder gar gedr&auml;ngt f&uuml;hlten, sagt Sensmeier. &quot;&Auml;rzte wiederum sind immer und sofort daf&uuml;r, Organe zu entnehmen.&quot; Daher werde trainiert, die Frage nach einer Organspende &quot;ergebnisoffen&quot; zu stellen.Es gibt aber auch Kurse, die sich nicht nur an Studierende, sondern auch an bereits praktizierende &Auml;rzte richten. &quot;Wenn Tumor-Diagnosen mitgeteilt werden, ist bei Kollegen oft eine Verunsicherung zu sp&uuml;ren&quot;, berichtet Jana J&uuml;nger aus Heidelberg. Mediziner w&uuml;rden ihre Unsicherheit viel zu oft mit Zynismus oder einer distanzierten Haltung gegen&uuml;ber den Patienten &uuml;berspielen. &quot;Meist aus Selbstschutz&quot;, wie J&uuml;nger anmerkt. &quot;Weil sie es nicht besser gelernt haben.&quot;&Auml;lteren Betroffenen nachf&uuml;hlenBesondere Sensibilit&auml;t ist schlie&szlig;lich auch im Umgang mit &auml;lteren Patienten gefragt. Um sich besser in ihre Lage zu versetzen, schl&uuml;pfen die jungen Medizin-Studierenden in sogenannte Altersanz&uuml;ge. Gewichte und Schienen an den Gelenken lassen Kr&auml;fte schwinden und schr&auml;nken die Beweglichkeit ein. Eine Spezialbrille reduziert das Sichtfeld und schw&auml;cht Kontraste ab. Ohrst&ouml;psel simulieren Schwerh&ouml;rigkeit, Handschuhe erschweren Fingerfertigkeiten und bereiten Probleme, wenn Gegenst&auml;nde ertastet werden sollen. In dieser Montur und mit einem Gehstock ausger&uuml;stet durchlaufen die Studierenden im Studienhospital einen Parcours. Manch einem macht das auch Angst: &quot;Bekommt man im Alter alle diese Einschr&auml;nkungen?&quot;, fragt eine Studentin etwas erschrocken.Ungeschickt sieht es aus, wie sie ihre Schuhe aus- und wieder anzieht, Tabletten aus einer Verpackung dr&uuml;ckt und mit zittriger Hand eine Kaffeetasse zum Mund f&uuml;hrt. Die &Uuml;bungen sollen die Folgen von typischen Alterserkrankungen wie Arthrose, Diabetes, Osteoporose und Grauer Star sp&uuml;rbar machen. Der Medizinernachwuchs erf&auml;hrt am eigenen Leib, wie schwer Menschen, die 45 bis 60 Jahre &auml;lter sind als er selbst, mit dem Alltag zurechtkommen. Dazu kommen noch Anamnesegespr&auml;che mit Simulationspatienten, die so tun, als seien sie schwerh&ouml;rig oder vergesslich. &quot;Wir wollen den Studenten klarmachen, dass sie den Patienten nicht so schnell den Stempel Demenz aufdr&uuml;cken sollen&quot;, sagt Hendrik Friedrichs. Auch wenn viele tats&auml;chlich darunter litten.Bei ihm im Studienhospital ist es nur Spiel. Im wahren Leben, sagt er, werde so gut wie jeder Arzt, gleich welcher Fachrichtung, mit der Erkrankung konfrontiert. &quot;Jeder vierte Patient ab 80 ist betroffen&quot;, so Friedrichs. Entsprechend m&uuml;ssten Mediziner auch auf Demenzerkrankungen vorbereitet werden. Das Studienhospital gibt es erst seit drei Jahren. Ob die gew&uuml;nschten Effekte tats&auml;chlich eintreten, wird sich in der Realit&auml;t noch beweisen m&uuml;ssen.------------------------------Foto: Im &quot;Krankenhaus&quot; der Uni M&uuml;nster simulieren ausbildende Mediziner mit ihren Studenten den Ernstfall.

Im Münsteraner Studienhospital sollen Ärzte in spe lernen, sich auf ihre späteren Patienten einzustellen: "Wie geht es mit der Verdauung?"

