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Bushido-Doku auf Amazon: „Alles, was ich kann, ist gut reden“

Das „Unzensiert“ im Titel der Doku bezieht sich vor allem auf Kraftausdrücke. Trotzdem lohnen sich die sechs Stunden Familiendrama.

Immer wieder sah es bei den beiden so aus, als müssten sie sich trennen und sind doch in der Amazon-Doku das Dreamteam: Anna-Maria und Anis Ferchichi.
Immer wieder sah es bei den beiden so aus, als müssten sie sich trennen und sind doch in der Amazon-Doku das Dreamteam: Anna-Maria und Anis Ferchichi.Content Factory/Amazon Prime

Berlin-Das Wort Stolz bleibt besonders lange hängen nach sechs Stunden Bushido-Dröhnung. Ganz zu Beginn der ersten Folge der Dokuserie „Unzensiert“ (Amazon) über den Rapper Bushido benutzt es der Sänger selbst, aber als Komparativ, so wie er immer mit Worten spielt: „Ich wäre stolzer, wenn dieser ganze Scheiß nicht passiert wäre.“ Und ganz am Ende der sechsten Folge antwortet auch Anna-Maria Ferchichi, Bushidos Frau, ausweichend auf die gleiche Frage: Stolz sei das falsche Wort, sagt sie. Und dann: „Aber das ist jetzt die Scheißsuppe, die du selbst auslöffeln musst.“

Es geht dabei übrigens nicht um die Anklage wegen Brandstiftung in Kleinmachnow, der dem Rapper seit gestern von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wird. Das Haus wird in der Serie mehrfach erwähnt, eine Brandstiftung war dort nicht Thema. Beide eingangs erwähnte Szenen sind kurz vor dem Beginn des Prozesses gegen Arafat Abou-Chaker und seine drei Brüder aufgenommen worden. Bushido ist Nebenkläger in einem Prozess, der im August 2020 am Landgericht Moabit begann und noch immer andauert. Es geht darum, wie der Rapper in die Fänge der Bandenkriminalität geriet und, als er sich befreien wollte, wie er und seine Familie mit dem Tod bedroht wurden. An mehr als 20 Prozesstagen hat der Vorsitzende Richter sich die Version angehört, diese schön gefilmte Doku erzählt grob noch einmal nach, was im Gerichtssaal verhandelt wurde: das Kennenlernen, die Erpressung, die Freundschaft, das Ende mit einem großen Streit im Januar 2018.

Doch eine Enttäuschung wird schnell deutlich: „Unzensiert“ bezieht sich vor allem auf die Kraftausdrücke, die im Hause Anis Ferchichi, so der bürgerliche Name Bushidos, verwendet werden. „Dieser Wichser mit seinen Scheißbrüdern kackt auf mich“ ist noch eine der harmlosen Beleidigungen. Man kann sagen: Bushido ist wirklich wütend auf seinen ehemals besten Freund. Interessant wäre es vor allem gewesen, ganz „unzensiert“ noch mehr aus der Gangsterwelt zu erfahren und warum diese für rund 15 Jahre so anziehend für den Rapper war. Doch bis auf einen Polizisten, der immer wieder von den „ABC-Brüdern“ spricht, wird diese Seite ausgeblendet, offenbar auch, damit der laufende Prozess nicht gestört wird. 

Die Crew rund um den Bild-Reporter Peter Roßberg will viel erreichen in diesen sechs Stunden: Sie stellen das komplizierte Firmengeflecht vor, gehen tief in die Steuerhinterziehungsdebatte, zeigen berührende Momente beim Familienurlaub in Thailand und Bushido beim Dreh in Japan. Ganz nebenbei porträtieren sie den Berliner Rap-Underground, der durch Bushido zum Mainstream wurde: Sido, Frauenarzt, Capital Bra, Unterleib Dynamo, Haftbefehl und King Orgasmus One, der sich - ganz im Ernst - von allen „Orgi“ rufen lässt.

Sex auf dem Klo während der Bambi-Verleihung

Nicht alle sind noch gut auf Bushido zu sprechen und es gehört auch zu den Leistungen der Doku, dass sie einfach draufhält, wenn schmierige Plattenbosse Sätze sagen wie: „Es hat dann von Seiten der anderen Rapper Ressentiments gegeben und da konnte ich den Call nicht machen.“ Bushido verlor also viel Geld und - wie er später sagt - fast alle Freunde, weil er zur Polizei gegangen ist, als Arafat und seine Brüder ihn bedrohten.

Trotz des an sich düsteren Stoffs, der ständigen angedeuteten Bedrohung von echten Gangstern, ist es eine sehr leichte Doku geworden und das liegt vor allem an den beiden „Hauptdarstellern“, wie sie auf der Amazon-Seite wirklich genannt werden. Anis und Anna-Maria Ferchichi sind Kameras offenbar so gewöhnt, dass sie kaum etwas für sich behalten können: Weder, wo sie ihr erstes gemeinsames Kind gezeugt haben („wahrscheinlich auf dem Klo während der Bambi-Verleihung“) noch, wie Anna-Maria im Ferienhaus herumläuft („nur im Tanga“) oder, welches Eis Bushido am liebsten isst („Viennetta, da kriegt Anna-Maria nur einen Löffel von“).

Unklar bleibt, warum die Kinder unverpixelt gezeigt werden, wenn allen Beteiligten doch deren Wohlergehen so am Herzen liegt? Dass fast sämtliche Zeitungsausschnitte aus der Bild entnommen sind, lässt die Serie nach ihrem großen Julian-Reichelt-Porträt vom vergangenen Jahr fast wie eine Kooperation wirken. Und manchmal hätte man sich gewünscht, die Regisseure hätten ihre Protagonisten auch ein bisschen vor sich selbst geschützt: Wenn Bushido in seiner protzigen Villa steht und sagt, dieses Haus bringe „schlimme Erinnerungen“, und wenn Anna-Maria zu weinen beginnt, weil sie jetzt abends nicht mehr auf „ihrem Pferd reiten kann, wie früher“, dann sind ihnen das Augenrollen der Republik sicher. Anna-Maria wörtlich mit erstickter Stimme: „Egal, wie viel Geld wir haben, und wir haben viel Geld, es spielt keine Rolle.“

Wer mehr über die Berliner Rap-Szene und das Familienleben einer reichen, gut aussehenden Familie herausfinden will, wird in dieser Dokumentation mit dem Untertitel und Deppenapostroph („Bushido’s Wahrheit“) viel lernen. Wer hinter die Kulissen der Gangsterwelt blicken wollte, muss auf die Doku warten, die dem Vernehmen nach Arafat Abou-Chaker vorbereitet. Doch Bushido hat - wie schon vor Gericht und erst neulich in „Chez Krömer“ - unter Beweis gestellt, was er in der letzten Folge der Doku zugibt: „Alles, was ich kann, ist gut reden.“

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.