Berlin-Je länger ich in Deutschland lebe, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass der Rest der Welt ein grundsätzlich falsches Bild von diesem Land hat – zumindest was das Thema Alkohol angeht. Wenn etwa Engländer an Deutschland denken, sehen sie immer noch überquellende Bierkrüge und die Exzesse auf dem Oktoberfest. Dabei ist das öffentliche Trinken in meinem Heimatland eher ein rüpelhaftes Saufen, bei dem diverse Körperflüssigkeiten auf den Straßen verteilt werden. Die Fähigkeit der Deutschen, abends im Park entspannt und vernünftig ein Bier zu trinken, erscheint mir oft wie ein Hippie-Paradies. Wie lässt sich das erklären?
Ich war 14 Jahre alt und Austauschschülerin in einer badischen Kleinstadt, als mir die Gasteltern auf einer Grillparty ein Radler anboten. Wo ich herkomme, war Alkohol in den meisten Familien ein Tabuthema und strengstens verboten. Es hatte an diesem Abend also sofort etwas Aufregendes, meine eigene Entscheidung treffen zu dürfen und für die Konsequenzen verantwortlich zu sein, zudem in einer sicheren Umgebung. Ich begann mich dann zu fragen, ob dieses begleitete Trinken nicht der bessere Ansatz sei.
Gerade deswegen habe ich die Äußerungen von Burkhard Blienert (SPD) im Interview mit der Welt mit einigem Befremden gelesen. Der Bundesdrogenbeauftragte will das Mindestalter für den Alkoholkonsum in Deutschland auf 18 Jahre anheben; dass dieses noch bei 14 Jahren liege (wenn auch nur für Bier und Wein und in Anwesenheit eines Erwachsenen), finde er „unvernünftig“; er habe „viele medizinische Argumente“ dagegen gesehen. Welche? Das hat er nicht gesagt. In den meisten Fällen werden Eltern von Teenagern Blienert eines bestätigen können: Das, was für Jugendliche pauschal verboten ist oder ihnen unzugänglich gemacht wird, erscheint ihnen gerade deswegen nur noch interessanter. Das Austauschgrillen mit Radler auch für 14-Jährige endete bei mir übrigens nicht im Rausch. Es blieb bei einer Flasche.
In England feierten viele meiner Klassenkameraden schon im Alter von 13 Jahren wilde Wochenendpartys, auf denen sie literweise Alkopops tranken, die geschmacklich von den Limonaden der Kindheit kaum zu unterscheiden waren. Einmal mussten Sanitäter gerufen werden, um den Magen einer Klassenkameradin auszupumpen.
Härtere Einschränkungen senken nicht den Konsum
Blienert findet, „das sogenannte begleitete Trinken“ sei unpassend für Jugendliche. Das Argument, dass Trinken im Beisein der Eltern sicherer sein und ein vernünftiges Trinkverhalten fördern könnte, sieht er wohl nicht. Dabei zeigen doch Beispiele aus dem Ausland, dass der übermäßige Konsum von Alkohol und anderen Drogen durch härtere Einschränkungen nur selten sinkt. Die Entkriminalisierung aller Drogen in Portugal von 2001 war etwa nur deswegen so erfolgreich, weil dadurch sämtliche Gespräche über Drogenabhängigkeit und -missbrauch entstigmatisiert werden konnten, sagen viele Experten.
Umso wichtiger ist es, dass Jugendliche über Alkohol offen sprechen können, denn in einem Punkt gebe ich Blienert recht: Alkohol ist zwar ein oft angenehmer Begleiter, kann aber auch extrem schädlich sein. Es ist wichtig, dass man seine eigenen Grenzen kennt. Und gerade in der Jugend geht es doch darum, in Selbstverantwortung herauszufinden, wo diese Grenzen liegen. Es gibt einfach keine bessere Zeit zu lernen, dass Alkohol - wie alle schädlichen Dinge, die auch Spaß machen können - am besten in Moderation zu genießen ist.
Was in Deutschland für Jugendliche ab 14 Jahren gilt, gilt erst ab 16 für die Briten – und zwar ausschließlich während einer Mahlzeit. Was aber der wohl größte Unterschied zwischen der deutschen und der britischen Trinkkultur ist: Deutschland zeigt sich bereit, Jugendlichen selbst einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zuzutrauen, hier wird niemand bevormundet. Meine Bitte an Burkhard Blienert lautet daher: Machen Sie jetzt keine Rolle rückwärts.


