Für & Wider

Pro & Kontra: Darf man das N*-Wort sagen?

Annalena Baerbock hat sich entschuldigt, weil sie das N*-Wort benutzt hat. War das richtig? Gibt es Kontexte, in denen man es sagen darf? Ein Pro und Kontra.

Annalena Baerbock hat das N*-Wort benutzt. War es richtig, dass sie sich entschuldigt hat?
Annalena Baerbock hat das N*-Wort benutzt. War es richtig, dass sie sich entschuldigt hat?AFP

Berlin-Darf man das N*-Wort benutzen? Unsere beiden Autoren streiten.

Pro (von Christian Seidl)

Nach den vielen echten und noch mehr fabrizierten Fettnäpfchen, die Annalena Baerbock durchmessen musste in den letzten Wochen, ist sie inzwischen vorsichtig, womöglich auch ein wenig paranoid geworden. So machte sie, praktisch per Selbstanzeige, einen Vorgang öffentlich, zumal entschuldigend, der an sich nicht der Rede wert wäre – so aber eine tendenziell honorige, aufklärerische Darstellung von Alltagsrassismus zum Skandalon. Was ist geschehen?

Infobox image
Berliner Verlag
Die Wochenendausgabe
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Samstag am Kiosk oder hier im Abo. Jetzt auch das neue Probe-Abo testen – 4 Wochen gratis

Am 31. Juli/1. August 2021 im Blatt: 
Vor exakt 30 Jahren wurde der Serienmörder Wolfgang S. gefasst, der als Hüne in Frauenkleidern sechs Menschen tötete. Was trieb ihn um?

Wie „grün“ sind die Wahlprogramme? Ein Klimaforscher prüft die Versprechen

Börsencrash in China: Warum die KP-Politik kalkuliert statt chaotisch ist

Ungenierter Sex im Freien: Der Tiergarten hat einschlägigen Clubs den Rang abgelaufen

Kult statt Kitsch: Warum ein Krabbencocktail einfach glücklich macht. Das Rezept der Woche









https://berliner-zeitung.de/wochenendausgabe

Die Kanzlerkandidatin der Grünen war vergangenen Dienstag in der Tachles-Arena des Zentralrats der Juden zu Gast, und in dem Gespräch über Antisemitismus und Rassismus schilderte sie unter anderem die Geschichte des Sohnes einer Bekannten: Der sollte in der Schule eine Bildergeschichte zeichnen – in der Textvorlage kam allerdings das heute weithin geächtete, weil eindeutig rassistisch konnotierte Wort „Neger“ vor. Der Junge weigerte sich, der Aufgabe nachzukommen, was ihn absolut ehrt – ihm jedoch den Vorwurf einbrachte, „den Schulfrieden zu stören“.

Ein Unding, klar – wobei das eigentliche Unding, zumindest in der digitalen Empörungsindustrie, nicht der Vorgang selbst und die besorgniserregenden Lehrinhalte zu sein scheinen, sondern der Umstand, dass Baerbock das N-Wort benutzt hat. Dies sei „niemals in Ordnung, weder als Zitat noch als Satire gedacht“, schimpfte die taz noch vergleichsweise sachlich. Wer das Wort nutze, in welchem Zusammenhang auch immer, „beleidigt, triggert und verletzt schwarze Menschen“.

Wer so argumentiert, tut so, als stecke der zivilisatorische Fortschritt etwa in der Ära des Bundespräsidenten Heinrich Lübke fest, dessen „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“ jedoch auch schon nichts als üble Nachrede war. Der Mann war seinerzeit aufgeklärter und vernünftiger als viele seiner Zeitgenossen – und umso weniger macht sich heute auch nur irgendein aufgeklärter und vernünftiger Mensch das N-Wort zu eigen. Auch Annalena Baerbock tat dies nicht, ganz im Gegenteil: Sie sprach über einen Fall von Alltagsrassismus, und sie tat dies in reflektierter und eindeutig distanzierter Weise. Und das war auch gut und richtig so, weil es noch immer viel zu viele unaufgeklärte und unvernünftige Menschen gibt, die nicht wissen oder auch nicht wissen wollen, dass die unreflektierte Verwendung des N-Worts Rassismus ist – ob in Bildergeschichten oder in Zeitungskommentaren. Und denen man das nicht oft genug sagen kann.

