Lieferservice

Es geht um Milliarden: Der Kampf der Lieferdienste in Berlin

Delivery Hero steigt bei Gorillas ein. Der Dienst bekam erst im März 250 Millionen Euro, braucht aber schon wieder frisches Geld.

Gorillas verspricht die Lieferung von frischer Supermarktware binnen weniger Minuten – in Großstädten wie Berlin.
Gorillas verspricht die Lieferung von frischer Supermarktware binnen weniger Minuten – in Großstädten wie Berlin.Imago/T.Seeliger

Berlin-Hinter Kağan Sümer glitzert der Bosporus, als er am Dienstagmorgen per Videoschalte zu seiner Belegschaft spricht. Es ist acht Uhr morgens, der Gründer des Lieferdienstes Gorillas sitzt auf einem Balkon in Istanbul, entschuldigt sich bei den knapp 700 Leuten, die er auf seinem Bildschirm sieht, für die Einladung zu früher Stunde. „Es ist wichtig“, sagt Sümer. Dass er seine Ansprache an seinem Geburtstag, von seiner Geburtsstadt aus hält, was er wie beiläufig erwähnt, verleiht der Veranstaltung noch einen Tupfen Pathos extra. „Wir haben etwas geschaffen, das größer ist als wir selbst“, sagt Sümer. In der jüngsten und dritten Finanzierungsrunde hat das Unternehmen knapp eine Milliarde Dollar eingetrieben. Er klatscht sich selbst ein bisschen Applaus.

Unternehmen auf einen Wert von 2,5 Milliarden Euro taxiert

Gerüchte dazu gibt es bereits seit Monaten. Schon im Frühjahr raunte man in der Szene, dass Gorillas eine Finanzierungsrunde in Milliardenhöhe plane. Ende August war plötzlich zu hören, dass sich auch Delivery Hero an Gorillas beteiligen werde. Schon damals war von einem dreistelligen Millionenbetrag die Rede. Nun ist es offiziell. Das Berliner Dax-Unternehmen pumpt 200 Millionen Euro in den Zehn-Minuten-Lieferdienst und hält eigenen Angaben zufolge damit acht Prozent an Gorillas. Zusammen mit weiteren Investoren, zu denen auch der chinesische Internet-Konzern und N26-Teilhaber Tencent gehört, sammelte der Lieferdienst nun tatsächlich knapp eine Milliarde US-Dollar ein. Das kaum mehr als ein Jahr alte Start-up wird damit auf einen Unternehmenswert von zweieinhalb Milliarden Euro taxiert.

Dass Mutmaßungen zum Investment schon so lange bestehen, dürfte aber auch darauf hinweisen, dass es für Gorillas nicht gerade leicht war, Geldgeber zu finden. Denn während Gorillas-Chef Sümer mit potenziellen Investoren verhandelte, legten Teile der mittlerweile über 11.000 köpfigen Belegschaft die Arbeit nieder und blockierten Warendepots. Immer wieder gab es Proteste, um auf die schlechten Arbeitsbedingungen hinzuweisen. Mitarbeiter fordern bis heute bessere Arbeitsmittel und die vollständige und pünktliche Auszahlung ihrer Löhne. Wegen der Teilnahme an den Streiks hatte Gorillas Anfang des Monats mehrere Hundert Beschäftigte entlassen. Andere Quellen sprechen von bis zu 1000 Entlassungen bundesweit. „Zu Entlassungen dieser Größenordnung ist es nicht gekommen“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Unter den Entlassenen waren laut der Gruppe Gorillas Workers Collective auch Beschäftigte, die sich zur Wahl zum Betriebsrat aufgestellt hatten. In den kommenden Tagen soll die Wahl stattfinden.

Mit dem neuen Geld will das Unternehmen nun seine Position auf internationalen Märkten ausbauen, Infrastruktur, Produkt- und Technologieentwicklung sollen gestärkt werden. Immerhin beträfe dies auch das Personalwesen, um die Bedürfnisse der Beschäftigten „noch besser adressieren zu können“. So sollen Lastenfahrräder für schwere Lieferungen eingeführt werden.

