Liebe und Sex

Dem Partner seine Liebe zu gestehen, ist kein Zeichen von Schwäche

Wer sich Zuneigung wünscht, gilt oft als schwach. Doch das stimmt nicht! Wer „Ich liebe dich“ sagt, beweist Mut. Ein Plädoyer für mehr Ehrlichkeit.

Einfach mal „Ich liebe dich!“ sagen und sich abhängig machen, empfiehlt unsere Autorin.
Einfach mal „Ich liebe dich!“ sagen und sich abhängig machen, empfiehlt unsere Autorin.Stefanie Roehnisch

Liebe und Husten lassen sich nicht verbergen. Das behauptet jedenfalls ein deutsches Sprichwort. Merkwürdigerweise fragen sich heutzutage aber ziemlich viele Menschen, ob sie wirklich geliebt werden. Selbst ein gemeinsames Leben, Kinder oder gar eine Hochzeit können diese Zweifel oft nicht ausmerzen. Was ist da los?

Entweder sind diese Skeptiker alle gefühlsblind, oder die Liebe lässt sich in Wahrheit sehr wohl verbergen, ja mehr noch: regelrecht verleugnen. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis so umhöre, meine ich sogar, dass sich die Liebe besonders in Langzeitbeziehungen gut verbergen lässt. Nicht selten so lange, bis die Partner sie auch bei sich selbst nicht mehr finden können.

In modernen Beziehungen soll man unabhängig bleiben

Zum Beispiel erzählte mir meine seit über zehn Jahren verheiratete Freundin neulich, dass sie nicht glaube, dass ihr Mann sie liebe. Zumindest sei sie sicher, dass sie ihn mehr liebe als er sie. Das sei schon von Anfang an so gewesen. Mittlerweile sei sie diese Rolle einfach leid und habe deswegen beschlossen, in Zukunft weniger in die Beziehung zu investieren. „Ich bleib jetzt mehr bei mir!“, erklärte sie trotzig. Als hätte das Herz einen Dimmer, mit dem sich die Liebe nach Lust und Laune anpassen lässt.

Was wäre, wenn wir jeden Tag Sex hätten?

Von Pelén Boramir-Nabbs

07.08.2021

In unserer postmodernen Gesellschaft gilt der Akt des Liebens vielen als Schwäche, weil er verletzbar und abhängig macht. Das oberste Gebot moderner Beziehungsdynamiken ist, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren, am besten auch finanziell, in jedem Fall aber emotional. Der einzig mögliche Weg für eine funktionierende Beziehung unter diesen Voraussetzungen ist der Tausch gegen adäquate Gegenliebe oder Verbindlichkeiten, die zumindest dahingehend beruhigen, dass der andere irgendwie auch mit drin hängt, also ebenso abhängig ist.

Aufgrund der kapitalistischen Kosten-Nutzen-Analyse ihrer Gefühlswelt wähnt meine Freundin sich somit zunehmend in einer ungünstigen Position, wenn sie immerfort mehr investiert, als sie herausbekommt. Sie steht quasi kurz vor der Liebes-Insolvenz und versucht, durch den Rückzug ihr Ego zu retten oder besser gesagt, ein Machtgefüge wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Diese Strategie, nämlich der anderen Person nicht genug Liebe zu schenken, indem man sein eigenes Herz verschlossen hält, um den Machterhalt zu garantieren, ist durchaus beliebt – so lässt sich eine Illusion von Freiheit und Unabhängigkeit aufrechterhalten.

Liebe kann nicht durch Selbstliebe ersetzt werden

Leider schadet eine eher untertourige Performance in Sachen Liebe nicht nur dem Partner, sondern am meisten uns selbst. Wer so tut, als sei das Herz ein Liebesautomat, der maximal das ausspuckt, was man als Gegenwert in ihn hineingesteckt hat, muss sich Angst vor Zurückweisung und Kontrollverlust eingestehen.

Die vermeintlich unangemessene Bedürftigkeit nach mehr Liebe gilt als maximal unattraktiv und rangiert unter den Todsünden des modernen Liebesideals ganz oben auf der Liste. Gilt die Unsicherheit, ob man angemessen zurückgeliebt wird, zu Beginn von Liebesgeschichten noch als Motor für ekstatische Gefühlseruptionen, so wirkt sie in gefestigten Beziehungen eher erbärmlich.