Universit&auml;t auf Probe&quot;, so nennt es der heute 88-j&auml;hrige Karl Dietrich Bracher, was sich in manchen Kriegsgefangenenlagern im Zweiten Weltkrieg unter anderem abspielte. Bracher ist heute ein bekannter Politologe und Historiker. Mit seinen Arbeiten &uuml;ber die deutsche Geschichte erzielte er weltweit Beachtung. An der Universit&auml;t Bonn hat Bracher das Seminar f&uuml;r Politische Wissenschaft aufgebaut. Was aber nur wenige Menschen wissen: Seine akademische Laufbahn begann in einem US-amerikanischen Kriegsgefangenenlager.&Uuml;ber seine Erfahrungen berichtete Bracher der Bonner Doktorandin Laura Hannemann. Hannemann ist Historikerin und sie wei&szlig;, dass Bracher kein Einzelfall ist: W&auml;hrend des Zweiten Weltkrieges und auch noch danach bildeten sich in den Gefangenenlagern Universit&auml;ten mit eigenen Studienordnungen und Examina. &quot;Das ist nur v&ouml;llig in Vergessenheit geraten&quot;, berichtet die Historikerin. Bracher etwa habe seine dreij&auml;hrige Gefangenschaft nicht einfach abgesessen. &quot;Er hat andere in Latein unterrichtet und selbst Kunstgeschichte studiert.&quot;Tausende haben studiertLaura Hannemann ist nicht nur Brachers Spuren gefolgt. Sie hat Lagerunis in Frankreich, den USA, Gro&szlig;britannien und Deutschland ausfindig gemacht. Mit ihrer Doktorarbeit legt sie bald die erste systematische Untersuchung dieses bislang weitgehend unbeachteten Kapitels deutscher Bildungsgeschichte vor. Rund zwei Jahre lang st&ouml;berte die Historikerin in Archiven. Dabei stie&szlig; sie auf ein Protokoll aus dem fr&uuml;heren Reichserziehungsministerium. Es verr&auml;t ihr etwas dar&uuml;ber, wie viele deutsche Soldaten in Kriegsgefangenschaft studiert haben. Immerhin 20000 bis 30000 sollen es sein, hei&szlig;t es in dem Dokument vom 18. Januar 1944.Wie viele Internierte sich tats&auml;chlich akademisch bildeten, dazu kann Hannemann keine exakte Angabe machen. Sie vermutet, dass es auch deutlich mehr gewesen sein k&ouml;nnten. Ihr seien mehr als 100 Studienorte hinter Stacheldraht bekannt, darunter auch welche in Kanada und Australien. Die Zahl aus dem Ministerium beziehe sich aber allein auf die Lager in den USA sowie in Gro&szlig;britannien und seinen damaligen Kolonien.Zu Hannemanns Quellen geh&ouml;ren auch Briefwechsel zwischen Hochschulen und Gefangenenlagern. Aus ihnen geht hervor, dass deutsche Universit&auml;ten Patenschaften &uuml;bernommen hatten. Sie wurden gebeten, die Gefangenen mit Lehrmaterial auszustatten, ihnen Fernimmatrikulationen zu erm&ouml;glichen, aus der Ferne &Uuml;bungsaufgaben zu stellen und am besten noch zu korrigieren.&quot;Die Hochschulen wurden f&auml;cherweise zugeteilt&quot;, sagt Hannemann. So war etwa die Technische Hochschule M&uuml;nchen f&uuml;r Wirtschaftswissenschaften und Brauereiwesen, die Uni Bonn f&uuml;r Theologie, Geologie und Chemie und eine Berliner Hochschule f&uuml;r Gartenbau und Zuckerfabrikwesen zust&auml;ndig. K&ouml;nigsberg versorgte Rechtswissenschaftler und Zahnheilkundler, Innsbruck die Mediziner.Bilaterale Abkommen zwischen den kriegsf&uuml;hrenden Staaten machten Hannemann zufolge diese Kooperationen erst m&ouml;glich. Grundlage bildeten die Genfer Konventionen. &quot;Es galt das Prinzip der Gegenseitigkeit&quot;, erkl&auml;rt die Wissenschaftlerin. Sie sagt, dass teilweise auch Alliierte in deutscher Gefangenschaft in den Genuss von Seminaren und Lesezirkeln kamen. So h&auml;tten franz&ouml;sische Soldaten die Marburger Universit&auml;tsbibliothek genutzt.Kriegsgefangene vertieften sich in B&uuml;cher und Vorlesungen, w&auml;hrend um sie herum der gro&szlig;e Krieg tobte und Millionen Menschen in den Tr&uuml;mmerst&auml;dten, Sch&uuml;tzengr&auml;ben und Konzentrationslagern einen grausamen Tod fanden.Schulbank statt Arbeitsdienst&Uuml;berwiegend waren es Offiziere, die von dem akademischen Angebot profitierten. &quot;Sie mussten wegen ihres milit&auml;rischen Ranges nicht zum Arbeitsdienst&quot;, begr&uuml;ndet Hannemann. Aus den USA wisse sie aber, dass sich auch einfache Gefangene f&uuml;r Studien von der Arbeit hatten freistellen lassen. In der Sowjetunion hingegen seien Lagerstudien eher die Ausnahme gewesen. Das galt auch f&uuml;r sowjetische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft.Studienordnungen auf Klopapier, Tafelkreide aus dem Baustoff abgerissener Baracken und Seminare in Bombentrichtern - das Studium hinter Stacheldraht machte erfinderisch. Anfangs fehlte es an allem, besonders Papier war Mangelware, und Bleistifte ein rares Gut. Doch je l&auml;nger die M&auml;nner in Gefangenschaft weilten, desto besser organisierten sie sich. Wenn sie Lehrmaterial bekamen, dann verdankten sie dies meist Hilfsorganisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz. Im britischen Oxford wurde gar eine Medizinische Akademie f&uuml;r Kriegsgefangene eingerichtet. Dort konnten deutsche Medizinstudenten Vorlesungen besuchen.&quot;Mit die besten Bedingungen hatten Lageruniversit&auml;ten fernab der Kriegsschaupl&auml;tze&quot;, sagt Hannemann und verweist auf den 1982 verstorbenen Rechtswissenschaftler und Politiker Walter Hallstein. Der kannte wie Bracher US-Lagerunis aus eigenem Erleben und schrieb in einem Gutachten, dass sie &quot;eine g&uuml;nstigere Lage schufen, als sie zu gleicher Zeit in der Regel an den heimischen Universit&auml;ten bestand.&quot;Hallstein war Professor an der Goethe-Universit&auml;t in Frankfurt am Main, als er im Alter von 41 Jahren an die Front musste. Er geriet in Gefangenschaft und wurde ins &quot;Camp Como&quot; im US-Bundesstaat Mississippi verschifft. Die Zeit hinter Stacheldraht vertrieb sich der Jurist als Dozent. Nach seiner Entlassung und R&uuml;ckkehr nach Deutschland wurde Hallstein erster Nachkriegsrektor der Universit&auml;t Frankfurt und 1955 Staatssekret&auml;r im Ausw&auml;rtigen Amt.Bei prominenten Pers&ouml;nlichkeiten wie Bracher und Hallstein tauchen die Lagerunis h&ouml;chstens als ein Kuriosum am Rande ihrer Biografie auf. Anderswo verschwinden sie g&auml;nzlich im Strudel der Geschichte, bilanziert Hannemann. Auch bei der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist das Thema untergegangen, macht ein Sprecher auf Anfrage deutlichht. Um etwas dazu sagen zu k&ouml;nnen, m&uuml;sse man zun&auml;chst in den Archiven nach Hinweisen suchen.Das hat Hannemann bereits getan und mehrere hundert Gutachten zutage gef&ouml;rdert, die sich nach 1945 mit der Anerkennung der Studienleistung in Kriegsgefangenschaft besch&auml;ftigen. Diese Schriftst&uuml;cke stammen aus der &quot;Zentralstelle f&uuml;r ausl&auml;ndisches Bildungswesen&quot;. Diese geh&ouml;rte zu einer Vorg&auml;ngerorganisation der HRK, der Nordwestdeutschen Rektorenkonferenz. Etwa die H&auml;lfte der Studienleistungen sei anzuerkennen, hatte sie laut Hannemann empfohlen: &quot;Die endg&uuml;ltige Entscheidung lag bei den Pr&uuml;fungs&auml;mtern und Dekanaten der jeweiligen Heimatuniversit&auml;t.&quot;Wie viele Gutachten insgesamt verfasst wurden, ist unklar. Die &quot;Zentralstelle f&uuml;r ausl&auml;ndisches Bildungswesen&quot; berichtete im Jahr 1956 lediglich von 400 Dozenten, die sich um die Anerkennung ihres im Lager erteilten Unterrichts bem&uuml;hten. Eine eher bescheidene Anzahl. Dennoch ist das gesamte Ph&auml;nomen, wie Historikerin Hannemann betont, mehr als eine Fu&szlig;note in der Geschichte.------------------------------Kriegsgefangene mit WissensdurstEnde 1941 gab es 5 000 deutsche Kriegsgefangene in britischem Gewahrsam. 1943 wurden es schlagartig mehr. Insgesamt wurden rund 3,6 Millionen Deutsche in britischen Lagern interniert. Rund 3,1 Millionen waren US-Gefangene. &Auml;hnlich viele fanden sich Sowjetlagern. Frankreich sperrte rund eine Million deutsche Soldaten ein.W&auml;hrend die Westm&auml;chte die letzten Kriegsgefangenen im Oktober 1948 entlie&szlig;en, mussten deutsche Gefangene in der Sowjetunion bis 1955 ausharren. Rund 1,2 Millionen Deutsche kamen in alliierter Gefangenschaft um. Von den gut f&uuml;nf Millionen sowjetischen Soldaten in deutscher Gefangenschaft &uuml;berlebten weniger als die H&auml;lfte.Exakt 104 Lageruniversit&auml;ten f&uuml;r deutsche Kriegsgefangene hat die Bonner Historikerin Laura Hannemann gez&auml;hlt. Sie verteilen sich auf folgende L&auml;nder: USA (30), Gro&szlig;britannien (24), Frankreich (18), Kanada (neun), Franz&ouml;sisch-Nordafrika (acht), Australien, &Auml;gypten, Sowjetunion (je drei), S&uuml;dafrikanische Union, Italien (je zwei) sowie Jugoslawien und Belgien (je eine).------------------------------Foto: Deutsche Kriegsgefangene b&uuml;ffeln im britischen Norton Camp 174 in Cuckney, Nottinghamshire.