Amazon Prime macht sich in diesem Zusammenhang gerade mit der Serie „Them“ verdient. Erzählt wird da die Geschichte einer schwarzen Familie, in den USA der 50er-Jahre, die von einer Farm in North Carolina in die cleane Vorstadt von Los Angeles zieht, nach Compton, und dort den Horror erlebt: „No neighbours with negro blood“ steht in den Hausverträgen der weißen Anwohner – aber weil dies rechtlich nicht durchzusetzen ist, machen sie den neuen Nachbarn das Leben zur Hölle. Allein das abscheuliche Wort „negro blood“ macht einem diese Hölle von der ersten Folge an klar, und auch im weiteren spart die Serie nicht mit Unsagbarem. Sie trifft damit vollkommen akkurat den Ton der Zeit – und betreibt genau so auch die (umso mehr nach den Trump-Jahren) bitter nötige Aufklärung. Herumdrucksen bringt gar nichts.

Es ist eine große und unbedingt zu verteidigende kulturelle Errungenschaft, wenn das N-Wort in Wort und Schrift grundsätzlich mal nicht mehr gebraucht wird – genauso allerdings wie der Umstand, dass man in historischem, aufklärerischem, didaktischem Zusammenhang absolut damit arbeiten kann.

Von daher hätte sich Annalena Baerbock für nichts entschuldigen müssen. Die Verwendung des N-Worts, so schrieb sie auf Twitter, „war falsch und das tut mir leid. Denn ich weiß ja um den rassistischen Ursprung dieses Wortes und die Verletzungen, die schwarze Menschen unter anderem durch ihn erfahren“. Durch ihre unbedachte Verwendung werde das N-Wort „reproduziert“.

Was für eine interessante Logik: Man versucht, den Rassismus aus der Welt zu schaffen, indem man die Begrifflichkeiten dafür aus der Welt schafft. Das hat noch nie hingehauen. Wer nachhaltig in die Köpfe und vielleicht auch in die Geschichte dringen will, muss die Dinge beim Namen nennen.

Kontra (von Stephan Anpalagan)

Es gibt die Dinge, die macht man nicht. Man leckt am Tisch beispielsweise keine Frikadellen an, um sie zu reservieren. Und es gibt Dinge, die sagt man nicht. Weil die Worte, die man zu sagen gedenkt, unflätig („Scheiße“), beleidigend („Dummkopf“) oder beides sind („Arschloch“). Zu den Dingen, deren Ausspruch als derart unanständig und beleidigend gilt, dass es keinen Platz im öffentlichen Sprachgebrauch haben darf, gehört das sogenannte N-Wort. Sogenannt deshalb, weil „N-Wort“ nur ein Platzhalter für etwas anderes ist, von dem Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, ganz sicher wissen, was gemeint ist.

Aber warum eigentlich? Warum werden manche Beleidigungen ausgeschrieben und andere, wie beispielsweise das N-Wort, nicht?

Das Wort „Scheiße“ gilt sprachwissenschaftlich als Interjektion, also als etwas, was einem herausrutschen kann, wenn man sich versehentlich mit dem Hammer auf den Finger haut. Das Wort „Arschloch“ wiederum hat zwar einen formalen Beleidigungscharakter, ist aber derart unbestimmt, dass es sich gegen jeden nur erdenklichen Menschen richten kann, ohne Bezug auf Herkunft oder Hautfarbe. Beide Ausdrücke werden erst durch ihre vulgäre Konnotation zur Unanständigkeit, wohingegen die Synonyme „Kot“ und „After“ als medizinische Begriffe gelten.

Das N-Wort hingegen ist eine explizit rassistische Fremdbezeichnung, deren Schmähung auf die jahrhundertelange Ausgrenzung und Entmenschlichung Schwarzer Menschen verweist und sich in die Tradition der Sklaverei, der Kolonialverbrechen, der Völkerschauen und der Nürnberger Rassegesetze stellt. Es gibt, auch wenn dies häufig anders behauptet wird, keine einzige Epoche in der Geschichte dieses Landes, in dem dieses Wort nicht als Herabwürdigung gegenüber Schwarzen Menschen verwendet wurde. Das Wort selbst hat, trotz seines lateinischen Ursprungs, einen Umweg über das französische nègre genommen und verwies schon im 17. Jahrhundert auf die Sklaven, die damit benannt wurden.

