Flüssigerdgas

Kommt unser LNG auch aus Russland? Bundesregierung kann das nicht ausschließen

Flüssigerdgas aus Russland hat anders als Pipelinegas durchaus noch Chancen in Deutschland, wie eine Antwort der Bundesregierung zeigt.

Manuela Schwesig und Olaf Scholz bei der offiziellen Inbetriebnahme des LNG-Terminals Deutsche Ostsee im Industriehafen Lubmin
Manuela Schwesig und Olaf Scholz bei der offiziellen Inbetriebnahme des LNG-Terminals Deutsche Ostsee im Industriehafen Lubminwww.imago-images.de

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im September eine vollständige Unabhängigkeit von russischem Gas bis Ende 2023 prognostiziert. Die neuen Importterminals würden die Einfuhr von Flüssigerdgas aus Norwegen, den USA „und vielen anderen Ländern“ ermöglichen, sagte Scholz damals in seiner Rede beim Deutschen Arbeitgebertag in Berlin.

Mit einem Schiff in Wilhelmshaven und einem in Lubmin sind nun schon zwei deutsche schwimmende Importterminals in Betrieb. Die Kosten für den Bau von mindestens fünf weiteren Terminals haben sich nach Prognosen des Bundeswirtschaftsministeriums seit Planungsbeginn mehr als verdreifacht. Die Erwartungen der Politik beißen sich nun mit der Realität der Märkte: Die Bundesregierung kann nicht ausschließen, dass deutsche Gasimporteure auch russisches LNG über die neuen Flüssiggasterminals importieren werden.

Russische LNG-Exporte nach Europa sind der Bundesregierung bekannt

Das geht aus den Antworten auf eine kleine Anfrage der Linken an die Bundesregierung hervor, die der Berliner Zeitung und dem Onlinemagazin Telepolis exklusiv vorliegen. Privatwirtschaftliche Gashändler müssten ihre Mengen auf dem Weltmarkt beschaffen, wo auch russisches LNG verkauft werde, heißt es in den Antworten an den wirtschaftspolitischen Sprecher der Linke-Fraktion, Christian Leye. „Der Bundesregierung ist bekannt, dass russisches Flüssigerdgas an Flüssigerdgasterminals in europäischen Nachbarstaaten anlandet.“

Zwar wurde im Jahr 2022 nach Kenntnis der Bundesregierung kein russisches LNG direkt nach Deutschland geliefert. Es sei aber nicht auszuschließen, „dass Deutschland im Jahr 2022 indirekt über LNG-Terminals europäischer Nachbarstaaten russisches Flüssigerdgas erhalten hat“. Konkrete Auskunft darüber kann die Bundesregierung nicht geben. Sie gibt an, keine Daten zum Weitertransport und Verbrauch russischen Flüssigerdgases in Europa oder zu indirekten Lieferungen von russischem LNG nach Deutschland zu erfassen.

Bereits Mitte November hatte die Berliner Zeitung unter Berufung auf die Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) und die EU-Kommission über gestiegene russische LNG-Lieferungen nach Frankreich, Spanien, Belgien und in die Niederlande im Jahr 2022 berichtet. In den ersten neun Monaten sollen sie um 46 Prozent auf 16,5 Milliarden Kubikmeter gestiegen sein. Die Menge ist im Vergleich zur Gesamtkapazität von Nord Stream 1 von 55 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr nicht irrelevant. Da der europäische Energiemarkt eng verflochten ist, wurden einige Mengen davon wahrscheinlich auch nach Deutschland weiterverkauft. Das Flüssigerdgas soll vom zweitgrößten russischen Erdgasförderer Nowatek (Novatek) stammen, einem privaten börsennotierten Unternehmen.

Keine Auskunft zu Nebeneffekten für andere Länder

Die Frage des Bundestagsabgeordneten Christian Leye, ob eine erhöhte europäische Nachfrage nach LNG die Energieversorgungssicherheit anderer Länder gefährde, konnte die Bundesregierung nicht beantworten.

„Die Bundesregierung hat bisher keine Berechnung in Auftrag gegeben, die die Effekte der verstärkten deutschen und europäischen Fokussierung auf Flüssigerdgas modellieren würde“, heißt es dazu. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (Grüne), hatte seinerseits bereits im Mai des vergangenen Jahres Nachteile der europäischen Hinwendung zum LNG-Markt für andere Kontinente festgestellt. „Das moralische Dilemma ist furchtbar“, sagte Müller in der Talkshow „Markus Lanz“.

Experten gehen davon aus, dass vor allem in Asien Länder mit „volatilen“ Verträgen das Nachsehen haben, darunter Kambodscha, Vietnam und Indonesien. Zahlt Europa mehr, machen die Tanker dorthin kehrt und steuern europäische Häfen an. „Die weltweiten Flüssiggaskapazitäten reichen derzeit nicht aus, um die steigende Nachfrage zu befriedigen“, kritisiert auch der Linken-Abgeordnete Leye. Die Folgen seien weiterhin hohe Energiepreise hierzulande und Stromausfälle sowie wachsende wirtschaftliche Probleme in Ländern wie Pakistan oder Sri Lanka. „Die angeblich ‚wertegeleitete Außenpolitik‘ der Bundesregierung ist teuer und schädlich gerade für die ärmeren Teile der Menschen in Deutschland und dem globalen Süden“, so der Bundestagsabgeordnete.

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Dies ist ein Text, der in Kooperation mit Telepolis publiziert wurde.

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