Reflexhaft fordert der gemeine Küchenpsychologe die schonungslose Introspektion, nicht selten wird suggeriert: Der armen Beziehungsdumpfbacke, die zu viel liebt, fehlt es an Selbstwertgefühl. Man ist also selbst schuld (oder die Eltern), wenn man sich in einer Beziehung zu wenig oder ungeliebt fühlt. Doch der Glaubenssatz der modernen psychoanalytischen Theorie lautet: Emotionaler Hunger kann nie von anderen gestillt werden.

Für alle, die sich schlecht fühlen, weil es ihnen nicht gelingt, Selbstliebe aus dem luftleeren Raum zu gewinnen, findet die israelische Soziologin Eva Illouz  in ihrem Buch „Warum Liebe weh tut“ beruhigende Worte.

Sie stellt klar: „Ein solcher Rat – ersetze Liebe durch Eigenliebe! – leugnet den grundlegenden und essentiellen Charakter des Selbstwerts. Er verlangt von den Akteuren, etwas zu erzeugen, was sie aus eigenen Kräften nicht erzeugen können.“ Weil wir alle soziale Wesen sind, ist uns die Abhängigkeit von anderen Menschen schon eingeschrieben. In dem Bedürfnis nach Liebe steckt also keine pathologische Unzulänglichkeit, sondern viel mehr der Wunsch, unser Selbst und unseren Wert bestätigt zu finden. „Die romantische Liebe wertet das Selbstbild durch die Vermittlung des Blicks eines anderen auf“, schreibt Illouz. Auf große Gefühle zu hoffen, indem man aus Machtgründen seine eigenen untergräbt, sei Verrat an der geliebten Person.

Die Liebe zu Kindern als Vorbild für Beziehungen

Wie absurd die Vorstellung ist, durch emotionalen Rückzug die eigene Machtposition zu verbessern, können wir in einem anderen Liebesmodell erkennen: in der Liebe zu unseren Kindern. Kein Elternteil würde sich seinem Kind gegenüber eine Liebesdiät verordnen, weil es zum Geburtstag wieder nur ein selbstgemaltes Bild gab oder es den Schokokuchen nicht teilen will. Bei Kindern steht außer Frage, dass der beste Nährboden für ihre Entwicklung ausufernde Liebe ist. Das ist so gewiss, dass kein Erziehungsberechtigter von Überforderung oder Überlastung berichten kann, ohne den Satz vorweg zu schieben: „Ich liebe meine Kinder, aber …“.

Wir können in einer gesunden Beziehung zu unseren Kindern deswegen so in Liebe aufgehen, weil wir sie nicht mit der Idee von Macht vergiften. Wieso nur sind wir so überzeugt, dass unsere Liebesbeziehungen wachsen, wenn wir ihren Nährboden verseuchen? Die Antwort ist natürlich: Angst. Durch die Drosselung unserer Gefühle glauben wir, auch das Ausmaß an Leid kontrollieren zu können, wenn wir z.B. verletzt werden. Aber Liebe ist auch Leid und braucht mitunter heldenhaften Mut. Wir müssen uns todesmutig ganz und gar zeigen. Wenn es schon mutig sein soll, mal einen anderen Käse auszuprobieren, sind wir mit der Liebe wahrlich am Ende.

Meine Freundin müsste also richtig mutig sein und sich von dem Machtgedanken in der Liebe verabschieden. Sie könnte dann viel freier lieben und bräuchte ihre Gefühle nicht verbergen, denn schon Nietzsche wusste, dass der bloße Akt des Liebens die Lebensenergie steigert. Statt ihre eigene Liebe also zu begrenzen, könnte meine Freundin mit ihrem Mann ganz offen reden und sich bei dem Versuch, die Liebe in ihrer romantischen Beziehung zu bergen, an das halten, was der Begründer der modernen Psychotherapie, C.G. Jung, feststellte: Wo die Liebe herrscht, da gibt es keinen Machtwillen.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.