Mein Großvater war Jahrgang 1902. Ein hagerer Mann, der zwei Weltkriege und die Küche des Wirtschaftswunders überlebt hat. Umgebracht haben ihn schlussendlich die Drogen des kleinen Mannes: Zigaretten und Alkohol. Seine erste Kippe rauchte er mit zehn, sein erstes Bier trank er nicht viel später. Er bekam es von seinem Vater in die Hand gedrückt. Da war mein Opa vielleicht zwölf oder 13 Jahre alt, und bis heute hat sich an diesem Initiationsritus in Deutschland kaum etwas geändert.
Erwachsenwerden wird hierzulande immer noch mit Rausch gleichgesetzt, Kinder werden zu Teenagern mit dem ersten Suff. Ich hatte meinen mit 15 auf einer Kellerparty, es gab giftig grüne Cocktails, so giftig wie die Farbe meines Erbrochenen. Ich habe danach jahrelang keinen Alkohol mehr angerührt. Aber wenn ich gewollt hätte, wäre es kein Problem gewesen: Es gab Alkohol daheim, es gab ihn auf Schulfesten und Partys. An den Spätis meiner Heimatstadt erstand ich mit 15 ohne Probleme Zigaretten, fünf Stück für 1,50 D-Mark, und genauso problemlos hätte ich dort Alkohol kaufen können, Korn in kleinen Fläschchen, Bier oder Rum-Cola, bereits gemixt in der Dose.
Dabei, das weiß man schon seit vielen Jahren, kann Alkohol bei Kindern im Wachstum zu Schäden im Gehirn führen und die körperliche und geistige Entwicklung in der Pubertät nachhaltig beeinträchtigen. Doch während beim Tabakkonsum mittlerweile ein Umdenken erfolgt, Länder wie Australien eine Null-Toleranz gegenüber Zigarettenverkauf und Konsum anstreben oder die Preise für Tabak deutlich angehoben haben wie Großbritannien, scheint Alkohol und der damit verbundene Rausch zumindest in Deutschland immer noch als Kavaliersdelikt zu gelten. Wenn überhaupt. Als Eintritt in die Welt der Erwachsenen ist Alkohol hierzulande immer noch ein probates Mittel.
In der Pandemie hat der Alkoholkonsum zugenommen
Es beginnt mit dem Nippen am Glas der Eltern oder dem ersten Bier mit dem Vater. Doch dass softer Alkohol, also Wein oder Bier, eine Einstiegsdroge sein kann und oft der Weg zum Konsum von harten Spirituosen ist, wird hierzulande selten thematisiert. Hinzu kommt, dass bei Jugendlichen mit einem geringeren Körpergewicht der Alkohol stärker wirkt und es wesentlich schneller zu einer Alkoholvergiftung kommen kann als bei einem Erwachsenen.
Das alles ist bekannt, und doch scheint sich im Bewusstsein der Gesellschaft in Bezug auf den Alkoholkonsum der Jugendlichen nicht besonders viel zu ändern. So sind die Zahlen, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema Alkoholkonsum bei Jugendlichen ausweist, zwar rückläufig, aber die Studienergebnisse zeigen, dass immerhin noch „8,7 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren regelmäßig, also mindestens einmal wöchentlich, Alkohol konsumieren“. Der Anteil der Jugendlichen, die sich in der Studie von 2019 bei Erhebung der Daten im Monat zuvor „in einen Rausch getrunken“ haben, ist mit aktuell 13,6 Prozent seit mehreren Jahren relativ konstant.
Dazu kommt aktuell noch erschwerend, dass der Alkoholkonsum durch alle Altersschichten hindurch während der Pandemie zugenommen hat. Warum also nicht das Mindestalter für den Verkauf und Konsum von Alkohol auf 18 Jahre anheben? Natürlich ist das keine echte Hürde, wenn man sich betrinken will, aber es wäre schon mal das eindeutige Signal einer reifen und aufgeklärten Gesellschaft, der der Schutz ihrer nachrückenden Generationen wirklich am Herzen liegt. Immerhin steht nirgends geschrieben, dass der Alkoholkonsum ein Grundrecht ist und schon mit 14 zu ermöglichen sei. Bei Zigaretten ist das ja auch nicht so. Aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ein Umdenken beim Thema Alkohol einsetzt. In bestimmten Bereichen lässt sich der Deutsche eben immer noch sehr ungern reinreden: bei seinem Fleischkonsum, seinem Auto und leider auch bei seinem Trinkverhalten.


