Wie schlimm steht die Industrie in Deutschland da? Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin) Marcel Fratzscher hat in der Vergangenheit in der Augsburger Allgemeinen die Warnungen vor einer Deindustrialisierung als „einen Popanz“ bezeichnet – „ein Schreckgespenst“, das aufgebaut werde, um „der Politik Geld aus den Rippen zu leiern“. Im neuesten Beitrag auf der Website sines Instituts unter dem Namen „Programm für Deutschlands Transformation“ nennt Fratzscher die Deindustrialisierung plötzlich „ein reales Risiko“.
Hat bei einem der wichtigsten Politikberater des Landes ein Sinneswandel stattgefunden? Fratzscher stellt gegenüber der Berliner Zeitung klar: Es habe sich nichts an seiner Position geändert, und es bestehe auch keinerlei Widerspruch zwischen seinen letzten Beiträgen und dem erwähnten Interview vom Dezember 2022. Fratzscher bleibt bei seiner Meinung, dass es „keinerlei Anzeichen gibt, dass wir heute/jetzt/in diesem Jahr eine Deindustrialisierung oder Welle von Insolvenzen haben“. Das entspreche schlichtweg nicht den Fakten. „Hier wird ein Popanz aufgebaut, genauso wie dies die Lohnpreisspirale betrifft, die auch heute/jetzt/in diesem Jahr schlichtweg nicht vorhanden ist.“
DIW-Chef Marcel Fratzscher stellt klar: Deindustrialisierung ist „ein reales Risiko für die Zukunft“
Die „Deindustrialisierung“ sei jedoch „ein reales Risiko für die Zukunft“, welches heute nicht ausgeschlossen werden könne, merkt Fratzscher an. „Eine gewisse Veränderung der Strukturen“, wie die Verlagerung von energieintensiver Produktion ins Ausland, könnte laut dem Ökonomen jedoch „nicht schädlich, sondern nützlich“ sein. Ob und in welchem Maße eine Deindustrialisierung stattfinden werde, hänge von den Entscheidungen von Unternehmen und Politik in der Gegenwart ab. „Daher lässt sich nur spekulieren und Szenarien aufstellen, aber niemand kann dies mit Gewissheit heute in die eine oder andere Richtung prognostizieren“, sagt Fratzscher abschließend. Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen hatte er vorher lediglich das Risiko eingeräumt, dass„ manche energieintensive Unternehmen pleitegehen oder abwandern“ könnten, ohne diese Tendenz jedoch als Deindustrialisierung anzuerkennen.



