Der Mann, um den sich alles dreht, lässt am längsten auf sich warten. Erst kurz vor Verhandlungsbeginn tritt Dirk-Uwe M. in Anzug und Krawatte ein, als wäre er noch immer Chef der Meab, des Entsorgungsbetriebs der Länder Berlin und Brandenburg. Als dieser hat M. zuletzt ein Jahresgehalt von rund 280.000 Euro bezogen. Doch das reichte dem 68-Jährigen offenbar nicht. Vor dem Landgericht Neuruppin muss er sich jetzt verantworten, weil er Schmiergelder in Höhe von bis zu zwei Millionen Euro kassiert haben soll. 113 Fälle hat die Staatsanwaltschaft allein im Zeitraum zwischen 2015 und 2019 aufgelistet.
Neben Dirk-Uwe M. auf der Anklagebank: seine Schmiergeldgeber. Zwei Unternehmer, 65 und 61 Jahre alt, der eine aus Schleswig-Holstein, der andere aus Nordrhein-Westfalen. Sie sollen seine größten Geldgeber gewesen sein. Daneben ein 54-jähriger Abbruchunternehmer aus Berlin, der M. im Zusammenhang mit der Entsorgung von Abfällen geschmiert haben soll. Ein Berliner Autohändler, 57, soll ihm dabei geholfen haben. Er komplettiert die Anklagebank in Neuruppin.
Der Fall gehört zu den größten Korruptionsprozessen der jüngeren Vergangenheit. Auf Nachfrage kann sich die Staatsanwältin an keinen größeren Komplex erinnern. Sie selbst bezeichnet das Verfahren als „herausragend“. Selten sei mehr Schmiergeld geflossen.
Wie umfangreich das Verfahren ist, zeigt sich auch in der Anklageschrift. Fast 90 Minuten dauerte die Verlesung. Die Staatsanwaltschaft führt Dutzende Geldübergaben auf, mit Datum und Geldbetrag. Manchmal lag kaum mehr als eine Woche zwischen zwei Übergaben. Am 4. Dezember 2019, als der Zugriff durch die Polizei erfolgte und Dirk-Uwe M. vorläufig festgenommen wurde, sollen es sogar drei binnen eines Tages gewesen sein, eine davon im Café Einstein, in aller Öffentlichkeit. Zusätzlich gab es offenbar noch eine Weihnachtsgans, hochwertiges Olivenöl und eine Flasche Champagner.
Die Anklageschrift ist ein sperriges Dokument aus Zahlen, Fakten und Paragrafen. Doch hinter den trockenen Zeilen steckt eine ungeheure Geschichte. Sie handelt von Gier und Maßlosigkeit. Die fünf Angeklagten folgten ihr kommentar- und regungslos.
Die Staatsanwaltschaft sprach von einem „luxuriösen Leben“, das sich der frühere Meab-Chef mit dem Schmiergeld finanziert haben soll. Die jeweiligen Beträge schwankten zwischen 2500 und 50.000 Euro. Bezahlt wurde laut Anklage immer bar. Meistens habe der damalige Meab-Chef das Geld direkt auf ein Privatkonto eingezahlt. Einmal soll er rund 10.000 Euro unmittelbar nach der Übergabe in eine Reise nach Nordamerika investiert haben – als Anzahlung.
Vergabeverfahren waren jahrelang nur eine Show
Der Mann, der im Gerichtssaal zu Anzug und Krawatte auch eine funkelnde Armbanduhr trug, hat offenbar eine Schwäche für teure Reisen in ferne Länder. Auch Thailand, Dubai und die Bahamas kommen in der Anklageschrift vor. In einigen Fällen konnte die Staatsanwaltschaft auch die Orte benennen, wo das Geld ihren Ermittlungen nach übergeben wurde. Es fielen die Namen von Restaurants in Berlin, von einem Hotel in Köln und von Raststätten an der Autobahn.
Zum Schmiergeld kamen weitere Zuwendungen, zur Gier offenbar auch Geiz. So soll Dirk-Uwe M. über mehrere Saisons hinweg VIP-Tickets und Dauerkarten für Alba Berlin und Hertha BSC verlangt, die Bezahlung aber seinen Geldgebern überlassen haben. Diese Gefälligkeiten sollen über die Jahre einen Wert von insgesamt mehr als 300.000 Euro erreicht haben.