Weltkriegsgefangene studierten in Lagerunis - ein lange unbeachtetes Kapitel der Bildungshistorie: Seminar im Bombentrichter

Frankreich

Im August 1986 entweichen tausende Tonnen Kohlendioxid (CO2) &uuml;ber Nacht aus einem Krater-See in Kamerun und wabern den schlummernden Vulkan hinab. Menschen und Tiere in umliegenden T&auml;lern haben keine Chance. Sie ersticken, weil das Gas in dieser Menge den Sauerstoff verdr&auml;ngt. Heute noch ist die Naturkatastrophe ein abschreckendes Beispiel daf&uuml;r, was passieren kann, wenn CO2 aus der Erde an die Oberfl&auml;che tritt.Ungeachtet dessen plant die Bundesregierung die unterirdische Speicherung von CO2, das bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe wie Kohle und Erd&ouml;l entsteht. Sie will auf diese Weise den CO2-Aussto&szlig; in die Atmosph&auml;re verringern. In Brandenburg und in Schleswig-Holstein, wo die ersten unterirdischen Depots geplant sind, laufen B&uuml;rger Sturm gegen das Vorhaben. Sie haben Angst vor einer Katastrophe wie der am Nyos-See. Wissenschaftler halten diese Gefahr jedoch f&uuml;r nahezu ausgeschlossen, sagen sie.Risikolos ist das CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage) genannte Verfahren, das in Norwegen, Kanada, Algerien und den USA bereits vereinzelt eingesetzt wird, dennoch nicht. &quot;Wir wissen noch zu wenig dar&uuml;ber, wie sich Kohlendioxid unter der Erde verh&auml;lt&quot;, sagt etwa der Geowissenschaftler Georg Nover.Nover forscht an der Uni Bonn. Er pr&uuml;ft, wie sich CO2 mineralogisch binden, zu Kalkstein verwandeln und so einlagern l&auml;sst. Zurzeit untersuchen Forscher an verschiedenen Standorten, was passiert, wenn der Klimakiller unter Tage mit anderen Gasen, Gesteinen und Formationswasser in Kontakt kommt. Auf der Basis von Modellen und Experimenten treffen sie Vorhersagen. In entscheidenden Fragen herrscht allerdings weiter Unklarheit, etwa, wenn es darum geht, geeignete Lagerst&auml;tten auszuw&auml;hlen.Suche nach geeigneten DepotsWeltweit werden zwei Optionen f&uuml;r unterirdische CO2-Depots gehandelt: ausgediente &Ouml;l- und Erdgasfelder sowie salzwasserf&uuml;hrende, por&ouml;se Sandsteinschichten, sogenannte salinare Aquifere. Die in Hannover angesiedelte Bundesanstalt f&uuml;r Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die seit zehn Jahren nach geeigneten CO2-Depots sucht, hat in ausgesch&ouml;pften Erdgaslagern gro&szlig;e Kapazit&auml;ten ausgemacht. Dort k&ouml;nnte man zumindest theoretisch rund 2,75 Milliarden Tonnen CO2 einschlie&szlig;en. Zum Vergleich: Ein modernes Kohlekraftwerk entl&auml;sst j&auml;hrlich sechs Millionen Tonnen in die Atmosph&auml;re.Peter Gerling, Leiter der BGR-Abteilung f&uuml;r Geologische CO2-Speicherung, schw&ouml;rt in Fragen der Sicherheit auf die bereits vorhandenen Erfahrungen aus der Erdgasf&ouml;rderung und -speicherung. Er sieht auch beim CO2 kein Problem: &quot;Wir speichern ja seit 50 Jahren Erdgas.&quot;Diese Bedenkenlosigkeit teilt Nover nicht. Er h&auml;lt ehemalige Erdgaslagerst&auml;tten als CO2-Speicher f&uuml;r ungeeignet. &quot;Da sind zu viele potenzielle Lecks eingebaut&quot;, sagt er und meint die vielen L&ouml;cher, die einst gebohrt wurden, um die Felder im gro&szlig;en Stil auszubeuten. Zwar sind die Bohrl&ouml;cher verplombt, dennoch drohe Gefahr, n&auml;mlich dann, wenn das CO2 mit im Wasser schwimmendem Natriumchlorid eine Verbindung eingeht. Nover: &quot;Das ist eine aggressive Mischung. Sie greift die Verrohrung des Bohrlochs an und die Bohrlochzemente.&quot;Viel verbreiteter als ausgesch&ouml;pfte Erdgasfelder sind in Deutschland salinare Aquifere. Diese sind vor allem im Norddeutschen Becken zu finden. Das Becken erstreckt sich &uuml;ber die gesamte Nordsee, Norddeutschland bis nach Polen und reicht im S&uuml;den bis an den Rand der Mittelgebirge. Eine Speicherkapazit&auml;t f&uuml;r sechs bis zw&ouml;lf Milliarden Tonnen CO2 will die BGR errechnet haben.Das w&auml;re mehr als n&ouml;tig, wenn CCS, wie von der Bundesregierung angek&uuml;ndigt, tats&auml;chlich nur als &quot;Br&uuml;ckentechnologie&quot; eingesetzt werden soll. Auch wenn Nover diese M&ouml;glichkeit als &quot;die einzige, die Sinn macht&quot;, bezeichnet, sieht er Forschung und Industrie hier ebenfalls vor bisher ungel&ouml;ste Probleme gestellt. &quot;Laugenbewegungen sind das Gef&auml;hrlichste&quot;, sagt er und muss unweigerlich an das Atomm&uuml;lllager Asse denken. Seine Bef&uuml;rchtung: Die Injektion von CO2 in die Erde l&ouml;st im Untergrund ver&auml;nderte Druckbedingungen und somit Flie&szlig;bewegungen aus. Im schlimmsten Fall kann es sein, dass salinare Fl&uuml;sse entlang von Rissen und Kl&uuml;ften aufsteigen und Trinkwasserquellen versalzen.Nover r&auml;t deshalb dazu, Kohlendioxid m&ouml;glichst weit unten, in Tiefen von mindestens 2000 Metern einzuspeisen. Erst dann w&uuml;rden sich gen&uuml;gend Deckschichten dar&uuml;ber befinden, die wie Barrieren wirken und ein Aufsteigen sowohl von salinaren Fl&uuml;ssen als auch von Kohlendioxid verhindern.Tats&auml;chlich aber sind CO2-Depots schon in einer Tiefe von 800 Metern geplant. &quot;Das ist der flachste Horizont, der eben noch denkbar ist&quot;, sagt Nover. Bedrohlich w&uuml;rde es werden, wenn gro&szlig;e Mengen CO2 schlagartig austreten und sich wie am Nyos-See in Senken sammeln. Kohlendioxid ist schwerer als Luft und kann zum Erstickungstod f&uuml;hren, wenn es die Atemluft verdr&auml;ngt.Keine LebensgefahrDass sich eine Trag&ouml;die wie in Kamerun hierzulande abspielen k&ouml;nnte, h&auml;lt Nover f&uuml;r sehr unwahrscheinlich. &quot;Allein 40 Prozent des Kohlendioxids wird unter der Erde physikalisch gebunden&quot;, begr&uuml;ndet er seine Einsch&auml;tzung. Sollte tats&auml;chlich CO2 durch die Sedimente wandern und sich an Barrieren vorbei nach oben schl&auml;ngeln, k&ouml;nne das Gas nur allm&auml;hlich und in kleinen Dosen entweichen. Da bestehe aber keine Lebensgefahr, versichert Nover.Ist das CO2 erst einmal unter der Erde, muss es kontrolliert werden. Die bislang einzige Anlage in Deutschland, an der das praktisch erprobt werden kann, steht im brandenburgischen Ketzin. &quot;Unser Lager ist eine salinare Aquifere. Wir injizieren CO2 in 650 Meter Tiefe&quot;, berichtete Forscherin Hilke W&uuml;rdemann j&uuml;ngst auf einer Fachtagung der Mineralogischen Gesellschaft in M&uuml;nster.40000 Tonnen CO2 haben sie und ihre Kollegen des Geo-Forschungs-Zentrums (GFZ) Potsdam in den vergangenen zwei Jahren in die Ketziner Erde gepumpt und beobachtet, wie sich das Gas unterirdisch ausbereitet. Konkrete Hinweise auf Gefahren habe es bisher nicht gegeben, sagt sie.Kritiker der CCS-Technologie sehen auch finanzielle Risiken. Denn noch wei&szlig; keiner, wie viel die neue Technologie kostet. Man m&uuml;sste Kraftwerke umbauen, um das CO2 aus dem Rauchgas abzuspalten. Eine Infrastruktur m&uuml;sste geschaffen werden, um das CO2 durch Pipelines in die Lager zu transportieren. F&uuml;r das Verfahren w&auml;re zus&auml;tzliche Energie n&ouml;tig, zun&auml;chst m&uuml;sste mehr Kohle abgebaut und verbrannt werden, um am Ende weniger CO2 in die Luft zu pusten.------------------------------Grafik: Nutzung und Speicherung von Kohlendioxid (CO2)

