Der Plan von Steffen Sebastian gegen den Wohnungsmangel schlägt hohe Wellen. Der Regensburger Wirtschaftsprofessor und Vorsitzender der gif-Mietspiegelkommission schlägt vor, die Mieterschutzinstrumente abzuschaffen und die bisher günstigen Mieten in alten Verträgen steigen zu lassen. Und das meint er ernst.
Das Ziel: Kleinere Haushalte – insbesondere ältere Menschen mit alten und deshalb günstigen Verträgen – werden sich ihre größeren Räume nicht mehr leisten können und in kleinere Wohnungen ziehen müssen. Große Familien könnten stattdessen in die frei gewordenen Wohnungen einziehen. Und wer sich die hohe Miete für den je nach Größe des Haushalts „angemessenen“ Wohnraum nicht leisten kann, sollte Wohngeld bekommen, heißt es.
Den Plan hat das Forscherteam des Immobilieninstituts IREBS der Universität Regensburg um den Ökonomen Steffen Sebastian konzipiert, Sebastian hat kürzlich mit der Zeitung Die Welt darüber gesprochen. „Unser Vorschlag lautet: Unterstützung von Mietern mit niedrigen Einkommen statt Unterstützung von Mietern mit niedrigen Mieten“, betonte er dabei.
Der Vorschlag erregt viele Gemüter, doch hat er Chancen auf Realisierung? Bisher haben die Regensburger Forscher vor allem vernichtende Kritik geerntet. Hier drei Perspektiven.
Grund Nummer eins: Ältere Menschen brauchen besonderen Schutz
In Berlin spricht David Eberhart von den Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) von „einer vollkommen absurden Idee, die man schon sozialpolitisch gar nicht wollen kann“. Zur Erinnerung: Zur BBU gehören 340 private, genossenschaftliche, kirchliche und öffentliche Unternehmen mit insgesamt 1,1 Millionen Wohnungen in der Region. Warum ist die Idee so absurd? Weil gerade ältere Menschen besonderen Schutz brauchen würden, sagt der BBU-Sprecher. Das sei selbst bei den großen privaten Immobiliengesellschaften wie der Vonovia Konsens. „Die haben ein Moratorium für Mieterhöhungen bei Senioren beschlossen“, sagt Eberhart.
„Der Staat schützt Mieterinnen und Mieter nicht zu viel, sondern zu wenig“, erwidert auch die Sprecherin der Linke-Fraktion für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik im Bundestag, Caren Lay. Lay war eine der ersten in der Politik, die den fragwürdigen Vorschlag kritisierte.
Jetzt auch noch ein staatliches Mieterhöhungsprogramm zu fordern, da vielen Senioren ohnehin schon das Wasser bis zum Hals stehe, sei „völlig verantwortungslos“, bekräftigt die Linke-Politikerin. Lay findet es zudem „zynisch und infam“, jetzt noch höhere Mieten bei Senioren zu fordern und dieser Altersgruppe quasi die Schuld für die Mietpreisexplosion in die Schuhe zu schieben.
Studien belegen zwar, dass es in der Bundesrepublik tatsächlich ein Problem mit der Wohnraumgerechtigkeit gibt. So stellte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Januar fest, dass rund sechs Prozent der Haushalte in deutschen Großstädten zu beengt leben. Gleichzeitig leben ebenfalls sechs Prozent in zu großen Wohnungen. Bei Haushalten mit Personen über 70 Jahren waren es sogar neun Prozent.
Trotzdem würde solch eine Umverteilung dazu führen, dass nicht nur die wohlhabenden Senioren mit mehr Wohnraum, sondern auch die armen und kranken Alten mit alten Verträgen aus ihren Wohnungen vertrieben würden, weil ihre Mieten beim Wegfall des Schutzes spekulativ parallel steigen würden. Die Gerichte würden mit Räumungsklagen überschwemmt.
Grund Nummer zwei: Es gibt nicht genug Wohnraum
Steffen Sebastian von der Universität Regensburg sagt weiter: Es gebe genug Wohnungen, sie seien nur falsch verteilt. Die Studien bestätigen zwar das Problem mit der Verteilung der Fläche, doch wiederum geht es hier nur um sechs Prozent aller Fälle. Die Wohnungsnot endet mit der Lösung dieses Problems aber nicht – vielmehr können die Nebenwirkungen der Maßnahme den angeblichen Nutzen überwiegen.