Es war offenbar ein ständiges Nehmen. Das gilt wohl auch für die Geldgeber aus Schleswig-Holstein und NRW. Sie sollen immer wieder seine Dienste in Anspruch genommen und sich so Aufträge in einem Gesamtvolumen von mehreren Millionen Euro gesichert haben. Dabei ging es um die Sanierung und den Ausbau der landeseigenen Deponien. Als alleiniger Geschäftsführer der Meab, der er ab 2011 war, soll er stets zu ihren Gunsten Einfluss auf die Vergabe genommen haben. Er soll sie mit internen Informationen der Meab versorgt und über die Angebote der Konkurrenz informiert haben. Vergabeverfahren seien mitunter so auf sie zugeschnitten worden, dass Mitbieter keine Chance gehabt hätten.
Die Dienste, die der frühere Meab-Chef, dem angeklagten Abbruchunternehmer angeboten haben soll, waren anders gelagert. Hier lautete der Deal: Entsorgung zum halben Preis. Tausende Tonnen gefährlichen Abfalls sollen so zu Dumpingpreisen auf den landeseigenen Deponien in Brandenburg gelandet und der Meab dadurch Einnahmen von insgesamt knapp 300.000 Euro entgangen sein. Das entspricht der Summe, die der Abbruchunternehmer bei der Entsorgung seiner Abfälle gespart haben soll. Dafür soll er insgesamt rund 150.000 Euro, also die Hälfte des Ersparten, in die Schmiergeldkasse des alten Meab-Chefs eingezahlt haben.
Die Liste der Zuwendungen ist noch länger. Auch zwei Autos der Marke Mercedes tauchen darauf auf. Der alte Meab-Chef, dem die Fahrzeuge gehört haben sollen, soll nach einem großzügigen Käufer gesucht haben. So kam der fünfte Mann auf der Anklagebank ins Spiel: der Autohändler. Laut Staatsanwaltschaft soll er die Wagen gekauft haben, für ein paar Tausend Euro mehr, als sie tatsächlich wert waren. Eine verdeckte Schmiergeldzahlung an den Mann von der Meab? Beihilfe zur Bestechung lautet jedenfalls der Vorwurf. Hinter den krummen Autodeals soll wieder der Abbruchunternehmer stecken. Er soll den Händler zum Kauf bewegt und dessen Verluste beglichen haben.
Es wäre nicht der erste Müll- und Korruptionsskandal, bei dem auch einem Autohändler eine nicht ganz unbedeutende Rolle zukommt. Im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt hatte Mitte der Nullerjahre der damalige Landrat seinen Einfluss bei Behörden zugunsten eines lokalen Müllbarons geltend gemacht. Der Müllbaron dankte es ihm mit 45.000 Euro Schmiergeld und mithilfe eines Autohausbesitzers. Der spendierte dem Verwaltungschef einen Kleinwagen und Gratisfahrten mit Leihwagen. Am Ende war es aber auch der Autohändler, der den Landrat zu Fall brachte. Als Kronzeuge sagte er später vor Gericht gegen ihn aus. Im Jahr 2017 wurde der Landrat wegen Bestechlichkeit zu zwei Jahren und zehn Monaten Freiheitsentzug verurteilt.
Unbekannter hat den Meab-Chef angezeigt
Wer den Meab-Chef schließlich anzeigte, ist unbekannt. Eine anonyme Anzeige aus dem Jahr 2017 hatte die Ermittlungen ausgelöst. „Der Anzeigenerstatter hat sich uns bis heute nicht zu erkennen gegeben“, so die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage der Berliner Zeitung.
Gefängnis – das ist auch das, was nun dem ehemaligen Meab-Chef droht. Bis zu zehn Jahre sieht das Gesetz für Bestechlichkeit vor. Es stehen noch andere Vorwürfe im Raum, Untreue zum Beispiel und neuerdings auch Steuerhinterziehung. Denn wie sich erst im Laufe des Verhandlungstages am Donnerstag zeigen sollte, soll er auch schon vor 2015 seine Taschen weit aufgehalten und innerhalb von nur drei Jahren fast 900.000 Euro schwarz eingestrichen haben.
Für eine Anklage wegen Bestechlichkeit ist es aber in diesen Fällen zu spät. Sie sind verjährt. Die Staatsanwaltschaft will ihn für mutmaßliche Straftaten aus dieser Zeit dennoch belangen und klagt wegen Steuerbetrug. Der Beschuldigte habe die Bargeldeinnahmen nicht bei seiner Steuererklärung angegeben und dem Fiskus damit seinen Anteil vorenthalten, so der Vorwurf. Bei Steuerdelikten gelten längere Fristen als bei Korruption.