In unterirdischen Lagern soll der Klimakiller CO2 weggesperrt werden - wie sicher ist das?: Angst vor dem Gas aus der Tiefe

Bundesregierung

Vor Menschen mit Berufen wie dem seinen hatte G&uuml;nther Schuhs Gro&szlig;vater Ehrfurcht. Schuh ist Professor. Er hat einen Lehrstuhl an der Rheinisch-Westf&auml;lischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen. Weil der Opa Schlosser war, gilt Schuh einer Studie zufolge als &quot;sozialer Aufsteiger&quot;. Ergebnis ist auch: In Deutschland gibt es immer weniger Aufsteigertypen wie ihn.189 Professoren der Informatik und der Ingenieurswissenschaften, allesamt von der RWTH, wurden in der Studie nach dem h&ouml;chsten Bildungsabschluss ihrer Eltern und Gro&szlig;eltern befragt. Mehr als 60 Prozent gaben an, dass Mutter und Vater nie studiert haben. Bei noch einmal 20 Prozent trifft dies f&uuml;r Oma und Opa zu.Die Zahlen aus Aachen sind interessant, vor dem Hintergrund, dass die OECD das deutsche Bildungssystem f&uuml;r seine starke soziale Selektion kritisiert. Gerade einmal 17 Prozent aller Studierenden kommen heute noch aus Arbeiterfamilien, hat auch das Studentenwerk in seiner Sozialerhebung im Jahr 2006 herausgefunden. Allerdings gibt es Unterschiede in den einzelnen Fachrichtungen. &quot;Die soziale Durchl&auml;ssigkeit war in den Ingenieurswissenschaften und der Informatik bisher gegeben&quot;, res&uuml;miert die Aachener Untersuchung.Die Laufbahn Schuhs gibt ihr Recht. Der 51-j&auml;hrige Wirtschaftsingenieur ist heute Institutsleiter und Prorektor an der RWTH. &quot;Mein Vater ist aus armen Hause&quot;, so Schuh. &quot;Informatik und Ingenieurswissenschaften haben einen st&auml;rkeren Bezug zu klassischen Arbeiterberufen der V&auml;ter&quot;, sagt der Soziologe Michael Hartmann von der Technischen Universit&auml;t (TU) Darmstadt. Ist Papa Facharbeiter oder Handwerker, interessierten sich die Kinder am ehesten f&uuml;r Maschinenbau oder Elektrotechnik.Bildungsexpansion in den 70ernIn der zehnten Klasse bekamen Schuhs Eltern einen blauen Brief. Darin bezweifelte der Lehrer, dass G&uuml;nther die Hochschulreife schaffen k&ouml;nne. &quot;Da hat mich meine Mutter an die Kandare genommen&quot;, erinnert er sich. Dass sich M&uuml;he und Disziplin lohnen, diese Erfahrung hatte schon der Vater gemacht. Der hatte seiner Werkzeugmacher-Ausbildung noch den Abschluss an einer Ingenieursschule folgen lassen. Sohn G&uuml;nther packte 1977 das Abitur und wagte den Schritt an die Universit&auml;t. Soziologe Hartmann spricht von einer Bildungsexpansion in den 70ern, von der Tausende profitierten. Die Hochschulen &ouml;ffneten sich der breiten Masse, das Baf&ouml;g glich einem Vollstipendium, Studiengeb&uuml;hren gab es nicht.Doch damit war in den 90ern Schluss, was sich auch in der Aachener Studie widerspiegelt. Denn unter den Befragten, die um 1970 geboren sind und 20 Jahre sp&auml;ter eine Hochschule besuchten, befinden sich kaum noch &quot;soziale Aufsteiger&quot;. Ursache sei der R&uuml;ckgang des Anteils an Arbeiter- und Bauernfamilien in der Bev&ouml;lkerungsstruktur, sagt Manfred Nagl, Leiter der Studie.Diese Logik ist Hartmann zufolge nicht einleuchtend. &quot;Es gibt eine ganze Menge Potenzial&quot;, sagt er - Haushalte etwa, in denen Techniker und kaufm&auml;nnische Angestellte leben. Dem Darmst&auml;dter Wissenschaftler zufolge haben mehr als Dreiviertel der Erwerbst&auml;tigen in Deutschland keinen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss.Dass Fachkr&auml;ftemangel herrsche, habe laut Hartmann mehrere Gr&uuml;nde. Zum einen habe eine von Sparkurs gezeichnete Personalpolitik der Unternehmen in den 90er Jahren den Nachwuchs abgeschreckt, ein Ingenieursstudium aufzunehmen. Zum anderen mangele es vor allem an der F&ouml;rderung von Migranten. Auch sei &uuml;ber Jahre hinweg die Ausbildungsf&ouml;rderung nicht an den Bedarf angepasst worden.Baf&ouml;g hat Schuh nie kassiert. Sein Vater verdiente gut. Schuhs Schwester zog trotz Abiturs eine kaufm&auml;nnische Ausbildung dem Studium vor. Frauen blieben trotz &quot;Bildungsexpansion&quot; in den Ingenieurswissenschaften eine Seltenheit.

Studie zeigt aber: Soziale Durchlässigkeit ist passé: Viele Profs sind von Haus aus Malocher

