Energiemarkt

Gasag: Tausende Berliner müssen plötzlich 600 statt 80 Euro zahlen

Wer seinen Gasversorger verliert, wird ersatzweise von der Gasag beliefert. In den letzten Wochen waren das 21.000 Berliner Haushalte, für die es teuer wurde.

Ein Kubikmeter Gas entspricht etwa zehn Kilowattstunden.
Ein Kubikmeter Gas entspricht etwa zehn Kilowattstunden.dpa/Patrick Pleul

Für die junge Frau war es ein Schock. Nachdem ihr Gasversorger Gas.de einseitig die Gaslieferung gekündigt hatte, war sie Anfang Dezember automatisch und nahtlos vom hiesigen Grund- und Ersatzversorger Gasag aufgefangen worden. Kalt blieb die Wohnung somit nie. Inzwischen hat sie sich auch einen günstigeren Gasanbieter gesucht. Aber für den Monat Dezember bekam sie von der Gasag eine Rechnung, die sie schockierte. Während sie zuvor für Gas etwa 80 Euro im Monat zahlte, verlangte die Gasag nun 528 Euro und 43 Cent für die Ersatzversorgung allein im Dezember. „Das ist derzeit leider der Normalfall“, sagt Hasibe Dündar. „Es geht fast immer um 400 Euro bis 600 Euro für einen Monat.“

Hasibe Dündar ist Energierechtsberaterin bei der Verbraucherzentrale Berlin. In Tempelhof berät sie regelmäßig Kunden, die überhöhte Energierechnungen vermuten. Seit einigen Wochen dreht sich mindestens jede zweite Beratung um die Gasag. Der Grund ist ein sogenannter Grund- und Ersatzversorgungstarif für Neukunden, nach dem in die Ersatzversorgung gerutschten Neukunden je Kilowattstunde 18,25 bis 18,73 Cent berechnet werden, während Bestandskunden der Gasag nur etwa acht Cent zahlen.

Zehnmal so teuer wie vor einem Jahr

Das Unternehmen begründet die speziellen Kondition damit, dass die Gasmengen für Neukunden nachträglich zu aktuell sehr hohen Preisen beschafft werden müssten. Tatsächlich war Gas am Spotmarkt Ende Dezember zehnmal so teuer wie noch vor einem Jahr. Mit 212 Euro pro Megastunde markierte der Gaspreis seinerzeit den bisherigen Rekord. Inzwischen liegt er bei etwa 90 Euro.

Die Gasag steht mit ihrem Einfallsreichtum in der gesetzlich vorgeschriebenen Ersatzversorgung allerdings nicht allein. Laut Vergleichsportal Check24 haben bundesweit 351 Grundversorger neue Tarife ausschließlich für Neukunden eingeführt. Gegenüber Bestandskunden wurden die Preise demnach um durchschnittlich 178,3 Prozent angehoben. Dass die Gasag „nur“ 134 Prozent mehr verlangt, macht die Sache nicht besser. Der Berlinerin, die bei Hasibe Dündar Rat suchte, bescherte die Ersatzversorgung einen Preis von gut 18 Cent pro Kilowattstunde. Zuvor hatte sie bei Gas.de knapp vier Cent gezahlt.

Zudem kommt der erzwungene Wechsel des Versorgers zur Unzeit, da Gas vor allem im Winter benötigt wird. Etwa 80 Prozent des Jahresbedarfs werden in den Wintermonaten verbraucht, die Kosten aber sinnvollerweise gleichmäßig auf zwölf Monatsraten verteilt. Folglich betragen diese im Dezember nicht etwa ein Zwölftel der Jahreskosten, sondern tatsächlich oft 20 bis 25 Prozent. Daher die Monatsrechnung über mehrere Hundert Euro, die laut Auskunft der Gasag in jedem Fall auch per Ratenzahlung beglichen werden könne.

Für Hasibe Dündar von der Berliner Verbraucherzentrale ist der Neukundentarif der Gasag dennoch nicht hinnehmbar. „Aus meiner Sicht ist der Tarif rechtswidrig“, sagt die Volljuristin. Der Gesetzgeber schreibe vor, dass Neu- und Bestandskunden in der Grundversorgung gleichwertig behandelt werden müssten. Tatsächlich hat die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bereits angekündigt, „mit allen juristischen Mitteln gegen diese Benachteiligung“ vorzugehen. Dündar rät ihren Kunden daher nicht nur zum schnellen Wechsel zu einem günstigeren Anbieter. Die Energierechtsberaterin empfiehlt zudem, gegen die Berechnung zu Neukundenkonditionen Widerspruch einzulegen sowie die Zahlung „unter Vorbehalt“.

Nach Auskunft der Gasag sind bislang insgesamt knapp 21.000 Kunden von der Neukundenklausel betroffen. Die allermeisten kamen, nachdem die Gasanbieter Stromio, Gas.de und Grünwelt Anfang Dezember die Gaslieferung abgebrochen hatten. Laut Gasag-Sprecherin Ursula Luchner sei von den Neukunden mehr als jeder zweite sofort zu einem günstigeren Anbieter gewechselt. Außerdem habe die Gasag allen einen „attraktiven“ Laufzeitvertrag über zwölf Monate angeboten, mit dem man „aktuell mit bei den günstigsten Angeboten“ liege.

Auch seien weitere Preisanhebungen nicht geplant. „Die Preise bleiben in dieser Heizperiode stabil“, sagt die Firmensprecherin und deutet sogar eine Rücknahme des Tarifs an. Der Neukundentarif sei „vorübergehend“, so Luchner. „Unser Ziel ist es, den separaten Tarif für Neukunden so bald wie möglich wieder mit dem Grundversorgungstarif für Bestandskunden zu verschmelzen.“

Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 1703 Gasanschlüsse gesperrt

In jedem Fall rechnet man weder bei dem Unternehmen noch bei der Verbraucherzentrale damit, dass es kurzfristig zu einer Zunahme der Gassperren in der Stadt kommt. Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 1703 Haushalten der Gasanschluss nach nicht beglichener Rechnungen gesperrt. Im Jahr zuvor waren es 1264 Sperrungen, 1670 im Jahr 2019.

Die Energiediscounter Stromio, Grünwelt und Gas.de, die Hunderttausenden Strom- und Gaskunden in Deutschland Verträge und Lieferungen gekündigt hatten, sind inzwischen ins Visier der Behörden geraten. Einem Bericht des Spiegel zufolge geht die Bundesnetzagentur dem Verdacht nach, dass die von dem mutmaßlichen Eigentümer Ömer V. geleiteten Firmen Gas und Strom lieber gewinnbringend an Großhändler verkauften, anstatt die eigenen Endkunden zu beliefern. Bei der Bundesnetzagentur hieß es auf Nachfrage, dass man fortlaufend prüfe, ob energierechtliche Verpflichtungen durch Lieferanten eingehalten werden. Auskünfte zu einzelnen Unternehmen könnten jedoch nicht erteilt werden.