Wirtschaft

Insolvenzverfahren und Umsatzeinbrüche: Wie Bioläden in die Krise schlittern

Naturkostläden und Reformhäuser leiden doppelt unter der Krise. Die Betriebskosten steigen und die Kunden zeigen sich sparsam. Die Branche ist verunsichert. 

 Naturkost aus dem Bauerngarten, dort gibt es nicht nur regionale Produkte, sondern auch ein gutes Gespräch. Ralph Koelker ist der Inhaber des  Bioladens.
Naturkost aus dem Bauerngarten, dort gibt es nicht nur regionale Produkte, sondern auch ein gutes Gespräch. Ralph Koelker ist der Inhaber des Bioladens.Gerd Engelsmann

Ein Schild in der Form einer roten Tomate begrüßt die Kunden des Naturkostladens Bauerngarten an der Admiralstraße. Wer den Laden betreten will, muss eine blau lackierte Holztüre öffnen. Das Geschäft erinnert an Zeiten, in denen in Kreuzberg viele Latzhosenträger mit Anti-Atomkraft-Stickern am Einkaufsbeutel Bio-Obst einkauften. Das Bekenntnis zur biologischen Landwirtschaft war in den 80er-Jahren auch ein politisches Zeichen. 

Ralph Kölker betreibt den Laden in der Nähe der Admiralsbrücke. Die Zeiten haben sich auch in Kreuzberg verändert. Renovierte Fassaden schicker Stadtwohnungen finden sich in der Hochburg der Alternativen etwa entlang des Kanals. Hier leben Menschen, die sich hochpreisige Mieten leisten können oder Geld für einen Immobilienkauf haben. Viele Bioläden finden sich in den angesagten und teuren Kiezen Berlins. Manche verunglimpfen gesundheitsbewusste Großverdiener gar als „Bio-Bürgertum“. 

Kunden kaufen gezielt

Kölker verlässt sich in der Krise auf Stammkunden. Sie kauften jenseits aller Klischees nicht besonders teuer ein, sondern gezielt. „Unsere Kunden machen viel selbst. Linsen und Reis oder Kartoffeln kosten nicht viel“, sagt er.

Die Lebensmittelindustrie veredelt billige Rohstoffe.

Ralph Kölker, Bauerngarten

Der Eindruck, dass Naturkost Luxusware sei, entstehe durch verarbeitete Produkte zu hohen Preisen in den Biosupermärkten, meint er. „Die Lebensmittelindustrie veredelt billige Rohstoffe. Bei uns gibt es sie direkt“, sagt Kölker. 

Die Unsicherheit ist groß

Fühlt sich Kölker angesichts seiner treuen Kunden in der Krise auf der sicheren Seite? „Was da noch kommt, weiß keiner. Da ist vieles möglich“, meint er.

Die Nachrichten über die Branche sind jedenfalls düster. Die Biomarktkette Superbiomarkt mit Sitz in Münster und vielen Filialen in Nordrhein-Westfalen ist seit Anfang August im Insolvenzverfahren. Einer Studie des Marktforschungsunternehmens GfK zufolge büßten die Bioläden 16,5 Prozent ihres Umsatzes im ersten Halbjahr ein. Reformhäuser traf es noch schlimmer. Sie verloren der Studie zufolge mehr als 39 Prozent ihres Umsatzes.

Verbände sehen Lage weniger düster

Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) kommt auf etwas weniger dramatische Zahlen. Die Umsätze im Biofachhandel seien im ersten Halbjahr 2022 um durchschnittlich 15 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr gesunken, erklärt die Geschäftsführerin Kathrin Jäckel. „Die Umsatzentwicklung befindet sich damit jedoch noch über dem Niveau von 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie“, erklärt Jäckel.

Auch Rainer Plum, Vorstand der Reformhaus-Genossenschaft, relativiert die Studienergebnisse der GfK. Diese habe Naturkostläden und Reformhäuser gemeinsam betrachtet. „Die Reformhäuser kommen allein betrachtet unseren Zahlen zufolge auf ein Minus von acht Prozent im ersten Halbjahr 2022“, sagt Plum.

Branche profitierte von der Pandemie

BNN und Reformhaus-Genossenschaft sehen die Verluste in diesem Jahr auf dem Hintergrund zweier umsatzstarker Corona-Jahre. Während der Pandemie kochten mehr Menschen selbst und interessierten sich auch mehr für ihre Gesundheit. Das habe das Interesse an Bioware beflügelt, erklären die Branchenvertreter. 

