Noch im letzten Jahr konnte Russland über die Nord Stream rekordverdächtige 59 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa liefern. Nun ist die Gaspipeline zerstört, genauso wie die Wirtschaftsbeziehungen mit Europa. Wohin mit dem Gas, dessen Exporte für den Staatshaushalt und nicht zuletzt für die Kriegsführung unentbehrlich sind?
Präsident Wladimir Putin will es nach China verkaufen. Dafür soll die sogenannte Dreier-Gasunion entstehen, wie der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew als Erster preisgegeben hat. Putin und Tokajew haben das Thema Anfang der Woche in Moskau besprochen. Seinen ersten Antrittsbesuch hat Tokajew damit in Russland abgestattet. Berichten zufolge sagte Putin bei dem Treffen, Russland werde Exporte auf neue Märkte umleiten.
Der russische Energieminister Alexander Nowak entschlüsselte: Es geht ganz konkret um den chinesischen Markt. Tokajew seinerseits versprach bei dem Treffen, russische Investitionen in die Wirtschaft seines Landes zu schützen. Er erwähnte zwar, dass es in den Beziehungen zwischen Russland und Kasachstan „Probleme im Zusammenhang mit dem Gassektor gibt“. Doch sein Land dramatisiere diese Probleme nicht und sei mit der Zusammenarbeit mit Russland ziemlich zufrieden.
„Freundschaft“ mit Gas besiegeln
Vorerst müsse ein „Koordinationsmechanismus“ geschaffen werden, so der Kreml. Branchenexperten sind inzwischen ratlos, wozu man unbedingt eine „Gasunion“ zwischen drei Ländern braucht, wenn Geschäfte sich auch ohne machen lassen. Noch ist es nur eine Idee, kommentierte Tokajews Präsidentenbüro am Mittwoch, aber sie sollte „sorgfältig geprüft werden“. Ähnlich reagierte auch das türkische Energieministerium, als Putin im Dezember vorgeschlagen hatte, „in der Türkei den größten Gasknotenpunkt für Europa zu schaffen“.
Nur klingen russische Gaslieferungen nach Europa über die Türkei unrealistisch. Eine Zunahme russischer Gaslieferungen nach China hat zumindest eine Perspektive. Der Wunsch Putins ist offensichtlich, Kasachstan und Usbekistan dabei geopolitisch noch stärker an sich binden und die Freundschaft, die er bei ihnen mit einer Art freiwilligem Zwang sucht, mit Gas zu besiegeln. Kasachstan und Usbekistan verfügten seit den Zeiten der Sowjetunion über ein einheitliches Gastransportsystem und könnten die Zusammenarbeit intensivieren, nicht nur bei der Gasversorgung, sondern auch bei der Verarbeitung, argumentiert der russische Energieminister Nowak. Die beiden Länder könnten in dem Fall des Transits nach China allerdings auch mit vorteilhaften Transitgebühren rechnen.
Die Chinesen zögern noch bei deutlich größeren Liefermengen
Im Moment liefert Gazprom russisches Gas vor allem über die Pipeline „Kraft Sibiriens“ im Osten direkt nach China. Allein bis Juli 2022 seien die Lieferungen im Vergleich zum letzten Jahr um rund 61 Prozent gestiegen, prahlte zuletzt der russische Energiekonzern. Im Jahresverhältnis dürften es dieses Jahr nur knapp 17 Milliarden Kubikmeter Gas bei einer Gesamtkapazität von 38 Milliarden Kubikmeter werden: noch keine ernsthafte Alternative zu den Lieferungen in die EU.
Der Bau der längst geplanten Pipeline „Kraft Sibiriens 2“ über die Mongolei nach China lässt noch auf sich warten und könnte frühestens 2030 abgeschlossen werden. Diese Pipeline könnte jährlich bis zu 50 Milliarden Kubikmeter russisches Gas aus dem westsibirischen Jamal-Feld ins Reich der Mitte liefern. Aus diesem Feld hatten die europäischen Kunden noch bis vor kurzem Gas erhalten.
China zögert jedoch mit Verträgen für das Gas aus Westsibirien. Viel mehr Interesse haben die Chinesen am Gasfeld auf der Halbinsel Sachalin. Deswegen baut Gazprom bereits seit Juli diesen Jahres eine neue Gasleitung, „Kraft Sibiriens 3“ – allerdings mit einer deutlich niedrigeren Lieferkapazität als erwartet, nämlich nur zehn Milliarden Kubikmeter im Jahr.



