Ende August habe ich mal wieder diesen einen perfekten Abend: Im Club, die Musik ist laut und gut, knutsche ich mit T., einem alten Bekannten, der mir unmissverständlich zeigt, dass er mich scharf findet. Er riecht gut und küsst noch besser. Auf dem Weg zu T.s Wohnung habe ich aufregende Bilder im Kopf von dem, was jetzt kommen soll: Sequenzen von zerwühlten Laken, die Dynamik zwischen zwei Körpern, Rhythmus, Ekstase. Ich denke schon jetzt darüber nach, wie ich Freundinnen und Freunden davon erzähle.
Meine heimliche Leidenschaft für cheesy Romcoms und Serien hat wohl großen Einfluss auf diese Bilder. Während wir uns ausziehen, fühle ich mich wie Samantha aus „Sex and the City“. Ich bin selbstsicher, begehrenswert und weiß, was ich will.
Im Bett dann hinkt die Realität meinen Erwartungen hinterher: Fruchtlose Versuche, T.s Finger anzuleiten, unbequeme Verrenkungen, und die Bettdecke ist auch ständig im Weg. Die Erfüllung meiner Phantasie rückt in weite Ferne. Ich bleibe unbefriedigt und auch ein bisschen gelangweilt zurück.
In meinem Kopf spinne ich mir sexuelle Abenteuer zusammen
Was ich in meiner Euphorie vergessen hatte: Sexuelle Abenteuer mit Menschen, die man nicht gut kennt, scheitern gerne an den eigenen Vorstellungen und den Schwierigkeiten der Kommunikation. Ich verspreche mir überraschende, lustvolle Ereignisse, Berührungen, nach denen ich süchtig werden kann und einen ordentlichen Ego-Booster. Stattdessen: Unsicherheit in Bezug auf meine eigene Performance und das Gefühl, dass etwas fehlt.
Trotzdem. Bloß nicht aufgeben. Mit Blick auf den nahenden Pandemie-Winter sammle ich die letzten Gelegenheiten spontaner Begegnungen. Ich treffe alte Freunde, mache neue Bekanntschaften. Sie sind lustig, attraktiv und ihre Küsse versprechen mehr. Aber jedes Mal kollidiert meine Erwartung mit der Realität fremder Betten und Körper. Mal kriegt einer keinen hoch, mal sprintet jemand Richtung Orgasmus, mal verhindert meine Unsicherheit ein vollständiges Einlassen auf die Situation. Zum Sex gehören ja meistens zwei, merkt ein Freund an, mit dem ich meine Dates analysiere. Und fügt ein resigniertes ‚Leider!‘ hinzu.
Im späten Herbst dann pandemiebedingte Zurückhaltung. Weil ich mich nach Abwechslung sehne, erstelle ich mal wieder ein Profil bei Tinder. Es soll selbstbewusst sein und einen Hauch ironisch. Nach einer Stunde habe ich acht Matches, nach drei sind es 21. Mein Ego ist auf einem Höhenflug, mein analysierender Freund beeindruckt. Ehrgeizig verbringe ich den Abend damit, die Chats zu koordinieren, geistreiche Nachrichten zu formulieren und ein möglichst positives Bild zu zeichnen. In meinem Kopf spinne ich mir sexuelle Abenteuer und neue Erfahrungen mit diesen fremden Männern zusammen.
Ich entscheide mich für einen Druckwellenvibrator
Am dritten Tag auf Tinder bin ich genervt: Ich glaube nicht an eine Attraktivitätssteigerung durch Informationen, was man am Tag gemacht hat und wie man das Wetter findet. Immer die gleichen Fragen, immer die gleichen Bilder. Die Chat-Gespräche ziehen sich, zwei haben das Match schon aufgelöst. An Tag vier deaktiviere ich trotzig mein Profil. Ich kann auch ohne Dates, beschließe ich, stattdessen gibt es Schokolade und Winterschlaf.
Die Resignation hält nicht lange. Der Winter wird noch ewig dauern. Wenn ich die ganze Zeit zuhause bleiben muss, denke ich, will ich mit mir selbst andere Sphären entdecken. Ich radle zu einem feministischen Sexladen, in der Tasche mein Weihnachtsgeld, das hier sinnvoll in mein Vergnügen investiert werden soll.
