Protektionismus

Neuer Handelskrieg: Läuft Olaf Scholz gerade ins Abseits?

Paris will Washington wegen eines neuen US-Handelsgesetzes die Stirn bieten. Doch Deutschland will keinen Konflikt mit der Biden-Regierung.

Olaf Scholz und Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne am 25. November 2022.
Olaf Scholz und Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne am 25. November 2022.AFP/John MacDougall

Die EU bewegt sich mit Höchstgeschwindigkeit auf die nächste Krise zu. Diesmal geht es um die wirtschaftliche Substanz. Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne kam am Freitagnachmittag zu einem Krisengipfel zu Bundeskanzler Olaf Scholz. Natürlich stand das so nicht auf dem offiziellen Programm. Vordergründig ging es um die Energiekrise, in der sich beide Seiten ihrer tiefen Solidarität versicherten. Frankreich und Deutschland wollen eigentlich nicht streiten, sehen sich jedoch aktuell einem massiven Spaltungsversuch ausgesetzt. Der wird diesmal nicht dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zugeordnet, sondern dessen amerikanischem Kollegen Joe Biden.

Biden hat den Europäern mit einem neuen protektionistischen Programm eine Zeitbombe unter die Stühle gerollt. Diese tickt außerordentlich schnell. Bereits am 1. Januar 2023 soll der sogenannte „Inflation Reduction Act“ (IRA) in Kraft treten. Mit dem IRA sollen 369 Milliarden US-Dollar an Förderungen in Unternehmen gepumpt werden, die in den USA produzieren. Das Programm ist sehr attraktiv für europäische Unternehmen – denn es kommt zusätzlich zu den viel günstigeren Energiepreisen in den USA.

Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind die Energiepreise in Europa explodiert, in den USA dagegen nur leicht gestiegen. Der IRA setzt auf die Förderung grüner Technologie, wie etwa Elektroautos. Tesla und Ford werden profitieren, BMW und Renault dagegen nur, wenn sie ihre Produktion auch in die USA verlegen. Die Financial Times (FT) berichtet, dass zahlreiche Unternehmen bereits einen Umzug vorbereiten, weil sich für sie die Produktion in Europa nicht mehr rechnet. Die Franzosen sind aufgeschreckt. So sprach der französische Finanzminister vor einigen Tagen davon, die amerikanische Regierung betreibe eine Industriepolitik, in der Wettbewerber „im Stile Chinas“ diskriminiert würden. Paris fordert Gegenmaßnahmen: Staatspräsident Emmanuel Macron fordert, dass die EU ein „Kauft europäisch!“-Programm auflegen solle, um eine Deindustrialisierung Europas zu verhindern.

Wenig Spielraum für Standortpolitik

Während Paris auf rasches Handeln drängt, steht Deutschland auf der Bremse: Bloomberg zitiert namentlich nicht genannte deutsche Offizielle, die wegen des Kampfs gegen Russland die Einheit zwischen Europa und den USA nicht gefährden wollen. Paris scheint teilweise Unterstützung von der EU in Brüssel zu erhalten: Politico zitiert namentlich nicht genannte EU-Offizielle, von denen ein „hochrangiger“ gesagt haben soll: „Tatsache ist, dass die USA bei nüchterner Betrachtung das Land sind, das am meisten von diesem Krieg profitiert, weil sie mehr Gas und zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen.“ Ein weiteres Problem für die EU und die Mitgliedsstaaten: Die öffentlichen Haushalte sind wegen hunderter Milliarden Euro schwerer Hilfspakete bereits stark unter Druck: Corona-Rettung, Energiesubventionen, Migrationskosten, Aufrüstung und Militärausgaben für die Ukraine sowie Kosten für deren Wiederaufbau müssen zusätzlich zu den normalen Haushalten finanziert werden. Viel Spielraum für Standortpolitik bleibt da nicht.

Laut Bloomberg wollten Borne und Scholz einen Versuch starten, eine deutsch-französische Antwort auf die Pläne der Amerikaner zu finden. Paris tut sich hier leichter, weil Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle 1967 die Militärpräsenz der USA in Frankreich beendete und Frankreich als eigenständige Atommacht etablierte. Deutschland muss dagegen gerade in Kriegszeiten amerikanische Interessen viel stärker berücksichtigen. Präsident Macron wird demnächst nach Washington reisen, um Joe Biden die französische Position darzulegen.

In Berlin will man von einem eigenen europäischen Förderprogramm nichts wissen. FDP-Chef Christian Lindner sagte in einem Interview, man dürfe der Regierung Biden nicht schaden. Der Grüne Robert Habeck sagte, es sei genug Geld da, man sei nur zu langsam beim Verteilen. Am 5. Dezember trifft sich der gemeinsame Handels- und Technologierat (TTC) von EU und USA zu Beratungen. Die EU-Kommission gibt zu Protokoll, dass sie auf Seiten der USA keinerlei Hinweise auf Gesprächsbereitschaft erkennen kann.