Gerade in Ballungsräumen müssten für so eine gewaltige Umverteilung erst einmal die Wohnungen da sein, sagt BBU-Sprecher Eberhart. Nicht nur in Berlin fehle es genau daran. Laut einer Studie des Pestel-Instituts und des Bauforschungsinstituts ARGE werden in Deutschland 2023 über 700.000 soziale und günstige Wohnungen fehlen: Das wäre ein Rekord-Wohnungsmangel. Der Krieg in der Ukraine hat die Wohnungslage verschärft, denn rund 60.000 ukrainische Kriegsgeflüchtete haben allein in Berlin Zuflucht gefunden. Nach diversen Einschätzungen fehlen in der Stadt daher zwischen 50.000 und 100.000 Wohnungen.
Selbst in der FDP sieht man dieses Problem ein. „Das Modell aus Regensburg wird mangels Angebot scheitern“, sagt Björn Matthias Jotzo, Anwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht und Wohnungsbaupolitiker der Berliner FDP, im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Jotzo würde nach eigenen Angaben schon gerne den Mieterschutz reduzieren, doch der vorgeschlagene Wohnungstausch allein würde nicht helfen: „Man muss erst die Möglichkeiten für massiven Wohnungstausch schaffen“, sagt er – sowie mehr bauen und Wohngeld gezielt an Bedürftige verteilen. „Nur so kann es gehen.“
Grund Nummer drei: Die neuen teuren Mietverträge sind am Mietwahnsinn schuld, nicht die alten Verträge
Wo liegt zudem das eigentliche Problem bei der Wohnungsnot? Vor allem an fehlenden bezahlbaren Wohnungen. Eine Familie kann in einer Großstadt schon eine Drei-Zimmer-Wohnung für mehr als 3000 Euro Miete finden, doch kann sie sich diese auch leisten? In Berlin kennt man zudem viele Fälle davon, dass neue Mieten für kleinere Flächen dermaßen hoch seien, dass ein Wechsel für Senioren oder ein Umzug für Pärchen mindestens genauso problematisch wäre wie der Anstieg der „alten“ Miete. Es seien die neuen teuren Mietverträge, die die Mietspiegel nach oben treiben würden, kritisiert Caren Lay aus dieser Perspektive, – und das Mietrecht lasse es zu, dass kurz danach auch die Bestandsmieten angehoben werden dürfen.
Auch der Berliner Mieterverein sieht die Lösung da, wo das eklatanteste Problem liegt: in den teuren Mieten. „Die Lösung kann nicht sein, günstige Mieten zu verteuern, sondern man muss dafür sorgen, dass genügend günstiger Wohnraum erhalten bleibt und neu entsteht“, argumentiert die Geschäftsführerin des Mietervereins, Wibke Werner. Und sie ist ebenfalls davon überzeugt: Der Vorschlag des Ökonomen Sebastian werde eine eklatante Benachteiligung von Mietern mit geringeren Einkommen bedeuten, bevor diese irgendwann an das Wohngeld kommen.

Keine Umverteilung des Wohnraums: Was könnte die Alternative sein?
Der Berliner Mieterverein plädiert weiterhin ganz explizit für ein Instrument des Wohnungstausches unter flankierenden Rahmenbedingungen, wie die Mitnahme der Quadratmeter-Miete. „So könnten sicherlich auch viele ältere Menschen für einen Umzug in eine kleinere Wohnung gewonnen werden, um einer Familie Platz zu machen, die auf eine große Wohnung angewiesen ist“, sagt Geschäftsführerin Werner.
Auch Linke-Politikerin Lay ist für einen funktionierenden Wohnungstausch. „Diejenigen, die freiwillig tauschen wollen, sollen das Recht erhalten, in den Mietvertrag eines Tauschpartners einzusteigen. So können beide verhältnismäßig günstige alte Mietverträge behalten.“ Eine Pflicht zum Tausch oder eine Nötigung durch höhere Mieten lehnt sie strikt ab.
Die Linke würde allerdings am liebsten noch einen Mietenstopp und darüber hinaus einen Mietendeckel für den Bestand durchsetzen. Der Berliner Mietendeckel ist allerdings vor Gericht gescheitert, und die Enteignung, für die sich 2021 noch die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ausgesprochen hatte, will niemand aus dem neuen schwarz-roten Berliner Senat.