Der Laptop gibt den Geist auf, alle Daten scheinen auf einen Schlag verloren. Sicherheitskopie: Fehlanzeige. Das ist der Albtraum vieler Studierender, wenn sie eine Haus- oder gar Examensarbeit verfassen m&uuml;ssen. Die Uni Bielefeld hat deshalb in ihrem Hochschulrechenzentrum eine Erste-Hilfe-Station f&uuml;r Notebooks installiert.&quot;Mobile Education Device Service&quot;, kurz Medis, hei&szlig;t das in Deutschland wohl einmalige Angebot. Ihm sei jedenfalls bislang kein vergleichbares bekannt, sagt Projektleiter Peter Schoenknecht. &quot;Wir wollten unseren Service im Rechenzentrum erweitern&quot;, so der Wirtschaftsinformatiker. Aus diesem Grund rief er vor anderthalb Jahren Medis ins Uni-Leben. Beinah t&auml;glich schrauben er und zwei Mitarbeiter in einem Arbeitsraum an bis zu sechs Notebooks gleichzeitig. Sie &quot;operieren am offenen Herzen&quot;, wie Schoenknecht zu sagen pflegt. Seit dem Projektstart im M&auml;rz 2008 haben sie nach eigenen Angaben insgesamt rund 1000 Behandlungen vorgenommen.Studierende, die zu ihm k&auml;men, seien manchmal ganz verzweifelt oder verfielen in Panik. &quot;Man muss die Leute erst einmal beruhigen, um zu erfahren, was das Problem ist&quot;, berichtet Schoenknecht. Nicht nur einmal sei es vorgekommen, dass ein Verzweifelter eine Stunde vor dem Abgabetermin der Abschlussarbeit beim Pr&uuml;fungsamt Hilfe suchte. Beim Ausdrucken des Ergebnisses monatelanger Tag- und Nachtschichten streikte der Laptop pl&ouml;tzlich. Nichts ging mehr. Ein klarer Fall f&uuml;r Schoenknecht. Festplattencrash lautete die Diagnose. Die Erste Hilfe bestand darin, verloren geglaubte Daten zu retten.Anders ausgedr&uuml;ckt: Dank Medis m&uuml;ssen Studierende ihre Arbeit nicht noch einmal komplett neu schreiben. Allerdings ist die Lage auch selten so brenzlig wie im geschilderten Beispiel. Dennoch will Schoenknecht ausgemacht haben, dass bei 95 Prozent der F&auml;lle Daten in Gefahr sind. Hauptverursacher seien Computerviren. Ein immer wiederkehrendes Problem stellten auch USB-Sticks dar. &quot;Die haben eine extrem geringe Datensicherheit&quot;, so der Experte.Unimaut sinnvoll angelegtF&uuml;r den Datentransport seien sie geeignet, aber nicht, um darauf zu arbeiten. Gutgemeinte Ratschl&auml;ge sind im Medis-Gesamtpaket inbegriffen. Schoenknecht: &quot;Anderswo m&uuml;sste man diese Dienstleistung teuer einkaufen.&quot;Die Studierenden der Universit&auml;t Bielefeld m&uuml;ssen f&uuml;r diesen Service nicht einmal extra bezahlen. &quot;Jeder wei&szlig;: Studenten sind h&auml;ufig knapp bei Kasse&quot;, so der Computerfachmann. Doch so ganz kostenlos ist Medis f&uuml;r sie dann doch nicht. Denn die Personalkosten werden aus Studiengeb&uuml;hren bestritten. F&uuml;r Peter Schoenknecht tr&auml;gt Medis -wie f&uuml;r die Verwendung der Campus-Maut gefordert - damit aber auch zur Verbesserung der Lehre bei. Seine Argumentation ist so simpel wie naheliegend: Beinah jeder der knapp 18 000 Studierenden an der Uni Bielefeld sei im Besitz eines Notebooks. Ohne Computer und Internet k&auml;me heutzutage kein Student mehr aus.Zweifellos: Den Rechenzentren an deutschen Hochschulen ist im Uni-Alltag eine wachsende Bedeutung zugekommen. Daf&uuml;r haben sie m&auml;chtig aufger&uuml;stet. Sie statten den akademischen Nachwuchs nicht mehr nur mit E-Mail-Adressen, sondern auch mit Zug&auml;ngen zu W-LAN-Netzen und zu Online-Plattformen sowie mit Lizenzen f&uuml;r Virenschutzprogramme aus. Angebote wie Medis aber sind noch die Ausnahme.

Wer die Diplomarbeit verloren glaubt, kann sich an der Uni Bielefeld an die Erste-Hilfe-Station für Notebooks wenden: Diagnose: Festplatten-Crash

Die Gesch&auml;fte des WDR und seiner Rundfunkratsmitglieder bleiben der &Ouml;ffentlichkeit weiter verborgen. Das geht aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts K&ouml;ln hervor, das am Donnerstag eine Klage des freien Journalisten Marvin Oppong abgewiesen hat. Oppong wollte vom WDR wissen, an welche Firmen und in welchem Umfang der Sender gewerbliche Auftr&auml;ge vergibt. Erstmals hatte er Ende 2006 angefragt. Der WDR lehnte mit Verweis auf Betriebs- und Gesch&auml;ftsgeheimnisse eine Antwort ab. 2008 reichte Oppong Klage ein und berief sich dabei nicht nur auf das Landespresse-, sondern auch auf das seit 2002 in NRW in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz (IFG).Oppongs Anwalt argumentierte vor Gericht, Geb&uuml;hrengelder auszugeben sei ein verwaltungstechnischer Akt, die Verwendung offenzulegen, schaffe mehr Transparenz. Die Kammer orientierte sich bei ihrem Urteil aber an der bisherigen Rechtsprechung. Danach sei der WDR trotz Geb&uuml;hrenerhebung keine Beh&ouml;rde. Somit ist der ARD-Ableger anders als beispielsweise Ministerien und Stadtverwaltungen nicht verpflichtet, Journalisten oder B&uuml;rgern Ausk&uuml;nfte zu erteilen.

Der WDR darf Journalisten Auskünfte über seine Geschäfte verweigern: Geheim bleibt geheim