Die rassistische Ausgrenzung Schwarzer Menschen durch dieses Wort gehört keineswegs der Vergangenheit an. Erst kürzlich wurden drei Schwarze englische Nationalspieler derart übel mit dem N-Wort beleidigt, dass das Britische Königshaus, die Britische Regierung, der Britische Fußballverband und zahlreiche Britische Fußballvereine und Fußballprofis öffentlich ihre Abscheu darüber äußerten.

In dem Film „Schwarze Adler“ berichten deutsche Fußballnationalspielerinnen von ihren Erfahrungen als Schwarze Sportler im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Sie berichten von Schmähungen und Herabwürdigungen, die sich ausschließlich gegen sie richteten. Von Affenlauten, von Bananen, die auf das Spielfeld geworfen werden und von diesem Wort, mit dem immer und immer wieder klar gemacht wird, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht in diesem Land erwünscht sind. Die ehemalige Fußballerin und spätere Moderatorin Shary Reeves berichtet von den Demütigungen, die sie erleben musste, von ihrer Verzweiflung und ihrem Unverständnis, dass das Land, das sie so sehr liebt, sie so sehr zurückweist. „Ich liebe dieses Land. Aber manchmal denke ich ...“ Weiter kommt sie nicht, der Rest geht in ihren Tränen unter.

Wer all dies sieht und auch nur einen Funken Anstand in sich trägt, schwört sich für den Rest seines Lebens, dieses verfluchte Wort nie wieder zu benutzen. Und dennoch kämpfen gerade weiße Menschen voller Inbrunst und unaufhörlich um jeden Fitzel dieses verdammten Wortes. Selbst der Duden, der vielen Hobby-Sprachästheten als heilige Schrift gilt, gibt im Abschnitt „Bedeutung“ einen „Besonderen Hinweis“ darauf, was es mit diesem Wort auf sich hat, und empfiehlt, dass diese Bezeichnung „vermieden werden sollte“. Wer diesen Begriff gegen Menschen benutzt, macht sich übrigens strafbar und wird gerichtlich verurteilt.

Man müsse das Wort im historischen, aufklärerischen und didaktischen Kontext benutzen heißt es nur allzu oft. Wie dieser aufklärerische und didaktische Kontext häufig aussieht, erkennt man an Sendungen wie der des MDR mit dem Titel „Darf man heute noch ‚N****‘ sagen? Warum ist politische Korrektheit zur Kampfzone geworden?“. In der Sendung sollten vier weiße Menschen, darunter die ehemalige Vorsitzende der AfD, Frauke Petry, über dieses Wort sprechen und warum es weiterhin verwendet werden sollte.

An anderer Stelle zeigen die öffentliche Reaktion und der zum Teil unbändige Hass, die auf die Umbenennung von Schokoküssen und anderen Produkten folgen, in schonungsloser und erbarmungsloser Offenheit, worum es wirklich geht: um Deutungshoheit. Um die Angst, dass diese liebgewonnene Normalisierung von Demütigungen gegenüber Minderheiten eines Tages aus dem Sprachgebrauch verschwinden könnte. Und aus genau diesem Grunde muss dieses Wort verschwinden. Die völlig normale und öffentliche Verwendung von rassistischen Schmähungen wie jüngst durch den deutschen Radsportdirektor während der Olympischen Spiele wird so lange zu unserem Alltag gehören, wie die Begriffe selbst Teil unseres Alltags sind.

Wem das Wohl seiner Mitmenschen ein ehrliches Anliegen ist, der wird den Rassismus, der diesem Wort innewohnt, nicht reproduzieren und die Benutzung einfach sein lassen. Und wer das Wort dennoch und trotz besseren Wissens benutzen möchte, der sollte wenigstens ehrlich dabei sein und sagen, worum es wirklich geht.

Ganz ohne Platzhalter.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.