Lange hat die Ukraine gezögert, den Transit von russischem Gas nach Europa zu stoppen, nicht zuletzt wegen der russischen Transitgebühren. Nun stellt Kiew den Gastransit im Gebiet Luhansk in der Ostukraine im Volumen von 32,6 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag ein, was fast ein Drittel des ukrainischen Transportes ausmacht. Der ukrainische Gasnetzbetreiber erklärte den Beschluss mit „höherer Gewalt“: Es sei jetzt unmöglich geworden, die Transitpunkte in der Region zu kontrollieren.
Was bedeutet der Ausfall für Deutschland und vor allem für die Hauptstadtregion? Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums erklärte der dpa im üblichen Beamtendeutsch, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland aktuell weiter gewährleistet sei und man die Lage genau beobachte. Ansonsten verbraucht Deutschland seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges sowieso schon weniger Gas aus Russland. Lag dieser Anteil 2021 nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bei 55 Prozent, waren das Ende April schon nur 35 Prozent, weil das Flüssigerdgas, oder LNG, aktuell von der Bundesregierung mehr gefördert und gekauft wird.
Wird Berlin vollständig aus Nord Stream versorgt?
Das russische Gas, das Deutschland über die Ukraine bekommt, landet dagegen nach Angaben der Bundesnetzagentur nur in Weidhaus in Bayern an der tschechischen Grenze und wird dann offenbar vor allem im Süden Deutschlands verbraucht. Bereits am Dienstag waren da laut einem Bericht der Bundesnetzagentur mit „nur“ 62 Millionen Kubikmeter etwa 19 Prozent weniger Gas angekommen als noch am Sonntag. Angesichts der Marktschwankungen bedeutet diese Entwicklung vorerst so gut wie nichts.
Das meiste Gas, das Berlin geliefert bekomme, komme dagegen über die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee, bestätigt der Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft und Energie, Matthias Kuder, der Berliner Zeitung. Diese Gas-Lieferungen blieben nach einem Absturz Mitte März seit dem 25. März stabil hoch und lagen am Dienstag bei 177 Millionen Kubikmeter für ganz Deutschland. Auch der Erdgasbedarf Brandenburgs werde derzeit vollständig über die Nord-Stream-Pipeline gedeckt, wie die Sprecherin für Wirtschaft in Brandenburg, Claudia Lippert, mitteilte. Das russische Gas werde nach Brandenburg theoretisch aber auch über die Jamal-Pipeline transportiert. Die Verdichterstation Mallnow in Brandenburg an der polnischen Grenze verbindet die Pipeline gerade mit dem deutschen Gasnetz.
Versorgt Brandenburg noch Polen mit Gas?
Seit Mitte März kommt aber gar kein Gas mehr aus der Jamal-Pipeline in Mallnow an, mit zwei kurzfristigen Ausnahmen Ende April und am 6. Mai. Warum? „Welche Pipeline in welchem Umfang tatsächlich genutzt wird, hängt auch davon ab, was die betreffenden Marktteilnehmer vertraglich vereinbaren“, erklärt Lippert.
Fakt ist, dass der russische Staatskonzern Gazprom mit sehr wenigen Ausnahmen auf dem Markt schon längst keine Transportbestellungen für die Jamal-Pipeline über Polen nach Westeuropa macht. Das war auch schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine so. Dass Russland die Gaslieferungen nach Polen angeblich wegen des Streits über die Zahlungsmodalitäten Ende April einstellte, ist eine andere Geschichte: Der theoretische Gastransit über Polen, sollte er erwünscht sein, ist nicht betroffen. Ende April schwadronierte Gazprom ebenfalls, dass Polen weiterhin russisches Gas kaufe – über Deutschland. In diesem Fall soll die Station Mallnow in Brandenburg also nicht stillstehen, sondern das Gas aus Deutschland nach Polen pumpen. Stimmt das?
Wirtschaftsministerium: Das rächt sich jetzt
Das polnische Energieministerium will das allerdings nicht so bestätigen. „Seit dem 27. April bezieht Polen kein Erdgas mehr von Gazprom“, bestätigte ein Sprecher der Berliner Zeitung nur kurz. Polen sei dank der langjährigen Politik der Diversifizierung von Gasrouten und Quellen sowie der Investitionen in LNG-Terminals und Verbindungen zu den EU-Nachbarn in der Lage, Russland als Gaslieferanten links liegen zu lassen. Der polnische Energiekonzern PGNiG kaufe das Gas nun auf dem europäischen Markt.
Auch das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) wolle sich nicht zu einzelnen Verträgen der Gasunternehmen äußern. Deutschland habe sich in der Vergangenheit zu großer Abhängigkeit von russischem Gas begeben, sagt die Sprecherin Susanne Ungrad der Berliner Zeitung. Die Langfristverträge garantierten zwar zum größten Teil relativ stabile Preise, „aber eben auch eine sehr große Abhängigkeit, die sich jetzt rächt“. Das Positive daran: Das russische Gas sei in den langfristigen Lieferverträgen zum Teil nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Kunden in Europa vorgesehen.
Russisches oder nicht-russisches Gas?
Der deutsche Fernleitungsnetzbetreiber Gascade ist an der Stelle noch konkreter. Die Richtung der Gasflüsse, so die Sprecherin Uta Kull, hänge von den Transportbestellungen der Unternehmen. „Mallnow ist ein Grenzübergabepunkt, der in beide Richtungen, also nach Polen oder nach Deutschland, transportieren kann.“ Die Bundesnetzagentur gebe aber nur die Importe in Mallnow bekannt, also die Richtung Polen-Deutschland.