Köln

Als Astronomielehrer Mario Koch die Deckenbeleuchtung ausschaltet, geht ein Raunen durch den abgedunkelten Klassenraum. Die einzige Lichtquelle steht jetzt auf dem Lehrertisch. &quot;Wer m&ouml;chte, kann n&auml;her herankommen&quot;, sagt Koch zu seinen Sch&uuml;lern. Die gelbe Kugel, aus der das Licht str&ouml;mt, stellt die Sonne dar. Der kleine Globus, auf den das Licht gerichtet ist, die Erde. Beide sind &uuml;ber einen Hebelarm miteinander verbunden. Tellurium hei&szlig;t dieses Modell, an dem der Lehrer Zehntkl&auml;sslern des Friedrich-Schiller-Gymnasiums im th&uuml;ringischen Weimar die Entstehung der Jahreszeiten auf unserem Planeten erkl&auml;rt. F&uuml;r die Allgemeinbildung sei das unentbehrlich, sagt Koch: &quot;Jeder sollte das wissen.&quot;Doch in Deutschland kann es gar nicht jeder wissen. Denn Astronomie als eigenst&auml;ndiges und verpflichtendes Fach in der Schule gibt es nur noch in drei Bundesl&auml;ndern: in Th&uuml;ringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Die Sternenkunde war in diesen drei Bundesl&auml;ndern schon zu DDR-Zeiten eine Konstante. Die Sowjetunion hatte 1957 den ersten Satelliten gestartet und damit das &quot;Kosmische Zeitalter&quot; eingel&auml;utet. Zwei Jahre sp&auml;ter f&uuml;hrte das Ministerium f&uuml;r Volksbildung das Fach Astronomie f&uuml;r alle Schulen ein. In den alten Bundesl&auml;ndern hingegen ist das Universum seit eh und je eine Randerscheinung im Physikunterricht.2009: Jahr der AstronomieW&auml;hrend 2009 das Internationale Jahr der Astronomie zelebriert wird, m&uuml;ssen sich deutsche Astronomen Sorgen um ihren Nachwuchs machen. Es herrscht Lehrermangel. Einzig die Universit&auml;ten in Jena, Halle an der Saale und Rostock haben Astronomie f&uuml;r angehende P&auml;dagogen im Angebot. Jeweils 20 bis 30 Studierende machen semesterweise davon Gebrauch. Die Sterne f&uuml;r Astronomie in der Schule stehen dort auf den ersten Blick g&uuml;nstig. Doch von der Friedrich-Schiller-Universit&auml;t in Jena beispielsweise kommen laut Hochschule pro Jahr h&ouml;chstens zwei ausgebildete Fachlehrer. Der Bedarf sei viel gr&ouml;&szlig;er.Eine paradoxe Konstellation erlebt der Astronomielehrer Uwe Schierhorn an brandenburgischen Schulen. 1992 ist Astronomie als Pflichtfach dort abgeschafft, zw&ouml;lf Jahre sp&auml;ter wieder eingef&uuml;hrt worden. Den Schulen ist es heute &uuml;berlassen, ob sie Astronomie zur Pflicht machen oder zur Wahl stellen. Was in Brandenburg jedoch komplett fehlt, ist die Lehrerausbildung. &quot;Der Lehrerbestand stirbt aus&quot;, sagt Schierhorn, der sich im Verein Pro Astro f&uuml;r Erhalt und Ausbau des Astronomieunterrichts stark macht.Schuld an der Misere seien die Bildungspolitiker, die die Naturwissenschaften seit der Wende massiv eingeschr&auml;nkt h&auml;tten. An dem Gymnasium Schierhorns in K&ouml;nigs Wusterhausen k&ouml;nnen die Sch&uuml;ler zwischen Astronomie, Psychologie, Informatik und einer dritten Fremdsprache w&auml;hlen. In der Sekundarstufe II steht Astronomie in Konkurrenz zu F&auml;chern wie Kunst, Musik und Sport. &quot;Das ist nicht die Stellung, die dem Fach zusteht&quot;, sagt Schierhorn und schaut mit Neid auf die Kollegen in Th&uuml;ringen. Dort ist in der 10. Klasse an Gymnasien und Regelschulen eine Stunde Astronomieunterricht eingeplant.Ob das so bleibt, da ist Astro-Lehrer Koch in Weimar jedoch misstrauisch: &quot;Erst einmal abwarten, was die neue Landesregierung bringt.&quot; Warnendes Beispiel sei das Land Sachsen. Dort erlosch 2007 das Fach Astronomie in der Schule ein f&uuml;r alle Mal wie ein toter Stern.Planetenkunde ohne LobbyBesserung scheint Lichtjahre entfernt. Auch aus den alten L&auml;ndern kommt wenig Hoffnung. &quot;Astronomie ist eher der Physik zugeh&ouml;rig&quot;, sagt Andreas Schulz. Er ist Vorsitzender der Kommission Astronomie in Unterricht und Lehramt, die von der Astronomischen Gesellschaft ins Leben gerufen wurde, um das Fach in allen Schultypen zu etablieren. Doch bislang sind alle Bem&uuml;hungen gescheitert, der Sternen- und Planetenkunde eine st&auml;rkere Lobby zu verschaffen.&quot;Die Kultusministerien sind darauf bedacht, ihre Eigenst&auml;ndigkeit zu wahren. Sie sind daher beratungsresistent&quot;, kritisiert Schulz. Doch das Problem ist auch hausgemacht. Denn offenbar gelingt es den Bef&uuml;rwortern eines bundesweiten Pflichtfachs nicht, gemeinsam f&uuml;r ihr Ziel zu k&auml;mpfen. Neben den Landesverb&auml;nden von Pro Astro und der Astronomischen Gesellschaft streiten noch andere Gruppen wie der Rat deutscher Sternwarten und die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Schulastronomie in Hessen f&uuml;r das Fach. &quot;Jeder handelt eigensinnig und wenig kompromissbereit&quot;, sagt Astro-Lehrer Schierhorn.Sein Kollege in Weimar konzentriert sich da lieber ganz auf die Arbeit. Koch unterrichtet noch Mathe, Physik, Medienkunde und Informatik. Um Interesse f&uuml;r ferne Galaxien zu wecken, verbleibt ihm eine Schulstunde pro Woche. Als Hausaufgabe gibt er ein Mondprotokoll in Auftrag. Die Sch&uuml;ler sollen an vier Tagen den Erdtrabanten beobachten, Bewegungen und Phasen in eine Horizontskizze einzeichnen -ˆ' wieder ein St&uuml;ck Allgemeinbildung.------------------------------Foto: Unendliche Weiten: Der Kosmos kommt im Unterricht kaum vor.

In deutschen Schulen bleibt das Universum eine Randerscheinung - nur in drei Bundesländern ist Astronomie Pflichtfach: Erloschen wie ein toter Stern