In jedem Fall wird das frische Kapital bei Gorillas dringend benötigt. Zwar hatte das Unternehmen erst vor sieben Monaten 250 Millionen Euro bekommen, doch ist der Betrieb eines Schnelllieferdienstes ein verlustreiches Geschäft. So werden bei Gorillas pro Monat schon mal 30 bis 50 Millionen Euro verbrannt. Daher ist man stetig auf der Suche nach frischem Kapital und von der Hoffnung getrieben, den Markt irgendwann allein beherrschen zu können. Dass Unterstützung dafür nun ausgerechnet von Delivery Hero kommt, ist aber doch überraschend. Denn Gorillas ist die Konkurrenz.

Erst im Sommer hatte Delivery Hero in einigen Innenstadtbezirken Berlins sogenannte Pandamarkets eingerichtet, von denen aus Kuriere der Eigenmarke Foodpanda Kundenwünsche nach Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs binnen weniger Minuten befriedigten. Inzwischen ist Delivery Hero damit auch in Frankfurt/Main, München und Hamburg vertreten. Delivery-Hero-Chef und -Gründer Niklas Östberg spricht von einem „übergelegenen Service“.

Hart umkämpfter Markt

Östberg, der sich mit Delivery Hero erst Ende 2018 nach einem kostspieligen Marketing-Krieg mit seinem niederländischen Konkurrenten Just Eat Takeaway (Lieferando) vom deutschen Markt zurückgezogen hatte, ist nun allerdings für Gorillas voll des Lobes. „Wir haben das rasante Wachstum des Unternehmens in den letzten Monaten mitverfolgt und freuen uns sehr, nun Teil dieser Reise zu sein“, sagte er nach Vertragsabschluss.

Tatsächlich werden derzeit die Claims für das Geschäft mit den schnellen Lieferungen abgesteckt, wobei die Grenzlinien mit dem zur Verfügung gestellten Kapital gezogen werden. Laut dem Datendienst Pitchbook wurden allein im ersten Halbjahr insgesamt 7,2 Milliarden Euro in europäische Liefer-Start-ups gepumpt, die damit ihre Marktposition ausbauen sollten. Hierzulande ist Gorillas daher längst nicht mehr allein. Zu Jahresbeginn trat auch Flink aus Berlin an. Getir aus der Türkei folgte erst vor wenigen Wochen. Der Essenslieferant Wolt aus Finnland baut seit Ende September in Berlin eigene virtuelle Supermärkte auf. Und dann ist da auch noch Delivery Heros alter Rivale Takeaway, der ebenfalls ins Schnellliefergeschäft eingestiegen ist.

In dieser Gemengelage dürfte sich Delivery Hero über den Einstieg bei Gorillas eine gute Position sichern. Möglicherweise wollte Östberg aber auch einem weiteren Konkurrenten zuvorkommen. Denn mit dem US-Schnelllieferdienst Doordash, Marktführer in den USA mit einem Börsenwert von 74 Milliarden US-Dollar, gab es angeblich einen weiteren Interessenten für eine Gorillas-Beteiligung. Immerhin hatte Doordash bereits im Frühjahr mit Stellenausschreibungen in Berlin auf sich aufmerksam gemacht. Tatsächlich war Delivery Hero schneller. Allerdings ist Östberg den starken Konkurrenten nicht los. Denn wie Doordash Ende September bekannt gab, sei man für einen hohen dreistelligen Millionenbetrag bei dem Berliner Unternehmen Flink eingestiegen. Für Delivery Hero kündigt sich damit erneut ein sicher kostspieliger Konkurrenzkampf an.

Bei Gorillas ist man sich derweil offenbar schon sicher, aus dem Wettbewerb als der große Gewinner hervorzugehen. Auf dem Areal der ehemaligen Bötzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee hat Gorillas jedenfalls gerade erst einen Mietvertag für knapp 13.000 Quadratmeter Büro- und Gewerbefläche unterschrieben. 2024 will man einziehen.