Der Trend ist aber kein Freund der Biohändler mehr. Ihre ohnehin höheren Preise erhöhen sich zwar nur moderat. Die biologische Landwirtschaft ist zum Beispiel unabhängig vom teurer gewordenen Stickstoffdünger. Höhere Preise für Energie treiben aber die Betriebskosten an. Der von der Inflation verunsicherte Kunde hat zudem eine günstigere Alternative parat: Bioware gibt es zum kleineren Preis oft nur eine Straßenecke entfernt im normalen Supermarkt. Naturkostläden weisen zwar darauf hin, dass ihre Siegel strenger seien als die der Supermärkte. Aber immer weniger Kunden scheint das in der Krise zu überzeugen. 

Verband fordert Steuersenkung

Der BNN plädiert deshalb für eine Senkung der Mehrwertsteuer für pflanzliche Bio-Lebensmittel und Naturwaren auf null Prozent. Bei tierischen Produkten sollte sich der Mehrwertsteuersatz daran orientieren, wie ökologisch nachhaltig sie erzeugt werden. 

Wir sehen auch einen starken Absatz bei Mitteln gegen Stress.

Rainer Plum, Reformhaus-Genossenschaft

Rainer Plum von der Reformhaus-Genossenschaft zeigt sich vorsichtig optimistisch. Die Umsätze der Reformhäuser hätten im August wieder zugelegt. Plum erklärt sich die Steigerung mit dem Interesse an Mitteln zur Steigerung des Immunsystems vor einer möglicherweise anrollenden Corona-Welle. Reformhäuser setzten anders als Naturkostläden stärker auf pflanzliche Heilmittel und Naturkosmetik. Bei solchen Produkten seien Supermärkte und Discounter keine Konkurrenz, meint er. „Wir sehen auch einen starken Absatz bei Mitteln gegen Stress und Erschöpfung“, meint Plum. Insofern scheinen die sich nahtlos ablösenden Krisen den Reformhäusern sogar zu nutzen. 

Alnatura schafft Billigsortiment

Die Biosupermarktkette Alnatura betreibt nach eigenen Angaben 19 Filialen in Berlin. Auch Alnatura verweist auf die Abhängigkeit der konventionellen Landwirtschaft von Düngemitteln und formuliert die Hoffnung auf eine entspanntere Lage trotz steigender Energiekosten. „Interessant ist, dass sich aktuell die Preisabstände zwischen Bio-Produkten und konventionellen Produkten angleichen“, teilt eine Sprecherin von Alnatura mit. 

Dennoch erlebe auch Alnatura in seinen Filialen eine „leichte Kaufzurückhaltung“ bei den Kunden, räumt die Sprecherin ein.

Die Kette habe bereits reagiert, meint sie. Statt kurzfristige und wechselnde Sonderangebote soll nun ein Segment zu dauerhaft niedrigen Preisen die Kundschaft in die Filialen locken. 

Ernährungsexpertin empfiehlt mehr Gemüse

Sabrina Schulz, Ernährungsexpertin der Berliner Verbraucherzentrale, betont, dass gesunde Ernährung nicht automatisch ein Bio-Siegel voraussetze. Bio-Kost habe Vorteile, meint sie. Verbraucher, die auf saisonales Obst und Gemüse aus ihrer Region kauften, täten sich und der Umwelt aber auch schon etwas Gutes. Schulz rät von Fertiggerichten ab. „Die sind besonders teuer“, sagt sie.

Tierwohl hat seinen Preis.

Sabrina Schulz, Verbraucherzentrale Berlin

Wer sich den Geldbeutel schonen und an die Umwelt denken will, sollte den Konsum tierischer Produkte möglichst einschränken, meint Schulz. Bio-Fleisch lasse sich nicht billiger produzieren als Discounter-Ware. „Tierwohl hat seinen Preis“, sagt Schulz.

Auch der Gesundheit sei es zuträglich, sich an möglichst vielen Tagen fleischfrei zu ernähren, fügt Schulz hinzu. Hülsenfrüchte wie Linsen nennt sie als sättigende Alternative. Die Kunden des Bauerngartens haben das offenbar schon erkannt.