Sport

Der Merkur liegt gleich um die Ecke, zumindest in kosmischen Ma&szlig;st&auml;ben. Nur hundert Millionen Kilometer ist seine Umlaufbahn von der der Erde entfernt - das ist fast nichts im Vergleich zu fernen Planeten wie Jupiter und Saturn, die die Sonne in vielfach gr&ouml;&szlig;erer Distanz umkreisen. Dennoch sind diese Gasriesen und ihre Monde weitaus besser erforscht als der innerste Planet unseres Sonnensystems.Der Grund ist die gro&szlig;e N&auml;he des Planeten zur Sonne: Sie macht es Astronomen unm&ouml;glich, mit Weltraumteleskopen wie Hubble, die in der Erdumlaufbahn stationiert sind, einen Blick auf die Merkuroberfl&auml;che zu werfen. Zu gro&szlig; w&auml;re die Gefahr, dass die geladenen Teilchen des Sonnenwinds die Linsen und Sensoren besch&auml;digen, wenn die Astronomen sie direkt in Richtung Sonne drehen.Planetenforschern bleibt daher nur das Entsenden von Raumsonden, die Jahre unterwegs sind, bevor sie Merkur erreichen. Die aktuelle Mission namens Messenger startete 2004 und soll im M&auml;rz 2011 in einen Orbit um den Planeten einschwenken. Zuvor muss sich Messenger dem Planeten drei Mal n&auml;hern und sich wieder entfernen, wobei die Sonde jedes Mal etwas abgebremst wird. Das erste dieser Swing-By-Man&ouml;ver fand im Januar 2008 statt, das zweite im Oktober. Das letzte ist f&uuml;r September geplant.Bei den bisherigen Vorbeifl&uuml;gen hatte die Bordkamera der Sonde bereits zahlreiche spektakul&auml;re Bilder von der Oberfl&auml;che des Planeten geschossen und zur Erde gefunkt. Inzwischen sind auch die Aufnahmen des zweiten Swing-By-Man&ouml;vers ausgewertet. Wie der US-Astronom Brett Denevy von der Arizona State University und seine Kollegen in der vergangenen Woche im Wissenschaftsmagazin Science berichteten, best&auml;tigen die Fotos ein entscheidendes Ergebnis des ersten Vorbeiflugs: Auf dem Merkur gab es fr&uuml;her einmal aktive Vulkane. &quot;Diese Erkenntnis hat die Fachwelt damals sehr &uuml;berrascht&quot;, sagt der Merkurexperte Harald Hiesinger von der Universit&auml;t M&uuml;nster.Heute besteht die Oberfl&auml;che aus festem Gestein und ist &auml;hnlich wie der Erdmond mit unz&auml;hligen Felskratern &uuml;bers&auml;t. Im Oktober habe Messenger mehrere bislang noch unbekannte Krater fotografiert, berichtet ein Astronomenteam um Thomas Watters vom Center for Earth and Planetary Studies in Washington D. C. in Science. Das breiteste der neu entdeckten Becken tauften die Forscher auf den Namen Rembrandt. Mit 750 Kilometern Durchmesser ist es der zweitgr&ouml;&szlig;te bislang bekannte Merkurkrater. Noch breiter ist nur das 1 500 Kilometer messende Caloris-Becken, das Mitte der Siebzigerjahre von der ersten Merkursonde Mariner 10 entdeckt wurde.Mariner 10 machte bei ihren drei Vorbeifl&uuml;gen nicht nur den riesigen Krater ausfindig. Sie entdeckte auch den metallischen Kern von Merkur, dessen Entstehung Planetenforschern bis heute R&auml;tsel aufgibt. Sie fragen sich, wie es dazu kam, dass der Gesteinskern fast ein Drittel des Volumens von Merkur ausmacht. Zum Vergleich: Der innere und der &auml;u&szlig;ere Erdkern umfassen zusammen nur ein knappes Sechstel unseres Heimatplaneten. &quot;Ein zweiter Himmelsk&ouml;rper k&ouml;nnte eingeschlagen sein und Teile von Merkurs Mantel abgesprengt haben&quot;, beschreibt Hiesinger eine der Theorien.Gewissheit bringen soll eine dritte Mission zum Merkur, deren Tr&auml;gerrakete nach den Pl&auml;nen der Forscher am 21. Juli 2014 abhebt - also drei Jahre, nachdem die Messenger-Sonde den Planeten voraussichtlich erreichen wird. Die Mission wurde auf den Namen Bepi Colombo getauft, zu Ehren des italienischen Mathematikers und Raumfahrtingenieurs Giuseppe &quot;Bepi&quot; Colombo, der in den Sechzigerjahren die Flugbahn f&uuml;r Mariner 10 berechnet hatte.Bepi Colombo besteht aus zwei Sonden, die gemeinsam ihren Weg zum Merkur antreten sollen. Wenn alles nach Plan verl&auml;uft, werden sie den Planeten am 21. Mai 2020 erreichen und ihn f&uuml;r mindestens ein Jahr in einer ellipsenf&ouml;rmigen Umlaufbahn umrunden. Die kleinere Sonde, der Mercury Magnetospheric Orbiter (MMO), stammt von der Japanischen Raumfahrtagentur Jaxa und wird die meiste Zeit einen Abstand von 12 000 Kilometern halten. Dort soll MMO das Magnetfeld des Planeten vermessen.Die gr&ouml;&szlig;ere Sonde hei&szlig;t Mercury Planetary Orbiter (MPO) und wird von der Europ&auml;ischen Raumfahrtgesellschaft Esa gebaut. An Bord sind neun Messinstrumente, die die Oberfl&auml;che des Planeten aus 400 bis 1 500 Kilometern H&ouml;he aussp&auml;hen sollen. Der deutsche Beitrag zu MPO ist eine W&auml;rmebildkamera, ein Infrarotspektrometer namens Mertis (die Abk&uuml;rzung steht f&uuml;r Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer).Das Instrument wurde von Harald Hiesinger und seinem Team an der Universit&auml;t M&uuml;nster entwickelt - in enger Zusammenarbeit mit Forschern des Deutschen Zentrums f&uuml;r Luft- und Raumfahrt (DLR), die die Kamera am Institut f&uuml;r Robotik und Mechatronik in Berlin-Adlershof montiert haben. Die optischen Elemente und die Elektronik stecken in einem w&uuml;rfelf&ouml;rmigen Geh&auml;use mit einer Kantenl&auml;nge von 13 Zentimetern.W&auml;hrend die Messenger-Sonde nach ihrer Ankunft im Jahr 2011 lediglich neunzig Prozent der Merkuroberfl&auml;che mit ihrer Kamera aufzeichnen wird, soll Mertis die Verteilung der Mineralien auf dem gesamten Planeten kartieren. Und zwar durchweg in hoher Aufl&ouml;sung - und nicht wie Messenger nur die n&ouml;rdliche Hemisph&auml;re. &quot;Nach Abschluss der Messungen hoffen wir, die viereinhalb Milliarden Jahre lange Entstehungsgeschichte des Merkurs besser zu verstehen&quot;, sagt Hiesinger.In Adlershof arbeiten DLR-Ingenieure derzeit an der Feinabstimmung des Instruments. &quot;Wir nehmen unterschiedliche Mineralien, etwa Feldspate, die wir auf der Merkuroberfl&auml;che vermuten. Mit ihrer Hilfe versuchen wir, die Mertis-Sensoren bestm&ouml;glich auf ihren Einsatz im Merkur vorzubereiten, sagt J&ouml;rn Helbert, der das Projekt leitet.Bestm&ouml;glich vorbereiten - das bedeutet auch, das Instrument fit zu machen f&uuml;r die immensen Temperaturschwankungen, denen der Planet ausgesetzt ist. W&auml;hrend die Temperatur auf der Oberfl&auml;che am Tag hei&szlig;e 427 Grad Celsius betr&auml;gt, sinkt sie auf der Nachtseite auf bis zu minus 193 Grad.Bis Mertis und die anderen Instrumente an Bord von Bepi Colombo die ersten Messdaten liefern, wird es noch elf Jahre dauern. Solange begn&uuml;gen sich die Planetenforscher mit den Aufnahmen von Messenger - und werden in einigen Jahren aus lauter Neugier doch einen Blick durch ein normales Weltraumteleskop auf Merkur riskieren.Wenn n&auml;mlich der Hubble-Nachfolger, das James-Webb-Teleskop, im All ist, soll Hubble kontrolliert in die Erdatmosph&auml;re absinken und dort vergl&uuml;hen. Vorher jedoch wird das alte Teleskop seinen letzten Blick auf die Sonne und ihren gef&auml;hrlichen Teilchenstrom sowie auf den Merkur richten - und dabei seine optischen Instrumente einen wissenschaftlichen M&auml;rtyrertod sterben lassen.Science, Bd. 324, S. 613 und 618------------------------------Foto: Der Merkur sieht nicht nur so aus wie der Mond - er ist auch fast genauso klein.Foto: Die Oberfl&auml;che des Planeten ist mit Kratern &uuml;bers&auml;t. Die Messenger-Sonde soll eine Karte erstellen.

Unser Nachbar ist schlechter erforscht als andere Planeten. Raumsonden sollen das ändern: Unbekannter Merkur

