Berlin-Bernhard Paul steht mit ausgebreiteten Armen vor dem Tempodrom. „Jetzt geht’s wieder los!“, sagt er. Der 74-jährige Zirkusdirektor ist umgeben von glitzernden Weihnachtsbäumen und einer Kasse im Stil einer alten Kutsche – nach der coronabedingten Zwangspause im vergangenen Jahr ist sein Circus Theater Roncalli für die 17. Ausgabe seiner Weihnachtsshow zurück im Berliner Kulturkalender. Im Tempodrom laufen die letzten Proben, Lichtchecks und Vorbereitungen für den Rückkehr einer Berliner Weihnachtstradition.
Am Donnerstag, dem letzten Probetag vor der Premiere am Freitag und der ersten regulären Vorstellung an diesem Sonnabend, liegt ein Gefühl der Vorfreude in der Luft. Dazu die Aufregung und eine hektische Energie während der letzten Vorbereitungen für die bald beginnende Show. Bernhard Paul sitzt jetzt auf seinem Regiestuhl und gewöhnt sich nach zwei Jahren Abwesenheit langsam an die neue Realität. „Es ist so, als ob man zwei Jahre im Warteraum im Flughafen sitzt und die Anzeigentafel ist kaputt“, sagt er. „Aber jetzt haben wir zumindest die Abflugzeiten – auch wenn wir noch nicht wissen, ob die Ankunft funktioniert.“
Tägliche Tests für Künstler und Crew, Maskenpflicht fürs Publikum
Bis zum Aufbau der Bühne im Tempodrom sei es für die Roncalli-Truppe nicht sicher gewesen, ob ihre Show überhaupt stattfinden dürfte, sagt Paul. Nach fast zwei Jahren halsbrecherischer Entscheidungen und Absagen für die Kulturbranche könne man sich auf nichts mehr verlassen. „Aber jetzt haben wir ein gutes Gefühl, bisher hat niemand Nein gesagt“, sagt Paul etwas erleichtert. „Also lass den Countdown beginnen!“
Die Vorfreude ist nicht nur für ihn und seine Artisten groß, sondern auch für das Publikum. „Ich spüre einen gewissen Hunger, dass die Leute wieder ein Live-Erlebnis wollen“, sagt Bernhard Paul. „Nach zwei Jahren Pandemie, Wahlkampf und so weiter wollen die Leute mal wieder rausgehen. In Berlin gab es immer einen Zirkus zu Weihnachten. Den sollte es auch in diesem Jahr geben, auch unter den Umständen, denen wir ausgesetzt sind.“

Regelmäßige Besucher des Weihnachtscircus Roncalli werden in diesem Jahr Unterschiede feststellen. Es gelten 2G+-Bedingungen, und für alle erwachsenen Zuschauer besteht Maskenpflicht, auch auf den Sitzplätzen, draußen vor dem Tempodrom sind mehrere Testzelte errichtet worden. Auch die Arena kann nicht voll besetzt werden – von den normalerweise maximal 4000 Plätzen werden 1850 belegt sein. Die Künstler und ihre Crew führen alle täglich Schnelltests auf Corona durch, die sie von der Maskenpflicht auf der Bühne befreien.
Außerdem kann man immer noch von dieser Truppe, die 1976 unter der Leitung von Bernhard Paul ihre Premiere feierte, ein Spektakel mit Tanznummern, Akrobatik, Zirkusklassiker wie Jonglage und Clowns erwarten – und sich auch auf eine Zaubershow des Berliner Magiers und Illusionisten Peter Valance freuen. Als eine der bekanntesten Persönlichkeiten aus der Welt der Zauberkunst war Valance bereits vor 15 Jahren Teil einer Roncalli-Tournee, 2021 bringt aber seinen ersten Auftritt im Rahmen des Weihnachtscircus – und er verspricht seinem Publikum eine „sehr besondere“ Show. „Wir Künstler freuen uns alle wirklich sehr, dass es dieses Mal geklappt hat“, erzählt der 41-jährige.