Im Laden entscheide ich mich für einen Druckwellenvibrator. Ich erinnere mich an Freundinnen, die für diese Technik schwärmen, und an den medialen Hype, den die erste Version 2016 losgetreten hatte. Von einer Revolution auf dem Markt für Sexspielzeuge wurde da gesprochen, Orgasmus-Garantie und Luststeigerung inbegriffen.
Muss ein Orgasmus überhaupt sein?
Zuhause begutachte ich das Gerät aus samtigem Silikon. Das Design hat laut der Labels auf der Verpackung viele Preise bekommen. Ich habe mich für die „Traveler“-Version entschieden, die man mit passendem Deckel diskret in der Tasche mitnehmen kann. Während ich zuhause im Bett liege, stelle ich mir vor, wie ich mit meinem Vibrator um die Welt jette, von Termin zu Termin, super erfolgreich, und unterwegs die kurze Auszeit: Orgasmen in weniger als 5 Minuten, verspricht die Werbung. Samantha aus „Sex and the City“ wäre stolz auf meinen Lifestyle.
Als ich den Vibrator ausprobiere, passiert: nichts. Nach 20 Minuten bin ich verunsichert. Stimmt mit mir was nicht? Es ist irgendwie nett, aber auch irritierend. Ich hatte mich, gemäß der Lobpreisungen, auf Erlebnisse mit meinem Körper eingestellt, wie ich sie – so das Versprechen – vorher noch nie erlebt hatte.
Die Rezensionsseite von Amazon zeigt: Ich gehöre wohl zu dem verschwindend geringen Prozentsatz an Menschen, die von Druckwellenvibratoren völlig unbeeindruckt bleiben. Je länger ich mir die Kommentare durchlese, desto mehr arrangiere ich mich damit. Warum, frage ich mich, muss es überhaupt ein Orgasmus und der auch noch immer intensiver und schneller sein?
Der Anspruch und das Scheitern
Mir schwant, dass ich in Sachen Sex und Dates einem kaum erreichbaren Versprechen aufsitze – und daran kontinuierlich scheitere. Immer mehr erwarten, immer besser werden: Klingt nach Neoliberalismus. Was da gesellschaftlich und kulturell in Aussicht gestellt wird, kommt erstmal als höchst erfüllend daher, es geht schließlich um Gewinn und Steigerung. Und das betrifft auch das Sexleben: Lustvoll, aufregend und abwechslungsreich soll es sein und zu Begehren, Anerkennung und Selbstwert führen.
Um das zu erreichen, kann man so einiges tun: Ein luststeigerndes Gerät kaufen, Substanzen nehmen, die den Körper in Fahrt bringen, oder Unterwäsche kaufen, die einen sich sexy und attraktiv fühlen lässt. Geht es um die Verbesserbarkeit in Sachen Sex und Dates, sind für die Arbeit am Selbst kaum Grenzen gesetzt: Ratgeber lesen, Podcasts hören, sich in den sozialen Medien inszenieren, ein Tinder-Profil erstellen. Und über all dem steht die Vorstellung, dass Sex jedes Mal ein noch aufregenderes, noch intensiveres Erlebnis wird.
Die Kehrseite der Medaille ist der stete Erfüllungsdruck: Performance, Leistung und Genuss sollen stimmen, befriedigt und am besten noch maximiert werden. Immer bleibt ein Mangel zurück, denn es ist noch viel Luft nach oben. In einem solchen Anspruch ist das Scheitern schon angelegt. Da bleibt kein Platz für Resignation oder für das Eingeständnis, dass Gewohnheit und Routine auch okay sein können. Dabei weiß man dann, was kommt, und spart sich den Stress der ständigen Überbietung.
Deswegen habe ich mir überlegt: Mein Winterschlaf steht ab jetzt im Zeichen von Mittelmaß und Banalität. Mit meinem zweckundienlichen Vibrator und meinen zukünftigen Dates werde ich das zelebrieren. Unaufgeregt und vorhersehbar. Und warum auch nicht? Schöner scheitern, das ist die Devise.