Die W&auml;nde sind aus Glas, von allen Seiten f&auml;llt Licht herein. Auf einer Leinwand l&auml;uft eine Pr&auml;sentation, gegen&uuml;ber steht eine Trib&uuml;ne mit drei Stockwerken, etwa die H&auml;lfte der Pl&auml;tze ist besetzt. Die Studenten sitzen auf Kissen und lauschen den Worten von Lillyth Janus, die hier ihr Seminar abh&auml;lt.Tats&auml;chlich befinden sich weder Lillyth Janus noch ihre Studenten in dem lichtdurchfluteten Raum, sondern nur ihre k&uuml;nstlichen K&ouml;rper. Die Dozentin und ihre Zuh&ouml;rer sitzen jeder bei sich zu Hause am Computer und steuern ihre Ebenbilder, Avatare genannt, durch eine virtuelle Universit&auml;t in der k&uuml;nstlichen Welt von &quot;Second Life&quot;.Dabei geht es zu wie im echten Lehrbetrieb. Eine Studentin kommt zu sp&auml;t, das Seminar hat schon begonnen. &quot;Tut mir leid, ich war beim Zahnarzt.&quot; Das sagt sie nicht, sondern es ist in einem Text-Fenster auf dem Bildschirm der anderen Seminarteilnehmer zu lesen. Reden falle ihr noch schwer, schreibt die Studentin. Kein Problem, antwortet Janus und begr&uuml;&szlig;t sie freundlich. Alle Studenten h&ouml;ren die Worte der Dozentin. Wer nicht gerade Zahnschmerzen hat, kommuniziert in Second Life &uuml;ber Headsets, bestehend aus Kopfh&ouml;rern und Mikrofon, die an den Computer angeschlossen werden.Volkshochschulkurse im InternetNach dem H&ouml;henflug, den Second Life, das &quot;Zweite Leben&quot; im Jahr 2007 erlebte, scheint die virtuelle Welt seit einigen Monaten in den Tiefen des Internets abgetaucht zu sein. Doch die Online-Plattform sei heute n&uuml;tzlicher denn je, sagt Stefan Sottner, technischer Projektleiter im Second-Life-Team der Medienfilmgesellschaft Baden-W&uuml;rttemberg, die in der virtuellen Welt zwei Inseln betreibt. Die gesamte Second-Life-Welt besteht aus solchen R&auml;umen, von denen aus die Nutzer nach Belieben in jeden anderen wechseln k&ouml;nnen. Die Medienfilmgesellschaft arbeitet mit 22 &uuml;berwiegend &ouml;ffentlichen Bildungseinrichtungen zusammen, die ihre Lehrveranstaltungen nach und nach in die k&uuml;nstliche Welt verlegen wollen.Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist die Volkshochschule (VHS) im nieders&auml;chsischen Goslar, die sich in der vergangenen Woche auf der Karlsruher Bildungsmesse Learntec pr&auml;sentierte. Als eine der ersten Einrichtungen in Deutschland nutzte die VHS Goslar Second Life f&uuml;r Lehrveranstaltungen und wurde 2008 f&uuml;r ihre virtuelle Repr&auml;sentanz und deren breites Angebot mit dem europ&auml;ischen P&auml;dagogik-Preis Eurelea ausgezeichnet. Im virtuellen Angebot lassen sich beispielsweise Kurse f&uuml;r mehrere Fremdsprachen und ein Seminar buchen, das die Teilnehmer auf die Theoriepr&uuml;fung f&uuml;r einen Sportbootschein vorbereitet.Auch auf der Bildungsmesse Didacta, die seit gestern in Hannover l&auml;uft, gibt es zahlreiche Angebote f&uuml;r Lehrveranstaltungen in Second Life. Rund um die k&uuml;nstliche Welt hat sich eine eigene Branche entwickelt: Unternehmen, die virtuelle Schulungsr&auml;ume entwerfen und die fertigen Second-Life-Inseln gewinnbringend vermieten wollen.&quot;Jeder kann von &uuml;berall auf der Welt auf die Bildungsangebote in Second Life zugreifen&quot;, schw&auml;rmt Stefan Sottner. So hat etwa das Netzwerk der deutschen Goethe- Institute ebenfalls eine Second- Life-Repr&auml;sentanz. Dort veranstalten die Institute jeden Dienstag eine kostenlose Deutsch-Stunde, an der jeder teilnehmen kann. Gegen&uuml;ber anderen Formen des elektronischen Lernens (E-Learning) habe Second Life einen entscheidenden Vorteil, sagt Markus Walber von der Universit&auml;t Bielefeld: &quot;Viele Sch&uuml;ler sch&auml;tzen die soziale Interaktion, die in Second Life m&ouml;glich ist.&quot;Der P&auml;dagoge r&auml;umt jedoch ein, dass l&auml;ngst nicht jeder einen Vorteil darin sieht, f&uuml;r den Unterricht in virtuelle Welten abzutauchen. &quot;Zwei Drittel aller E-Learning-Angebote bestehen weiterhin aus klassischen Text-, Audio- und Video-Dateien, die jeder Student zu Hause herunterl&auml;dt und f&uuml;r sich allein bearbeitet&quot;, sagt Walber.Unterricht beim AvatarIn der Second-Life-Repr&auml;sentanz der Universit&auml;t Bielefeld betreibt Walber ein monatliches Forum, an dem auch ausw&auml;rtige Wissenschaftler teilnehmen. J&uuml;ngst hielt dort Lillyth Janus einen Vortrag. In Wirklichkeit hei&szlig;t die Dozentin Tanja Adamus, ist 29 Jahre alt und arbeitet am Fachbereich P&auml;dagogik der Universit&auml;t Essen-Duisburg. In der Second-Life-Pr&auml;senz der Hochschule hielt sie in den vergangenen Monaten ihr Seminar namens &quot;Lernen in virtuellen Welten&quot;. Jeden Donnerstagnachmittag schalteten sich 13 Studenten per Second Life in den k&uuml;nstlichen Seminarraum. Die Teilnehmer waren Studenten der Universit&auml;t Essen-Duisburg, aber auch Fernsch&uuml;ler aus Frankfurt am Main, N&uuml;rnberg und Wuppertal.&quot;Einfach nur vortragen, das funktioniert in k&uuml;nstlichen Welten nicht&quot;, sagt Adamus. &quot;Die Studenten m&uuml;ssen selbst zum Seminar beitragen.&quot; Die Mehrzahl der Kursteilnehmer war jedoch zu Beginn des Kurses noch nie in Second Life unterwegs gewesen. Eine Teilnehmerin berichtet, sie habe sich erst daran gew&ouml;hnen m&uuml;ssen, dass sie nie gewusst habe, ob ihr die anderen Studenten tats&auml;chlich zuh&ouml;rten. &quot;Der pers&ouml;nliche Kontakt hat mir schon gefehlt&quot;, sagt eine andere Kursteilnehmerin. Die Teilnehmer bekamen immer nur die Avatare und nie die Kommilitonen zu Gesicht.Am letzten Unterrichtstag bat Tanja Adamus um R&uuml;ckmeldung, wie den Studenten das Seminar gefallen habe. Durch Dr&uuml;cken einer Tastenkombination konnten die Studenten ihren Avatar den Arm heben lassen, um eine Wortmeldung aufzuzeigen. &quot;Es war sehr interessant, ein virtuelles Referat zu halten&quot;, sprach jemand durch sein Mikrofon. &quot;Ich war weniger aufgeregt als im Pr&auml;senzseminar.&quot;Um eine Gesamteinsch&auml;tzung zu bekommen, zauberte Adamus im Seminarraum eine Skala von eins bis zehn auf den Boden. Indem sie mit ihrem Avatar W&uuml;rfel an die gew&uuml;nschte Stelle schoben, sollten die Studenten das Seminar bewerten - was sich jedoch f&uuml;r einige Teilnehmer als zu schwierig erwies.&quot;Vor allem Studenten, die wenig Erfahrung mit Computerspielen haben, tun sich mit Second Life schwer&quot;, berichtet Adamus. Um die Teilnehmer der Seminare an den Umgang mit der virtuellen Welt zu gew&ouml;hnen, bietet die Universit&auml;t Essen-Duisburg deshalb nun zu Beginn jedes Semesters Kurse in Second Life an.------------------------------Foto: Die k&uuml;nstlichen K&ouml;rper der Kursteilnehmer sitzen auf einer Trib&uuml;ne. &Uuml;ber Kopfh&ouml;rer h&ouml;ren die Studenten dem Vortrag der Dozentin zu.Foto: Um zu erfahren, wie der Kurs ankommt, hat Dozentin Janus ein Spiel erfunden: Die Sch&uuml;ler vergeben Punkte, indem sie W&uuml;rfel bewegen.Foto: Unser Autor schaut sich im virtuellen Ableger der Universit&auml;t Bielefeld um. Gleich geht sein Avatar zu einem Imbiss in Richtung Cafeteria.

Michael Billig

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