Nach Auftritt bei „Maischberger“

Ökonom stärkt Robert Habeck den Rücken: „Es droht derzeit keine Insolvenzwelle“

Wirtschaftsminister Robert Habeck steht wegen Äußerungen zu Insolvenzen im Kreuzfeuer der Kritik. Hat er vielleicht Recht? Was ein sachkundiger IWH-Experte dazu sagt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)dpa/Kay Nietfeld

Der Grünen-Politiker sorgte mit einem Auftritt in der ARD-Sendung „Maischberger“ am Dienstagabend für viel Unmut. Habeck sagte: Bestimmte Branchen und Firmen würden erst mal einfach aufhören, zu produzieren, wie etwa die Bäckereien. Aber es müsse nicht automatisch „eine klassische Insolvenzwelle geben“, wenn diese Firmen über Monate nichts verkaufen würden. Schnell meldeten sich die Bäckereien zurück und konfrontierten den vermeintlich empathielosen Minister mit ihrem alltäglichen Kampf ums Überleben.

Warum ist Wirtschaftsminister Habeck sich denn so sicher, dass keine Insolvenzwelle droht, und was ist überhaupt eine „klassische Insolvenz“?

„In Deutschland waren die Insolvenzzahlen bei den Unternehmen in den letzten Jahren sehr niedrig“, erklärt der Ökonom Prof. Dr. Steffen Müller der Berliner Zeitung. Müller ist der Leiter der Abteilung Strukturwandel und Produktivität beim Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und beschäftigt sich mit der Problematik der Insolvenzen. Seine Einschätzungen sind weniger emotional und auffällig nüchtern. Er redet zum Beispiel über eine neue „Trendwende“ bei den Insolvenzzahlen im Herbst, geht jedoch nicht von einer drohenden Insolvenzwelle aus.

„Jetzt steigen die Insolvenzzahlen durchaus kräftig, aber sie steigen von einem sehr geringen Niveau aus. Die absoluten Zahlen sind noch nicht so hoch, dass man etwas Dramatisches daraus ablesen kann“, so der Ökonom.

Im August 2022 ist die Zahl der Firmenpleiten zum Beispiel laut einer IWH-Analyse um 26 Prozent zum Vorjahr gestiegen. Das sind 718 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften – aus der Sicht der Ökonomen alles noch nicht so dramatisch. Den Fokus in seiner Einschätzung legt Müller allerdings auf das Wort „derzeit“. Derzeit drohe keine Insolvenzwelle. Wenn die Insolvenzzahlen jedoch ein halbes Jahr lang jeden Monat weiter so ansteigen würden, kämen wir sicher langsam in besorgniserregende Größenordnungen, prophezeit Müller.

„Klassisch“ pleite gehen oder durch Betriebsschließung

Und trotzdem besteht er darauf, einen Unterschied zwischen einem klassischen Insolvenzverfahren und einer Betriebsschließung zu machen. „Die Insolvenzanmeldung ist in Deutschland gesetzlich geregelt. Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, also wenn ich überschuldet oder zahlungsunfähig bin, muss ich Insolvenz anmelden“, sagt Müller. „Aber es gibt auch viele kleinere Unternehmen, die einfach sagen: Es lohnt sich nicht mehr, weiterzumachen. Sie sind nicht überschuldet, sondern sie machen ihren Betrieb zu, statt zum Gericht zu gehen und zu sagen: ‚Ich bin insolvent.‘“

Doch ist es am Ende für die Wirtschaft des Landes nicht das Gleiche, egal, ob ein Betrieb Insolvenz anmeldet oder sich schließt? Den Kritikern dieser Unterscheidung gibt der Experte Recht. Der rechtliche Unterschied zwischen einem Insolvenzverfahren und einer Betriebsschließung ohne Insolvenzverfahren, auch „stille“ Insolvenz genannt, erlaube es einem nicht, zu sagen, dass alles gut sei, so Müller. Der Betrieb werde ja geschlossen. „Aber man muss generell wissen, dass dieser Marktaustritt, wie wir Ökonomen Schließungen ohne Insolvenz nennen, viel häufiger stattfindet als die Insolvenzen, ob ohne oder wegen der Krise.“ Das Problem sei, dass es zu solchen Betriebsschließungen keine statistischen Daten gebe, anders als zu den Insolvenzverfahren. „Ist das Unternehmen der Krise zum Opfer gefallen oder gibt es eine Nachfolge? Nur bei den Insolvenzverfahren wissen wir, dass es ein richtiges ökonomisches Scheitern war.“

Wirtschaftsministerium: „Wir kümmern uns um Entlastungen“

Das Wirtschaftsministerium zeigte inzwischen eine hohe Kommunikationsbereitschaft nach den viel kritisierten Äußerungen des Ministers Habeck. „Der Minister hat in seinem Statement deutlich gemacht, dass der Blick auf die Insolvenzen allein viel zu kurz greift, um das Ausmaß der Gefährdung der Wirtschaft aufzuzeigen“, antwortete das Presseteam des Ministeriums auf Anfrage der Berliner Zeitung auf Twitter. Eine Betriebsaufgabe sei nicht gleichbedeutend mit einer Insolvenz. „Daher ist es für uns so wichtig, beides im Blick zu haben: drohende Insolvenzen und Betriebsaufgaben. Deshalb geht es auch nicht allein um die Frage – und darum kümmern wir uns –, wie wir die Unternehmen auf der Kostenseite entlasten können.“

Der IWH-Ökonom Müller glaubt seinerseits nicht, dass es die Aufgabe des Wirtschaftsministers Habeck sei, Insolvenzen zu vermeiden. Damals in der Pandemie habe der Staat diesen Anspruch zwar gestellt, weil man davon ausgegangen sei, dass die Corona-Pandemie vorübergehend sei und es danach alles wieder besser gehe, erklärt Müller. Doch jetzt hätten wir mit dauerhaft steigenden Energiepreisen, Löhnen und Zinsen eine langfristige Veränderung der Rahmenbedingungen. Allzu viele Unternehmen könnten dauerhaft nicht mehr bestehen, weil sie einfach nicht produktiv genug seien. Es sei nicht „nachhaltig“, wenn der Staat hingeht und die Steuergelder für ihre Rettung ausgebe. „Das muss nicht sein. Dann haben wir eine Planwirtschaft“, beurteilt der Ökonom abschließend.

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