Internationale Künstler waren eine Herausforderung
Ab Mai 2020 trat Valance während eines siebenmonatigen Vertrages täglich im badischen Europapark auf – bis im November der sogenannte Lockdown light kam. Danach saß er bis März 2021 zu Hause – jetzt sagt er aber, er sei eigentlich froh, diese Zwangspause in seinem sonst so hektischen Leben als Künstler gehabt zu haben. „Ich habe an neuen Nummern geübt, an neuen Grundstücken gearbeitet. Das hat man sonst als Künstler nie“, sagt er. „Man ist die ganze Zeit unterwegs und lebt von einem zum anderen Vertrag. Es war irgendwie auch wirklich schön, Zeit für diese kreative Phase zu haben.“
Peter Valance gibt zu, dass die Maskenpflicht für das Publikum die Atmosphäre der Show schon beeinflussen wird: „Man sieht keine Reaktionen, du siehst die Leute nicht lächeln oder auch, wenn sie komplett erstaunt sind“, sagt er. Aber er ist überzeugt, dass er und seine Mitdarsteller einen Weg finden werden, damit umzugehen: „Vielleicht muss man selbst ein bisschen mehr Emotion reinlegen – ich bleibe trotzdem gespannt!“, sagt er. Aufgrund der Corona-Maßnahmen im Tempodrom muss Valance einige seiner üblichen Nummern anpassen – ins Publikum zu gehen, um einige seiner Zaubertricks vorzuführen, zum Beispiel, geht zurzeit nicht. Aber das Element der Interaktion mit dem Publikum wird es immer noch geben, wenn auch andersrum: Valance darf einzelne Zuschauer, die noch immer Masken tragen müssen, auf die Bühne einladen, um bei zwei Nummern mitzumachen.

Eine weitere Herausforderung für den Weihnachtscircus in diesem Jahr war nicht zuletzt die Tatsache, dass viele internationale Künstler die Besetzung der Show ausmachen, wie zum Beispiel die Sprungartistik-Gruppe Jump’n’Roll aus Russland oder das Akrobatenpaar Human Flag aus Kanada. Doch wie durch ein Wunder haben sie es alle nach Berlin geschafft, sagt Bernhard Paul. Die Show konnte nur durch die harte Arbeit und das Engagement der Darsteller und der Crew zustande kommen. „Das ist wirklich ein unglaublicher Zusammenhalt. Hier sind wir wirklich wie eine Familie.“
45 Jahre Circus Theater Roncalli
Im April 2021 feierte das Circus Theater Roncalli 45 Jahre seit seiner allerersten Show. Eine beachtliche Leistung im Showbusiness – was Bernhard Paul nur zu gut weiß. „Was wir machen, ist etwas, was es immer weniger gibt“, sagt er. „Wir haben es geschafft, den Sprung in ein modernes Zeitalter zu leisten – das Publikum ist unser Chef und wir machen ständige Kurskorrekturen.“ Dazu gehört, dass der Circus Roncalli seit 2018 nicht mehr mit Tieren arbeitet – und ganz zeitgemäß sind seine Shows jetzt auch plastikfrei.
Es ist genau diese Anpassungsfähigkeit, der Bernhard Paul es zuschreibt, dass die 300 Jahre alte Tradition des Zirkus heute bei Roncalli weiterleben kann, auch in Corona-Zeiten. Er bedauert, dass seine Truppe im Gegensatz zu kulturellen Einrichtungen wie Theatern oder Opernhäusern keine staatlichen Subventionen während der Pandemie erhalten hat. Aber er lässt sich trotzdem nicht beirren. „Der Zirkus musste immer einen Weg finden, weiterzumachen, auch ohne Pandemie“, sagt Paul. „So hat er Kriege, Katastrophen, die Spanische Grippe und alles Mögliche überlebt. Auch jetzt sagen wir: The show must go on!“
Der Weihnachtscircus Roncalli findet zwischen 17. Dezember 2021 und 2. Januar 2022 in der Großen Arena des Berliner Tempodroms (Möckernstraße 10, 10963 Berlin) statt. Eintrittskarten kosten zwischen 28,20 € und 77,76 € und sind unter www.tempodrom.de erhältlich.
